Rezension über:

Jean-Baptiste Henry (OPraem): Tagebuch der Verbannungsreise (1792-1802). Eingeleitet, bearbeitet und übersetzt von Bernward Kröger (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen; XIX), Münster: Aschendorff 2006, XII + 290 S., ISBN 978-3-402-06774-1, EUR 41,00
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Rezension von:
Wolfgang Kruse
Historisches Institut, FernUniversität Hagen
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Kruse: Rezension von: Jean-Baptiste Henry (OPraem): Tagebuch der Verbannungsreise (1792-1802). Eingeleitet, bearbeitet und übersetzt von Bernward Kröger, Münster: Aschendorff 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 9 [15.09.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/09/12634.html


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Jean-Baptiste Henry (OPraem): Tagebuch der Verbannungsreise (1792-1802)

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Bei dem "Tagebuch der Verbannungsreise" handelt es sich um eine Quelle aus dem Zusammenhang der klerikalen gegenrevolutionären Emigration aus Frankreich, die in den Jahren 1792 bis 1802 entstanden ist. Sie wird hier in einer von dem Theologiehistoriker Bernward Kröger sorgfältig kommentierten, zweisprachig - französisches Original, deutsche Übersetzung - editierten Form vorgelegt. Autor ist der 1742 geborene Prämonstratenser -Priesters Jean-Baptiste Henry, der zu Beginn der Französischen Revolution als Prior der Abtei von Ressons in der Erzdiözese Rouen tätig war, anschließend die von der Nationalversammlung beschlossene Zivilkonstitution des Klerus ablehnte und nach dem Sturz der Monarchie im Herbst 1792 als Eid verweigernder Priester aus Frankreich floh. Sein Weg führte ihn über England und die habsburgischen Niederlande schließlich nach Westfalen, wo er vom Sommer 1794 bis zum Mai 1802 in der Prämonstrenser-Propstei von Clarholz lebte.

Die Quelle selbst besteht aus verschiedenen Teilen. Im Kern beinhaltet sie 50 zumeist eher kurze, tagebuchartige Aufzeichnungen, die mit der Flucht aus Frankreich einsetzen und im September 1797 enden, als Henry nach dem Fructidor-Staatsstreich jede Hoffnung auf eine Rückkehr nach Frankreich aufgab. Es handelt sich dabei um recht gleichförmige Reisebeschreibungen, immer ergänzt durch Entfernungsangaben, in denen Henry Auskunft über seine Reiseziele und Erlebnisse gibt, wobei zumeist die jeweilige Aufnahme und Unterstützung im Mittelpunkt steht. Diese Kernquelle hat Henry nachträglich durch vorangestellte und eingeschobene historische Erläuterungen ergänzt, bei denen es sich überwiegend um wörtliche Auszüge aus zwei zeitgenössischen Schriften gegenrevolutionärer Tendenz handelt: aus der dreiteiligen "Histoire du clergé pendant la Révolution" des Exjesuiten Augustin Barruel (1793) und aus der Darstellung des königlichen Kammerdieners Cléry über die Gefangenschaft und die Hinrichtung Ludwigs XVI. (1798).

Auch wenn der Herausgeber die Quelle als ein "Zeugnis westfälischer Geschichte" (23) sieht, gehört sie zweifellos doch vor allem in den Zusammenhang der klerikalen Emigration aus dem revolutionären Frankreich. Insbesondere über zwei Themenbereiche kann sie Auskunft geben. Zum ersten wird deutlich, wie sehr sich die katholische Kirche als eine übernationale Gemeinschaft verstand und so zu einer großen Solidarität mit den aus Frankreich geflohenen Priestern, aber auch gegenüber anderen Emigranten fähig war. Nicht um das ausschweifende Leben adliger Emigranten, wie es etwa aus London oder Trier berichtet wurde, handelte es sich hier. Man versuchte vielmehr, den christlichen Grundsätzen treu zu bleiben und konnte dies oft mit der großzügigen Hilfe der Kirche, der Gläubigen und insbesondere der eigenen Ordensbrüder. Die Propstei Clarholz zeichnete sich dabei offenbar besonders aus, wie Henry, der ihre Gastfreundschaft acht Jahre genießen durfte, immer wieder betont.

Zum zweiten und vor allem ist die Quelle aber auch ein Zeugnis dafür, wie fundamental ablehnend und ohne jedes Verständnis der Eid verweigernde Klerus dem welthistorischen Ereignis der Französischen Revolution gegenüberstand, das schlicht als Verbrechen begriffen wurde. Die revolutionären Akteure erscheinen von Anfang an als "Räubergesindel", als "stumpfsinniger Pöbel", als "Verschwörer" und "Mörder" oder als "gottlose Deputierte" der "so genannten Verfassungsgebenden Versammlung", deren Erscheinen nur eines bedeuten konnte: "Die Hölle hatte ihren Schlund geöffnet." (57) Im Krieg hielt man dementsprechend selbstverständlich mit den äußeren Feinden des Dämons, und die fundamentale Ablehnung galt der Revolution en bloc, nicht etwa nur der Terrorherrschaft von 1793/94. Aus dieser Perspektive nahmen sich offensichtlich auch einschneidende Wendepunkte der Revolution wie etwa der Sturz Robespierres so unbedeutend aus, dass sie kaum Erwähnung finden. Und auch der Beginn des Direktoriums wird als schlichte Fortsetzung des revolutionären Terrors begriffen. Erst Napoleon Bonaparte erschien dann plötzlich in einem anderen Licht, nachdem er das Konkordat mit dem Papst geschlossen hatte und damit die Rückkehr der Emigranten ermöglichte. Viel Neues erfahren wir also eigentlich nicht, doch die genannten Zusammenhänge treten einmal mehr in deutlicher Weise zutage.

Wolfgang Kruse