Rezension über:

Patrick J. Speelman (ed.): War, Society and Enlightenment. The Works of General Lloyd (= History of Warfare; Vol. 32), Leiden / Boston: Brill 2005, xvii + 747 S., ISBN 978-90-04-14410-1, EUR 199,00
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Rezension von:
Daniel Hohrath
Esslingen
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Hohrath: Rezension von: Patrick J. Speelman (ed.): War, Society and Enlightenment. The Works of General Lloyd, Leiden / Boston: Brill 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/9288.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "Militärgeschichte der Frühen Neuzeit" in Ausgabe 6 (2006), Nr. 3

Patrick J. Speelman (ed.): War, Society and Enlightenment

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Dass die Militärschriftstellerei des 18. Jahrhunderts als durchaus wichtiger Zweig der europäischen Aufklärung anzuerkennen ist, hat sich in den letzten Jahren langsam herumgesprochen. Dies gilt für die Geschichtswissenschaft insgesamt wie für die Spezialisten der Militärgeschichte und Kriegstheorie, wo sich ein zunehmendes Interesse an den Theoretikern einer begrenzten, kontrollierten Kriegführung zeigt. Sehr lange hatte die von der Clausewitz-Rezeption bestimmte militärische Geistesgeschichte dessen "Vorläufer" mit Verachtung abgetan und dabei die polemische Kritik des preußischen Kriegsphilosophen an den 'Methodikern' nicht nur übernommen, sondern noch gesteigert. In diesem Zusammenhang finden Lloyd und seine Schriften denn auch zwar stets Erwähnung, aber meist nur als Beispiel für ein von Clausewitz überwundenes Kriegsbild. Dabei ist Lloyd ohne Zweifel eine für die Militärgeschichtsschreibung und für das militärische Denken der Aufklärung zentrale Figur, die bislang eindeutig zu wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Zutiefst davon überzeugt ist auf jeden Fall Patrick J. Speelman, der einer eher schmalen Biographie [1] nun zeitnah die hier zu besprechende Werkausgabe der Schriften Lloyds hat folgen lassen.

Der Lebensweg und die internationale militärische Karriere von Henry Humphrey Evans Lloyd (gest. 1783) tragen durchaus abenteuerliche Züge, wie sie für das 17. und 18. Jahrhundert gar nicht so selten sind. Geboren als walisischer Pfarrerssohn - das Geburtsjahr ist unklar, Speelman schreibt in der Biographie statt dem fragwürdigen "c. 1729" auch einmal "circa 1720" [2] - entzog er sich nach einer recht kurzen Studienzeit in Oxford der vorgezeichneten geistlichen Berufslaufbahn in der britischen Provinz und zog durch Europa. Nach einigen Jahren in der Obhut des Jesuiten-Ordens und nach militärtechnischen Studien in Spanien begann eine abwechslungsreiche militärische Wanderschaft: Seit 1744 nahm er bei der französischen Armee am Österreichischen Erbfolgekrieg teil, beteiligte sich zwischendurch am Jakobitenaufstand auf der britischen Insel, wurde dort als Spion inhaftiert und bewährte sich dann aber wieder 1747 in Flandern bei der Belagerung von Bergen-op-Zoom. Im Siebenjährigen Krieg diente Lloyd zuerst im Stab und als Führer leichter Truppen der österreichischen Armee, später wechselte er in ähnlichen Funktionen zur Gegenseite unter dem Herzog von Braunschweig auf dem westlichen Kriegsschauplatz. Geheimdienstliche Tätigkeiten für die britische Regierung und verschiedene militärische Funktionen bei diversen Dienstherren führten ihn auch nach dem Krieg weit herum, zum Korsischen Aufstand 1768 und schließlich von 1772 bis 1776 als Generalmajor in die russische Armee, wo er im Türkenkrieg reüssierte. Abwechselnd in Frankreich, Flandern und England lebend, beriet er die britische Regierung hinsichtlich der Abwehr einer französischen Invasion und war zeitweilig im Gespräch als Führer der Loyalistischen Truppen in Amerika. Ein unstetes Leben, das ihm gleichwohl Zeit ließ für eine schriftstellerische Produktion, die ihm ebenso Aufmerksamkeit wie auch Schwierigkeiten eintrug.

Auch hierin ein typischer Vertreter seiner Zeit, beschränkte sich Lloyd nicht auf sein militärisches Fachgebiet, sondern beteiligte sich mit "An Essay on the English Constitution" (1770) an der aktuellen politischen Diskussion in Großbritannien und veröffentlichte kurz darauf eine finanzwissenschaftliche Studie unter dem Titel "An Essay on the Theory of Money" (1771). Beide Schriften nehmen mit zusammen 137 Seiten allerdings nur einen kleinen Teil des Bandes ein. Aufsehen erregte er in der angespannten militärischen und politischen Lage während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges mit der Schrift "A Rhapsody on the Present System of French Politics; on the projected Invasion, and the Means to defeat it", die 1779 erstmals erschien und ihm wegen der eingehenden und kritischen Darstellung der englischen Verteidigungsvorkehrungen den Vorwurf des Geheimnisverrats einbrachte. In dieser schmalen Studie findet sich exemplarisch das, was die besondere Bedeutung Lloyds als Militärschriftsteller ausmacht: die unzertrennliche Verbindung politischer, geographischer und militärischer Aspekte.

Sein Hauptwerk "The History of the late War in Germany", das, der chronologischen Anordnung nach den Erscheinungsterminen der drei Teile (1766, 1781 und 1790) folgend, mit rund 500 Seiten den ersten, fünften und sechsten Abschnitt von Speelmans umfänglicher Edition füllt, beschäftigt sich mit der Geschichte des Siebenjährigen Krieges. Lloyds Geschichte stellte jenseits der schon während des Krieges erschienenen publizistischen Kompilationen von Kriegsberichten und Flugschriften den ersten Versuch einer geschlossenen militärischen Darstellung und Analyse dieses Krieges dar, der die strukturellen Probleme von Heerwesen und Kriegführung des 18. Jahrhunderts krisenhaft deutlich machte. Über die Ereignisgeschichte und Analyse der militärischen Operationen hinaus entwickelte Lloyd in breit angelegten Einleitungskapiteln seine theoretischen Ansätze der Kriegskunst und Strategie, die europaweit rezipiert und im Rahmen seiner Kriegsgeschichte sowie separat ins Deutsche und Französische übersetzt wurden.

Während Lloyds Überlegungen zur Kriegstheorie erst im Laufe des 19. Jahrhunderts in die Vergessenheit gedrängt wurden, wie oben bereits erwähnt, wurde seine Darstellung der Kriegsereignisse bereits zeitnah heftig kritisiert; sie wirkte dadurch umso befruchtender auf andere Autoren. So verfasste der preußische Offizier Georg Friedrich v. Tempelhoff ausgehend von dem Versuch einer Übersetzung von Lloyds Werk schließlich eine eigene umfangreiche und bis heute wertvolle Darstellung des Krieges. [3] Die zeitgenössischen Einwände lassen sich freilich nicht nur auf borussische Verteidigung des preußischen "Roi Connétable" Friedrich gegen Lloyds teilweise harsche Kritik reduzieren; hier macht es sich Speelman allzu leicht (5).

So sind wir an dem Punkt angekommen, an dem doch einige kritische Anmerkungen zu der an sich überaus begrüßenswerten Neuausgabe der Schriften Henry Lloyds erforderlich sind. Kritische Editionen, aber auch einfachere kommentierte Nachdrucke und Reprints sind allemal eine nützliche Sache. Sie haben die Aufgabe, unbekannte, nur umständlich erreichbare, nur eingeschränkt benutzbare oder schwer lesbare Texte einer weiten Leserschaft unterschiedlicher Spezialisierungsgrade problemlos und bei geringen Kosten frei zugänglich zu machen. Ihr Nutzwert erhöht sich, je mehr sie diesen Kriterien entsprechen. Wie sieht es nun im vorliegenden Falle damit aus?

Patrick J. Speelman hat sich - ohne dies besonders zu thematisieren - entschieden, nur die gedruckten Werke Lloyds neu herauszugeben. Der Verzicht auf die Wiedergabe von wenigstens einer Auswahl seiner weit verstreuten ungedruckten Briefe und Denkschriften, von denen sich zumindest einige in den Fußnoten der Biographie finden, ist sehr bedauerlich und letztlich schwer nachvollziehbar. Die erfahrungsgesättigte Karriere des polyglotten Intellektuellen legt nahe, dass hier aufschlussreiches Material nicht nur über den geistigen Entwicklungsgang Lloyds, sondern zur europäischen (Militär-)Geschichte des 18. Jahrhunderts überhaupt zu erwarten gewesen wäre. Dieser Zurückhaltung gegenüber erscheint der Aufwand, die vorhandenen Drucke neu zu setzen, eher unverhältnismäßig groß, zumal die Originale in bequem lesbarer Antiqua vorliegen.

Hier haben wir es möglicherweise mit wirtschaftlichen Zwängen und Forderungen des Verlages zu tun, die dem Herausgeber nicht angelastet werden können. Anderes gilt für die editorische Leistung Speelmans, denn die ist doch ziemlich bescheiden. Er beschränkt sich auf kurze Einleitungen von 2 bis 4 Seiten, deren wertvollsten Bestandteil die jeweilige "Publishing History" bildet; auf eine weitere Einordnung der jeweiligen Texte in den Rahmen der florierenden militärwissenschaftlichen Literatur der Zeit und Vergleiche mit anderen Autoren verzichtet er völlig. (Nur relativ wenig mehr bietet die bereits genannte Biographie in dieser Hinsicht.) In der hier zu besprechenden Edition selbst bietet der Herausgeber lediglich wenige, oft zufällige Hinweise auf Sekundärliteratur zu größeren geschichtlichen Zusammenhängen und ergänzt die bei Lloyd bereits vorhandenen Erläuterungen zu den im Text erwähnten Persönlichkeiten um weitere, ohne sich dabei allerdings um Vollständigkeit zu bemühen. So erfährt der Leser, dass es sich bei "lieutenant general Treskow" um "Joachim Christian von Tresckow (1698-1762)" handele, während der unmittelbar folgende "major general Pannewitz" ohne Fußnote bleibt. Fehler wie der, den als Volontair bei Kolin kämpfenden "duke of Wurtenberg" mit dem regierenden Herzog Carl Eugen statt korrekt mit dessen jüngerem Bruder Ludwig Eugen von Württemberg zu identifizieren, kommen hinzu (121 f.).

Dafür gibt es weder Erläuterungen von Ortsnamen noch von militärischen Sachbegriffen oder gar Verweise auf den neueren (d.h. seit 1790 erreichten) Kenntnisstand über die militärischen Vorgänge; gerade hier würden nicht kriegsgeschichtlich spezialisierte Leser (also fast alle) Hilfestellungen des Herausgebers sicher zu schätzen wissen. Hier zeigt sich auch, dass Speelman zumindest mit der hier wirklich unverzichtbaren deutschsprachigen Forschung - der älteren wie erst recht der neueren - kaum vertraut ist, nicht einmal das klassische "Generalstabswerk" zum Siebenjährigen Krieg findet Erwähnung. Auch wenn deutsche Titel einmal genannt sind, scheint deren Verständnis angesichts der massierten Zitierfehler unsicher.

Letztlich geht der Nutzwert daher kaum über den eines fotomechanischen Nachdrucks der Originalausgaben hinaus. Die enthaltenen Faksimiles der Kupferstich-Illustrationen sind qualitativ mäßig, womit auch die aufwendig eingefügte mehrfach gefaltete Karte des Kriegsschauplatzes, die trotzdem noch eine Lupe fordert, nicht versöhnt. Es bleibt die Freude darüber, dass Lloyds Werke nunmehr zwischen zwei soliden Buchdeckeln problemlos greifbar sind, wodurch Fernleihen sowie der Aufenthalt in Sonderlesesälen obsolet gemacht werden. "Problemlos greifbar" setzt allerdings die Finanzierbarkeit der Anschaffung voraus; der atemberaubende Preis des Bandes dürfte dessen Verbreitung ernsthaft behindern.


Anmerkungen:

[1] Patrick J. Speelman: Henry Lloyd and the Military Enlightenment of Eighteenth-Century Europe (= Contributions in Military Studies; Bd. 221), Westport/Ct. 2002.

[2] Ebd., S. 5.

[3] Georg Friedrich Tempelhoff: Geschichte des Siebenjährigen Krieges in Deutschland zwischen dem Könige von Preußen und der Kaiserin Königin mit ihren Alliirten vom General Lloyd, 6 Bde., Berlin 1783-1801; Neudruck mit einer Einleitung von Kurt Peball, Osnabrück 1986.

Daniel Hohrath