sehepunkte 4 (2004), Nr. 9

Anne-Dore Ketelsen-Volkhardt: Georg Flegel 1566-1638

Die laut Klappentext "bislang umfassendste Publikation zu Flegels Leben und Schaffen" von Anne-Dore Ketelsen-Volkhardt erweist sich als eher unfertiger Text, der sowohl sprachlich als auch inhaltlich diverse Probleme aufwirft.

Doch zunächst zu Aufbau und Inhalt des Buches, das in zwei etwa gleich große Teile gegliedert ist: die so genannte Einführung (7-160) und der Katalog (161-300). Die recht ausführlich ausgefallene "Einführung" ist wiederum in Kapitel unterteilt, von denen sich das erste der Bedeutung des Stilllebens im allgemeinen und seine besondere Ausprägung bei Flegel widmet (7-19). Es wird gefolgt von einer Darlegung der historischen Daten zu Flegels Leben und Ausbildung (20-32). Ein weiteres Kapitel analysiert die Zusammenarbeit Flegels mit Lucas van Valckenborch (33-53). Es folgt eine eingehende Untersuchung der Entwicklung von Flegels Kompositionsschemata (54-106) sowie ein Kapitel mit der Überschrift "Sinndeutungen des Stillebens", in dem inhaltliche Interpretationen der Bilder diskutiert werden (107-127). Ein weiteres Kapitel beleuchtet den soziokulturellen Hintergrund der "Kultur des Essens" (128-138). Die "Einführung" schließt mit einem Resümee (139-143) sowie mit Erklärungen zur Gliederung des sich anschließenden Kataloges (144-146).

Im Katalogteil werden zunächst die Werke aufgeführt, die in Zusammenarbeit mit Lucas van Valckenborch und seiner Werkstatt entstanden sind (163-173). Es schließen sich die Arbeiten Georg Flegels nach Motiven geordnet an (174-300). Fast alle Werke sind in schwarz-weiß abgebildet, eine Auswahl erscheint als Farbabbildung. Jeder Katalogeintrag enthält Informationen über Material, Größe, Bezeichnungen, Provenienz, derzeitige Besitzer sowie Literatur zu den einzelnen Bildern. Ein kleiner Text liefert jeweils eine ausführliche Bildbeschreibung mit Bemerkungen zur Malweise und zu den dargestellten Objekten. Mit einer Diskussion der Datierung oder Hinweise auf vergleichbare Kompositionen werden die Bilder in das Gesamtœuvre eingeordnet. Das Buch schließt mit einer Liste der abgekürzt zitierten Literatur (301-316).

Bei den einzelnen Einträgen nehmen die genaue Beschreibung der Bildgegenstände und ihr kompositioneller Aufbau einen besonders großen Raum ein. Hinweise auf inhaltliche Deutungen der Motive fehlen hingegen vollständig. Dennoch kann dieser catalogue raisonné zum Gesamtœuvre Flegels in seiner Vollständigkeit und schieren Ausführlichkeit als gelungenster Teil der Publikation angesehen werden.

Der übrige Text wirft hingegen verschiedene Probleme auf, die im Folgenden auf Basis des ersten Kapitels exemplarisch erläutert werden sollen. So schreibt Ketelsen-Volkhardt beispielsweise in einer Passage gleich zu Beginn des Kapitels, in der es um eine Klärung des Begriffs "Stilllebens" geht: "Wolfgang J. Müller hatte 1956 für die Gattung eine treffende Definition gegeben: Der deutsche Begriff "Stillleben" als volkstümlich-poetische Erklärung "stilles Leben" sei unzutreffend, da "leven" in der holländischen Malersprache "Modell heißen würde. Ein "vrouwenleven" sei demnach ein Bild nach dem weiblichen Modell." (7)

Mit Erklärungen wie diesen wird der Leser ins inhaltliche Nichts geführt. So meint man zwar zu erfahren, wie Müller das Stillleben nicht definiert wissen möchte; was er stattdessen vorschlägt, wird einem von der Autorin jedoch vorenthalten. Dafür wird der Begriff "vrouwenleven" erklärt, der weder zuvor Verwendung fand, noch später wieder auftauchen wird. Auf eine abschließende Definition der Autorin wird man schließlich vergeblich warten. Klärung bringt hingegen ein Blick auf den ursprünglichen Text von Müller, der in der betreffenden Passage, die Ketelsen-Volkhard übrigens in großen Teilen wörtlich zitiert, nicht seine eigenen Gedanken, sondern die des Autors A. P. A. Vorenkamp wiedergibt. Außerdem stellt die Passage bei Müller nur den Nachsatz zu einer ausführlicheren Begriffsdiskussion dar. Es handelt sich also um ein nicht gekennzeichnetes Zitat im Zitat, das dem Leser vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen als Schlüsselstelle präsentiert wird.

Man könnte diese Beobachtungen nun als pedantisch abtun - würden sich die hier aufscheinenden Symptome nicht wie ein roter Faden durch jedes Kapitel des Buches ziehen, sodass sich das Lesen als äußerst anstrengendes und frustrierendes Unterfangen gestaltet. Unsauberes Argumentieren mischt sich mit unsauberer Verwendung von Begriffen: Mal ist das "Stillleben" eine "Gattung" (7), mal ein "Sujet" (11), mal ein "Motiv" (11), mal eine "Bildform" (12). Das Zitieren von Forschungsliteratur ist oft verwirrend, da die Autorin in der indirekten Rede den Konjunktiv mal verwendet, mal aber auch nicht. Satzanfänge wie beispielsweise "Ein anderer Interpretationsansatz von Alpers..." überrumpeln den Leser, da in der Auseinandersetzung mit Alpers im vorherigen Absatz gar kein Interpretationsansatz dargelegt wurde (10). Oder ein Absatz beginnt mit "Aber genau aus diesem kritisierten Grunde...", ohne dass man zu erkennen vermag, wer aus dem vorherigen Absatz (Panofsky? Friedländer?) was kritisiert hat (10).

Autoren werden zitiert, meist aber nicht in positiven Aussagen, sondern in negativen, das heißt in Stellungsnahmen gegen eine andere Meinung, um dann von der Autorin sogleich wieder gegen eine weitere Meinung abgesetzt zu werden. Aussagen oder Thesen, die eindeutig die Meinung der Autorin repräsentieren, lassen sich im Argumentations-Dickicht nur schwer herausfiltern. Man wundert sich über plötzlich eingeführte Begrifflichkeiten und Diskurse, die vermutlich jedes Mal aus dem Zusammenhang der jeweils verwendeten Literatur stammen und dort in einer stringenten Argumentation Sinn machen, im neuen Kontext jedoch immer wieder in Sackgassen führen. Symptomatisch für den unreflektierten Umgang mit älterer Forschungsliteratur ist auch die Verwendung von Huizinga, dessen Auslassungen aus seiner "Holländische Kultur im 17. Jahrhundert" von 1961 von der Autorin fast wie eine historische Quelle zur Beweisführung zitiert werden (13).

Das unsystematische Zitieren aus verschiedenen Zusammenhängen führt dazu, dass die einzelnen Absätze oft in keiner nachvollziehbaren Weise aneinander gereiht sind. Ein roter Faden in der Argumentation geht häufig verloren, zusammenfassende Abschnitte fehlen meist. Manchmal folgt der Leser einer komplizierten Darlegung, nur um dann zu erfahren, dass der diskutierte Aspekt für Flegel eher keine Relevanz besitzt (122,123).

Aus manchen vollmundigen Behauptungen der Autorin scheint die pure Unkenntnis zu sprechen, wie etwa aus ihrer negativen Einschätzung der bisherigen Leistungen der Kunstgeschichte: "Es mutet merkwürdig an, daß der Schwerpunkt der kunsthistorischen Betrachtung in der Analyse der Inhalte und Bedeutungen der Bilder liegt. Es wird über die ökonomischen Hintergründe ihrer Entstehung und über die Auftraggeber informiert, aber über die Maler der Bilder, die Folgen ihres sozialen Hintergrundes und ihre mögliche Motivation wurde, außer in Anekdoten, weniger nachgedacht und das Fehlen an Informationen wurde kaum als Mangel empfunden" (31).

Auf Grund der oben angesprochenen problematischen Strukturierung des Textgefüges gelingt es der Autorin nicht immer, dem Leser ihre Standpunkte zu verdeutlichen. Prinzipiell lässt sich festhalten, dass Ketelsen-Volkhardt die Bedeutung von Flegels Stillleben nicht in ihrer symbolisch-inhaltlichen Deutung sieht. In vielen Fällen lehnt sie die Möglichkeit einer religiösen oder moralisierenden Interpretation überhaupt ab. Die Autorin legt den Schwerpunkt vielmehr auf die formalen Gestaltungsprinzipien der Bilder sowie ihren soziokulturellen Hintergrund. In dieser Hinsicht bietet das kleine Kapitel über die "Kultur des Essens" interessante Einsichten über das Stillleben als Spiegel für die Ess- und Benimmkultur seiner Zeit.

Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass der gesamte Text des ersten Teiles an sprachlichen und inhaltlichen Schwächen leidet, die eigentlich vor einer Veröffentlichung hätten behoben werden sollen. Die Autorin arbeitet sich, in weiten Teilen kompilierend, an der bisherigen Forschungsliteratur ab, ohne wissenschaftlich immer zu überzeugen. Für eine Auseinandersetzung mit Georg Flegel, einem der bedeutendsten deutschen Barockmaler, bleiben die bisher erschienenen, gut recherchierten und strukturierten Publikationen daher nach wie vor maßgeblich. [1]


Anmerkung:

[1] Wolfgang J. Müller, Der Maler Georg Flegel und die Anfänge des Stillebens, Frankfurt 1956. - Kurt Wettengel, Die Mahlzeitenstilleben von Georg Flegel, Diss. Osnabrück 1983. - Hanna Seifertová, Georg Flegel, Prag 1991. - Georg Flegel 1566-1638. Stilleben, hg. von Georg Wettengel, Ausst.-Kat. Frankfurt, Ostfildern-Ruit 1993 (2. erw. Auflage 1999).

Rezension über:

Anne-Dore Ketelsen-Volkhardt: Georg Flegel 1566-1638 (= Monographien zur Deutschen Barockmalerei), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2003, 318 S., 96 Abb., ISBN 978-3-422-06378-5, EUR 48,00

Rezension von:
Ariane Mensger
Heidelberg
Empfohlene Zitierweise:
Ariane Mensger: Rezension von: Anne-Dore Ketelsen-Volkhardt: Georg Flegel 1566-1638, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [15.09.2004], URL: https://www.sehepunkte.de/2004/09/6075.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.