Rezension über:

Max Bonacker: Goebbels' Mann beim Radio. Der NS-Propagandist Hans Fritzsche (1900-1953) (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; Bd. 94), München: Oldenbourg 2007, 289 S., ISBN 978-3-486-58193-5, EUR 24,80
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Rezension von:
Friedrich Ulf Röhrer-Ertl
Bayerischer Rundfunk, München
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Ulf Röhrer-Ertl: Rezension von: Max Bonacker: Goebbels' Mann beim Radio. Der NS-Propagandist Hans Fritzsche (1900-1953), München: Oldenbourg 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 3 [15.03.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/03/12717.html


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Max Bonacker: Goebbels' Mann beim Radio

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Obwohl seit der bis heute grundlegenden Abhandlung "Rundfunkpolitik im Dritten Reich" von Ansgar Diller (1980) einige Detailstudien erschienen sind, die sich mit Organisation, Funktion und Programminhalt des Rundfunks während des Nationalsozialismus beschäftigen, ist ihre Zahl - im Vergleich zur Forschung zu anderen Aspekten des NS-Regimes - weiterhin eher gering. Das mag unter anderem der unbestimmten Vorstellung entspringen, dass das Medium Rundfunk zu vergänglich und die Quellenlage dadurch allgemein zu dürftig sei, um hier Forschung betreiben zu können. Umso erfreulicher ist die vorliegende Arbeit, die das Gegenteil anschaulich beweist.

In seiner Dissertation, die in der Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte erschienen ist, unternimmt Max Bonacker den Versuch, mit der Biografie Hans Fritzsches das Lebensbild einer zentralen Gestalt des nationalsozialistischen Presse- und Rundfunkapparates vorzulegen. In der streng chronologisch aufgebauten Arbeit beschreibt er den Aufstieg des nationalkonservativen, aber vor allem karrierebewussten Mannes; zunächst, nach abgebrochenem Studium ab 1923 bei der Telegraphen-Union GmbH des Hugenberg-Konzerns angestellt, wechselte er 1932 als Chefredakteur zum Drahtlosen Dienst (Dradag, später DD), der zentralen, vom Staat kontrollierten Nachrichtenagentur der Rundfunkanstalten in der Weimarer Republik. Als diese im Mai 1933 in das neu geschaffene Propagandaministerium eingegliedert wurde, trat auch Fritzsche in gleicher Position in den Staatsdienst - und in die NSDAP - ein. Ab 1938/1939 war er dann als Leiter der täglichen Pressekonferenzen im Zentrum der Presselenkung des NS-Staates angelangt - freilich auch mitten in den Konflikten zwischen Reichspropagandaminister Goebbels und Reichspressechef Dietrich. Nach einem Fronteinsatz 1942, der wohl mit diesen Spannungen zusammenhing, wurde er zum Leiter der Rundfunkabteilung im Propagandaministerium befördert, wo er zunächst die Lenkung des Wort-, ab 1944 des Gesamtprogramms innehatte. In dieser Funktion war er dann - buchstäblich bis zum Erlöschen des nationalsozialistischen Rundfunks - für Organisation und Inhalt des Rundfunks verantwortlich.

Breiter Raum wird in einem eingeschobenen Abschnitt der Rolle Fritzsches als Kommentator eingeräumt. Vor allem durch die "Politische Zeitungs- und Rundfunkschau", in der er zu ausländischen Presse- und Rundfunkbeiträgen gemäß der Richtlinien der NS-Propaganda Stellung bezog, wurde er während des Zweiten Weltkriegs zu einer der prominentesten Stimmen des Regimes. Wie der Autor vor allem anhand von Stimmungsberichten und Hörerpost belegt, war Fritzsche zunächst durch seine scheinbar sachlichen, nur selten überzogenen Texte auch in der eigenen Bevölkerung als "objektive" Informationsquelle anerkannt, doch teilten seine Kommentare nach der Kriegswende bei Stalingrad das Schicksal der meisten Rundfunksendungen und wurden selbst innerhalb Deutschlands kaum noch als "Wahrheit" wahrgenommen.

Anhand mehrerer Themenkomplexe (Großbritannien, Europaperspektiven, Kriegsgegner Sowjetunion, Antijüdische Propaganda) untersucht Bonacker eine repräsentative Auswahl dieser Kommentare nach Inhalt, Stil und Rhetorik, wobei durchaus ein Bemühen Fritzsches erkennbar wird, an den Richtlinien des Propagandaministeriums entlanglavierend eine Aura der Professionalität und Offiziösität zu etablieren. Es war dann auch diese Selbstinszenierung, die Fritzsche die zweifelhafte Ehre einbrachte, mangels Auswahl beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher als Angeklagter das Propagandaministerium mit zu repräsentieren.

Kurz wird schließlich Fritzsches Schicksal nach dem Krieg dargestellt, von seiner Rolle in den Nürnberger Prozessen als (freigesprochenem) Hauptangeklagten und Zeugen und den sich daran anschließenden Spruchkammerverfahren über seine publizistischen Rechtfertigungsversuche bis hin zu seinen Bemühungen, als Werbefachmann wieder in ein geregeltes Berufsleben zurückzufinden. Sein früher Tod 1953 lässt die Frage offen, inwieweit er bei einem längeren Leben zu einem Teil der rechten Szene der jungen Bundesrepublik geworden wäre; doch ist die Beobachtung des Autors sicherlich richtig, dass Fritzsche, wenn er heute noch leben würde, gewiss in fast jeder Dokumentation über die NS-Zeit mitreden würde - so groß war sein Geltungsbewusstsein wie sein Talent, Menschen zu verführen.

Vor allem aufgrund eines weitgehend fehlenden Nachlasses tritt bei alledem die Privatperson Hans Fritzsches weit hinter seinem öffentlichen Ich zurück. Hier bleibt nur das Bild eines Pressefachmanns und Opportunisten, der zwar dem Regime inhaltlich durchaus nahe stand, den aber vor allem auch materielle Anreize zu einem willigen Werkzeug im Propagandaapparat des NS-Regimes machte.

Insgesamt ist Max Bonacker eine facettenreiche und gründliche Arbeit unter Aufarbeitung und Einbeziehung zahlreicher Quellen gelungen. Lediglich die vielleicht zu starke Beschränkung auf die Einzelbiografie vermag im Nachhinein nicht vollständig zu überzeugen. Zu gesichtslos, zu farblos bleibt die Person Fritzsches in dieser Darstellung, zu deutlich wird, dass der "Werbefachmann", wenn auch ohne es selbst im vollen Umfang wahrhaben zu wollen, in seiner Arbeit kaum mehr als ein wichtiges Rädchen war. Eigene Gestaltungsmöglichkeiten hatte er kaum, suchte sie auch nicht. Das gilt z. B. auch für seine politischen Kommentare. Obwohl sich der Autor hier sehr bemüht, geht sein Vergleich der Kommentare Fritzsches mit denen anderer wichtiger Kommentatoren des Regimes in der vorliegenden Arbeit noch nicht tief genug. Eine Darstellung, in der die Kommentare Fritzsches auf breiter Ebene mit denen des militärischen Rundfunkkommentators, Generalleutnant Dittmar, oder denen von Fritzsches Stellvertreter in der Rundfunkleitung, Karl Scharping, formal und inhaltlich verglichen werden, bleibt so ein Desideratum. Doch handelt es sich dabei um einen Aspekt, der weit über die Biografie Fritzsches hinausgeht, wie sie hier angestrebt wurde. So bleibt zu hoffen, dass der vorliegenden Arbeit weitere Forschungen im Bereich des NS-Rundfunks folgen werden.

Friedrich Ulf Röhrer-Ertl