Rezension über:

Rainer Decker: Die Päpste und die Hexen. Aus den geheimen Akten der Inquisition, Darmstadt: Primus Verlag 2003, 184 S., ISBN 978-3-89678-235-9, EUR 24,90
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Rezension von:
Georg Modestin
Deutsches Gymnasium Biel
Redaktionelle Betreuung:
Gudrun Gersmann
Empfohlene Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension von: Rainer Decker: Die Päpste und die Hexen. Aus den geheimen Akten der Inquisition, Darmstadt: Primus Verlag 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 4 [15.04.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/04/4467.html


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Rainer Decker: Die Päpste und die Hexen

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Es ist seltsam, wie wenig die äußere Erscheinung von Rainer Deckers Buch mit dessen Inhalt zusammenpasst. Den Einband ziert ein Holzschnitt aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, auf dem drei Zauberinnen dem Feuertod überantwortet werden, wobei zwei im Vordergrund stehende männliche Gestalten, in denen man Büttel vermuten darf, das Feuer anfachen. Die Dramatik der detailreichen Szene, die hier nicht erschöpfend beschrieben werden soll, wird durch einen Dämon verstärkt, der sich an einer der Zauberinnen zu schaffen macht. Damit werden Vorstellungen bedient, denen die vorliegende Arbeit gerade entgegenwirken will: Anders als es nicht zuletzt auch Titel und Untertitel erwarten lassen, geht es darin nämlich nicht um die Verfolgungswut der katholischen Kirche. Vielmehr bemüht sich der Autor, auf differenzierte Weise die Haltung des Papsttums zu Hexerei und Magie darzustellen, und kommt zu Erkenntnissen, welche das eine oder andere Vorurteil erschüttern dürften.

In seinem Nachwort hält Decker fest, dass nicht pauschalisierend von "'der' hexenverfolgenden katholischen Kirche" (159) gesprochen werden könne. Sicher gab es katholische Territorien, in denen Hexen massiv verfolgt wurden, nur - und das ist das Pikante - missachteten die örtlichen Herrschaftsträger einen sich seit dem späten 16. Jahrhundert in Rom vollziehenden Gesinnungswandel. Warum dies der Fall war, lässt Decker vorläufig offen; sein Vorschlag, "das Pochen auf die eigenen Souveränitätsrechte, gerade in kleineren Herrschaften, und in Verbindung damit die fehlende Rechtsaufsicht von oben" (159) zu den Ursachen zu zählen, erscheint gerade im Licht neuerer und neuster Forschungen zur Dialektik zwischen Herrschaftsausübung und Verfolgung indes mehr als plausibel.

"Die Päpste und die Hexen" ist eine Aufklärungsschrift im besten Sinn, die aufgrund ihres unprätentiösen Stils und des Verzichts auf einen furchteinflößenden Anmerkungsapparat einen über das Fachpublikum hinausgehenden Leserkreis ansprechen könnte. Umso erstaunlicher wirkt der bereits erwähnte Kontrast zur äußeren Aufmachung, an der - so unsere Vermutung - der Verlag nicht ganz unschuldig gewesen sein wird. Was die im Untertitel angekündigten "geheimen Akten der Inquisition" angeht, so setzen diese mit der Gründung der römischen Inquisition 1542 ein. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Rainer Decker zu den ersten Wissenschaftlern gehörte, denen 1996 Einlass ins Archiv des Heiligen Offiziums gewährt wurde, zwei Jahre vor der offiziell verkündeten Öffnung für die Forschung. Was darin zu finden ist, trägt "zum Abbau alter Klischeevorstellungen über 'die' Inquisition und damit zu einem differenzierten Bild einer prägenden Institution des neuzeitlichen Europa bei" (8).

An diese Institution führt der Verfasser seine Leser in den ersten sieben, knapp die Hälfte des Bandes ausmachenden Kapiteln heran. Darin zeichnet er, vom Frühen Mittelalter ausgehend, Vorgeschichte und Genese des "klassischen" Hexenbildes nach, so wie es in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu seiner in der Folge nur noch wenig modifizierten Ausprägung kommen sollte. Schade, dass Decker die "fünf grundlegenden Traktate" (43) aus der zuletzt angesprochenen "Reifezeit" nach wie vor nach Joseph Hansen (1901) zitiert, und nicht nach der kommentierten Lausanner Neuedition. [1] Bei seinem historischen Abriss reflektiert Decker immer wieder den Anteil einzelner Päpste am entstehenden Hexensabbat, ein Anteil, der in den meisten Fällen als "reaktiv" bezeichnet werden kann. Die treibenden Kräfte waren vor Ort. Eine Ausnahme macht der Autor beim savoyischen Gegenpapst Felix V., vor seiner Wahl durch das Basler Konzil Herzog Amadeus VIII. (nicht Amadeus I.), dessen Rolle jedoch weiter zu untersuchen ist: Herrschaftliche Gemengelagen machen auch im Herzogtum Savoyen "Schuldzuweisungen" zu einer delikaten Sache.

Zum Kernanliegen seines Buchs stößt Decker in Kapitel 8 vor. Mit der römischen Inquisition verfügte der Heilige Stuhl über eine gut organisierte Behörde, an deren Beratungen der Papst in der Regel selbst teilnahm und die Ober- und Mittelitalien mit einem "engmaschigen Netz von Inquisitoren" (76) überzog. Was die Verfolgung vermeintlicher Hexen und Hexer angeht, so zeigte sich diese Institution zunehmend zurückhaltender, wobei ihre Skepsis nicht der Existenz von Hexen an sich galt, sondern der einem Prozess zugrunde liegenden Beweisführung. Dieser Standpunkt materialisierte sich in der Hexenprozessinstruktion des Heiligen Offiziums, die 1625 erstmals veröffentlicht wurde, nachdem sie zuvor bei Bedarf Inquisitoren und Bischöfen zugestellt worden war. Von besonderer Bedeutung war die Ablehnung des Vorwurfs gegen Dritte, am Hexensabbat teilgenommen zu haben - ein Anklagepunkt, der nördlich der Alpen unkontrollierten Massenverfolgungen Tür und Tor öffnete. Der Unwille, solchen Vorwürfen stattzugeben, entsprang der Befürchtung, dass sie diabolischer Täuschung entspringen könnten.

Die Zurückhaltung Hexensabbat und -flug gegenüber bedeutet aber nicht, dass sich der Heilige Stuhl und die Inquisition anderen okkulten Erscheinungen gegenüber genauso skeptisch verhalten hätten. Magische Praktiken wurden verfolgt, in den meisten Fällen aber mit Kirchenbußen und Haft bestraft. Selbst Rückfällige, welche an sich die Todesstrafe zu gegenwärtigen hatten, "wurden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, seit der Mitte des 17. Jahrhunderts nicht mehr 'dem weltlichen Arm' ausgeliefert" (144).

Das Fazit haben wir eingangs bereits vorweggenommen: Rainer Decker ist ein gut lesbares und dank der eingewobenen Fallbeispiele auch anschauliches Buch gelungen, das einen wertvollen Einblick in eine an Widersprüchen nicht arme Epoche vermittelt. Aufklärung, nicht Enthüllung ist sein Anliegen, und dem wird es gerecht. Dass im Rahmen der beschränkten Seitenzahl nicht alles gesagt und untersucht werden konnte, versteht sich von selbst.

Anmerkung:

[1] Martine Ostorero / Agostino Paravicini Bagliani / Kathrin Utz Tremp / Catherine Chène (Hg.): L'imaginaire du sabbat. Edition critique des textes les plus anciens (1430 c.-1440 c.) (= Cahiers lausannois d'histoire médiévale; 26), Lausanne 1999.

Georg Modestin