Rezension über:

Richard Strobel (Red.): Parlerbauten - Architektur, Skulptur, Restaurierung. Internationales Parler-Symposium, Schwäbisch-Gmünd, 17. - 19. Juli 2001 (= Arbeitsheft / Baden-Württemberg / Landesdenkmalamt; Bd. 13), Stuttgart: Theiss 2004, 309 S., ISBN 978-3-8062-1882-4, EUR 45,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Gerhard Lutz
Dom-Museum Hildesheim
Redaktionelle Betreuung:
Ulrich Fürst
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Lutz: Rezension von: Richard Strobel (Red.): Parlerbauten - Architektur, Skulptur, Restaurierung. Internationales Parler-Symposium, Schwäbisch-Gmünd, 17. - 19. Juli 2001, Stuttgart: Theiss 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 10 [15.10.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/10/7273.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Richard Strobel (Red.): Parlerbauten - Architektur, Skulptur, Restaurierung

Textgröße: A A A

Der 650. Jahrestag der Grundsteinlegung für den Chorneubau des Heilig-Kreuz-Münsters in Schwäbisch Gmünd bot den Anlass für ein internationales Kolloquium, in dessen Zentrum die Architekten- und Bildhauerfamilie der Parler stand. 23 Jahre nach der epochalen Kölner Ausstellung 'Die Parler und der schöne Stil 1350-1400', bei der viele Fragen aufgeworfen wurden, war es Zeit für eine kritische Bilanz. Von den 36 Beiträgen des Bandes sollen hier einige herausgegriffen werden, die in besonderer Weise den Stand der gegenwärtigen Forschung um Heinrich und Peter Parler widerspiegeln sowie die Situation in Prag nach der Mitte des 14. Jahrhunderts beleuchten.

Eine der traditionellen Fragestellungen betrifft die mögliche Herkunft Heinrich Parlers aus Köln. Hier öffnet insbesondere der Beitrag von Marc Carel Schurr neue Perspektiven (Heinrich und Peter Parler am Heiligkreuzmünster in Schwäbisch Gmünd, 29-38), in dem er die Bezüge des Gmünder Neubaus diskutiert (dazu auch ausführlicher in der Dissertation des Autors: http://www.sehepunkte.de/2004/05/5646.html). Schurr kann plausibel darlegen, dass die erste Phase des Kirchenneubaus mit den unteren Teilen der Westfassade im Kontext anderer schwäbischer Kirchenbauten um 1330 anzusetzen ist. Schon bald muss es zu einem Wechsel in der Hüttenleitung gekommen sein, denn das Langhaus wurde mit einem veränderten Formenrepertoire errichtet und war bereits 1341 unter Dach. Der Autor zeigt enge Verbindungen zum Augsburger Domneubau mit seinen ab 1335 entstandenen Bauteilen auf. Die Form der Rundpfeiler und die Kapitellzier entsprechen sich bis in Details. Hier kommt nun Köln ins Spiel, denn der Augsburger Domchor ist der einzige echte Nachfolger des Kölner Domchores auf deutschem Boden. Dies lässt sich heute in erster Linie noch am Grundriss ablesen, wurde doch der aufgehende Bau nach Verzögerungen und Rückschlägen stark verändert realisiert (34). So schlägt Schurr vor, dass man in Augsburg einen Kölner Architekten verpflichtete, möglicherweise Heinrich Parler, der zunächst die Gewölbe und Seitenschiffe des Langhauses erneuerte. Parallel dazu beziehungsweise wenig später vollendete Heinrich Parler das Gmünder Langhaus und begann den dortigen Chorneubau.

Mehrere Beiträge gehen der Frage nach dem Horizont der Architekten nach: So geht man auch bei Peter Parler von einem Aufenthalt in Köln aus. Barbara Schock-Werner zeigt hier auf (Die Parler stecken im Detail (Teil I) - Birnstabprofile in Köln und Prag, 57-61), dass die in der Südturmhalle des Kölner Domes auftretenden Sockel mit Birnstabprofilen in auffallend ähnlicher Form auch an der Wenzelskapelle des Prager Veitsdoms zu finden sind, beide etwa parallel zueinander nach 1260 entstanden. Darüber hinaus scheint auch ein Besuch in England möglich, wie Paul Crossley auf Grund von Vergleichen vermutet (Peter Parler and England - A problem re-visited, 155-179).

Peter Parler war nachweislich nicht nur als Architekt bahnbrechend, sondern leistete auch als Bildhauer Herausragendes. In diesem Bereich lassen sich die auffallendsten Veränderungen in der Forschung feststellen, die auf eine Differenzierung und Relativierung der Bedeutung Peter Parlers hinauslaufen und die größere Vielfalt in der Kunst Prags im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts betonen. Robert Suckale ist es zu verdanken, die aktuellen Fragen zum Œuvre des Künstlers zu konkretisieren (Über die Schwierigkeiten, Peter Parler Skulpturen zuzuschreiben, 197-205). Als gesichert darf lediglich die Grabstatue König Ottokars I. von 1377 gelten. Diese gab für die anderen Figuren dieses Zyklus das Vorbild, ohne dass man sie eindeutig demselben Bildhauer zuschreiben könnte. Bereits die Wenzelsstatue im Veitsdom bereitet ein Problem, seit man nachgewiesen hat, dass das zugehörige Wappenschild mit der Jahreszahl 1373 und dem Parlerschen Winkelhaken eine Anstückung aus einem anderen Material ist. Ohnedies würde man ohne diese Signatur kaum vermuten, dass es sich um ein Werk desselben Künstlers handelt.

Suckale geht sicher zu Recht davon aus, dass der Erfindungsreichtum Peter Parlers, der für die Architektur gut fassbar ist, auch für seine Skulpturen zu gelten hat. Dies belegt schon der ungewöhnliche Charakter der Grabfigur Ottokars. Dabei wird Peter Parler zwar der führende Bildhauer der Prager Dombauhütte gewesen sein, aber nur wenige Werke selbst ausgeführt haben. Die Entwürfe wird man auf ihn zurückführen können. Ebenso wird er seine Gehilfen beaufsichtigt haben. So dürften beispielsweise an den Triforiumsbüsten mehrere Gehilfen tätig gewesen sein, die alle auf einem gleichermaßen hohen Niveau arbeiteten. Suckale vermutet auf Grund der Lebendigkeit der Gestaltung am ehesten in der Büste des Baurektors Benesch von Weitmühl eine eigenhändige Arbeit Peter Parlers.

Exemplarisch analysiert Suckale im Folgenden die stehende Muttergottes aus der Breslauer Magdalenenkirche (heute im Warschauer Nationalmuseum). Ihr Material, Pläner Kalkstein aus der Umgebung Prags, weist diese Skulptur als ein Importwerk aus. Der Autor arbeitet die neu durchdachte Komposition der Figur heraus. Sie ist geprägt durch Vereinfachung und Monumentalisierung - Faktoren, die auch für die Architektur Peter Parlers charakteristisch sind. Dies könnte in den Augen Suckales für eine Autorschaft des Künstlers sprechen. Dennoch bleibt er zu Recht vorsichtig, angesichts der äußerst schmalen Ausgangsbasis der für ihn gesicherten Arbeiten.

Eher am Rande bemerkt Suckale, dass, bezogen auf die Situation in Prag im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts, die künstlerische Vielfalt bislang zu wenig betont worden sei. Diesen Punkt greift Jiři Fait in seinem Beitrag zur Skulptur des dritten Viertels des 14. Jahrhunderts direkt auf (Peter Parler und die Bildhauerei des dritten Viertels des 14. Jahrhunderts in Prag, 207-220). An dieser Stelle wird der Bruch zur Parler-Ausstellung von 1978 wohl am deutlichsten. Anhand zweier Beispiele versucht Fait die über Jahrzehnte eingefahrene Position der tschechischen Forschung aufzubrechen, die von einer nach außen abgeschotteten Überbetonung des Werks von Peter Parler geprägt war.

Zunächst diskutiert Fait die Entstehung der Madonnenfigur vom Altstädter Rathaus, deren späte Datierung in die Zeit nach 1381 er - wie zuvor schon Suckale (vgl. den Beitrag von R. Suckale, 201) - verwirft und die er in die Zeit vor 1356 datiert. Als zusätzlichen Hinweis für eine frühe Entstehung verweist Fait auf die Rückseite der Figur, die nachträglich für die Anbringung an der Eckkonsole des Rathauses umgestaltet wurde. Fait greift einen Vergleich Robert Didiers mit der Muttergottes aus Poissy (Museum Mayer van der Bergh, Antwerpen) auf, die der Prager Bildhauer eigenständig neu interpretierte. Die Orientierung an einem französischen Vorbild spricht vor dem Hintergrund der Kunstpolitik Karls IV. ebenfalls für eine frühere Entstehung.

Als zweites Beispiel geht Fait auf das Tympanon des Nordportals der Marienkirche am Teyn ein. Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass das Tympanon und die zugehörigen Konsolen im Bauverlauf entstanden sind. Das Ensemble muss demzufolge um 1360 entstanden sein und nicht, wie man zuvor vermutete, erst gegen 1380. Die weitere Einordnung des Tympanons streift Fait nur: Er führt die Ikonografie mit der narrative Darstellung in mehreren Ebenen im Kern auf italienische Quellen zurück. Anderes glaubt Fait im Stundenbuch der Jeanne d'Evreux wieder zu finden. Insgesamt scheint hier aber durch die frühe Datierung des Tympanons die Diskussion erst eröffnet.

Fait rekonstruiert verschiedene Bildhauer im Prag der Zeit um 1360: Den Meister der Madonna vom Altstädter Rathaus beispielsweise findet er auch den Konsolen an der Teynkirche wieder, und möglicherweise war er in den späteren 1370er-Jahren auch an den Triforiumsbüsten des Veitsdoms beteiligt. Insgesamt gelingt so eine stärkere Differenzierung der künstlerischen Tätigkeit in diesem wichtigen Kunstzentrum.

Diesen Ansatz bestätigt Stefan Roller in seinem Beitrag (Die Nürnberger Frauenkirche und ihr Verhältnis zu Gmünd und Prag, 229-238), indem er betont, dass die neuen Entwicklungen in der Kunst um 1350 in Prag ohne die Parler einsetzten. Bei der Ankunft Peter Parlers, so legt er überzeugend dar, war am Veitsdom nicht nur die Architektur der Chorkapellen vollendet, sondern man hatte auch bereits mit deren Ausstattung begonnen (234). Roller geht besonders auf die Grabplatte Bořivojs II. ein, die auf Grund ihrer stilistischen Altertümlichkeit aus dem Rahmen fällt. Ein früheres Entstehungsdatum ist hier tatsächlich nahe liegend, auch wenn man den von Roller gezogenen Vergleich mit dem hl. Zacharias des Nürnberger Frauenkirche und einem der Propheten in den Archivolten des südlichen Chorportal in Schwäbisch Gmünd nicht ganz nachvollziehen möchte. Folgt man diesem neuen Datierungsvorschlag, hätte Karl IV. bereits 20 Jahre früher als bisher vermutet die Memoria der Přemisliden auf der Basis der Neugestaltung der Grablege in Angriff genommen.

Der Band enthält auch mehrere Beiträge zu den Verflechtungen zwischen den verschiedenen Bauhütten und den Auswirkungen der Parler. So legt Hans J. Böker für den Wiener Stephansdom eine neue Bauchronologie vor (Parlerisches am Wiener Stephansdom, 103-107). Böker geht davon aus, dass Rudolf der Stifter zwischen 1358 und 1365 den Chor von St. Stephan in Wien für das von ihm gegründete Kollegiatstift neu errichten ließ. Anschließend entstanden im Westen zwei eingeschossige Kapellenräume als fürstliche Oratorien mit den beiden Fürstenportale auf der Westseite, die heute - nachträglich versetzt - an den Langhauswänden angebracht sind. Hier bedauert man das Fehlen von aussagekräftigen Abbildungen.

Zusammengenommen liegt mit dieser Publikation eine wertvolle Bestandsaufnahme der Forschung zur Kunst und Architektur der Parler vor, die althergebrachte Denkmodelle kritisch hinterfragt und zum Teil neue Perspektiven eröffnet.

Gerhard Lutz