Rezension über:

Uwe Fleckner / Martin Warnke / Hendrik Ziegler (Hgg.): Handbuch der politischen Ikonographie, München: C.H.Beck 2011, 2 Bde., 1137 S., 1336 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-57765-9, EUR 128,00
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Rezension von:
Grischka Petri
Institut für Kunstgeschichte und Archäologie, Universität Bonn / Department of History of Art, University of Glasgow
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Grischka Petri: Rezension von: Uwe Fleckner / Martin Warnke / Hendrik Ziegler (Hgg.): Handbuch der politischen Ikonographie, München: C.H.Beck 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 6 [15.06.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/06/15996.html


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Uwe Fleckner / Martin Warnke / Hendrik Ziegler (Hgg.): Handbuch der politischen Ikonographie

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Das Handbuch der politischen Ikonographie verzeichnet 141 alphabetisch sortierte Einträge (und ist deshalb eigentlich ein Handwörterbuch). [1] Dass das Projekt ohne Honorare und Drittmittel nur fünf Jahre von der Idee bis zur Veröffentlichung benötigte, vermeldet das Vorwort nicht ohne (berechtigten) Stolz (Bd. 1:13). Die Artikel bilden (trotz vorhandener Querverweise) in sich geschlossene Einheiten und sind meist zwischen sieben und zehn Seiten lang; die durchgehend schwarz-weißen Illustrationen sind in der Regel zwischen 1/8 und 1/4 Seite groß. Für die Abbildungen konnte auf den von Martin Warnke am Warburg-Haus in Hamburg eingerichteten Bildindex zur politischen Ikonographie zurückgegriffen werden, ohne dessen Ordnung 1:1 übernehmen zu müssen (1:11). [2] Das Handbuch ist zweispaltig gut lesbar in Quadraat und Futura gesetzt; was beim Suchen und Finden stört, sind die an den Innenrand verlagerten Seitenzahlen. Ein Namensregister ist vorhanden; ein Sachregister nicht.

Die politische Ikonographie untersucht Kunst, Bilder, Architektur und Gegenstände der visuellen Kultur als Kommunikation im Feld politischer Machtausübung, denn zu dieser gehört auch ihre Darstellung. Der Ansatz, obwohl in der Kunstgeschichte seit langem zum Methodenkanon gehörig, musste bislang auf eine Gesamtdarstellung verzichten (1:9). Auch eine theoretische Begründung ist über Einführungen hinaus bislang nicht geleistet worden. [3] Das Handbuch bringt die kunst- und medienwissenschaftliche Frage nach den politischen Inhalten und Kontexten und deren visueller Grammatik nun in Form eines gewichtigen Doppelbands wieder ins Bewusstsein. Sein Ziel ist es, politische Bildstrategien "nüchtern kunsthistorisch" zu untersuchen (1:8). Eine allgemeine Systematik oder Synthese des Ansatzes, etwa in Form einer Einführung, wird allerdings auch hier unterlassen.

Ein solches Vorhaben muss gezwungenermaßen exemplarisch arbeiten. Dennoch überrascht die Auswahl der Einträge hin und wieder. Neben zu erwartenden Artikeln zu "Denkmal", "Flagge", "Heraldik", "Krönung", "Reiterstandbild", "Residenz" oder "Verfassung" finden sich auch Beiträge zu "Bad in der Menge", "Fotofälschung", "Hand in der Weste", die thematisch auch anderen Stichwörtern, etwa "Propaganda", "Herrscherbildnis" oder auch "Geste" und "Hand" (es gibt ferner einen Eintrag zu "Faust") hätten zugeordnet werden können. Doch ist das Handbuch kein "LPI", kein systematisch auf Vollständigkeit abzielendes Lexikon der politischen Ikonografie. Dies wäre für das Herausgeberteam auch gar nicht zu leisten gewesen: Es konnte im Handbuch der Politischen Ikonographie "nur einen Bruchteil dessen zusammentragen, was zweifellos interessante Einblicke verspräche." (1:7) Man darf vermuten, dass auch persönliche Vorlieben zur Schwerpunktbildung beigetragen haben. Vereinzelt entstehen Doppelungen wie bei Ambrogio Lorenzettis Allegorie der guten Regierung, auf die sowohl in Stephan Albrechts Artikel zum "Gemeinwohl" als auch in Horst Bredekamps Beitrag zu "Staat" fokussiert wird - inklusive sich wiederholender Abbildung. Dafür hat "Revolution" keinen eigenen Eintrag, sondern wird von "Aufstand" thematisch abgesetzt (1:105) und bei "Rebellion" gewissermaßen mitverhandelt, und im Artikel zu "Triumph" schien den Herausgebern eine Gesamtabbildung eines antiken Triumphbogens vielleicht zu langweilig - sie fehlt. Monika Wagners interessanter Beitrag zu "Germania" hätte auch gut zusammen mit Britannia oder Marianne in einen vergleichenden Rahmen von "Nation (Personifikation)" gepasst.

Eine mäkelige Vermisstenliste würde dem Doppelband freilich nicht gerecht, denn die Lektüre der in Herangehensweise wie Stil unterschiedlichen Beiträge erweist sich beinahe durchweg als Gewinn. Die Herausgeber haben den Autor(inn)en nahe gelegt, in ihren Beiträgen jeweils ein Werk als Ausgangspunkt zu nehmen (1:10). Dabei sind zuweilen bereits für sich lesenswerte Miniaturen entstanden, z.B. Wolfgang Kemps Untersuchung einer Hinrichtungsszene von Nicolaes van Galen (1657) in "Exekution". Bedingt durch die Heterogenität der Lemmata treten manche Beiträge eher essayistisch auf ("Luxus", Dirk Syndram), andere systematisieren, wie Elke Anna Werner in "Schlachtenbild", die den dokumentierenden und den heroisierenden Bildtypus sowie das Soldatenbild vorstellt. Die vielleicht spannendsten Beiträge verfolgen die visuellen Transformationen politischer Ideen durch die Jahrhunderte und zeichnen auf, was bleibt und was sich ändert. So schlägt Yvonne Rickert in "Triumph" einen weiten Bogen von der Antike bis zum Gewinn der Fußball-WM. Andere Artikel fokussieren stärker auf das einzelne Werk oder eine Epoche ("Feldherr", Diane H. Bodart). Zuweilen gerät die Architektur gegenüber ihren bildlichen Darstellungen etwas ins Hintertreffen (z.B. "Residenz", Isabella Woldt; anders hingegen "Rathaus", Stephan Albrecht), doch gehört es zu den Vorzügen des Handbuchs, dass der politisch relevanten Verbreitung von Bildern grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird (z.B. "Herrscherbildnis", Martin Warnke) - politische Ikonografie ist hier eher soziale Mediengeschichte. Faszinierend sind ferner jene Beiträge, die sich mit der Politisierung nicht primär politischer Sujets auseinandersetzen (z.B. "Naturkatastrophe", Tanja Wessolowski), oder sich mit Absenzen als politischer Aussage befassen ("Damnatio memoriae", Uwe Fleckner; "Thron, leerer", Jochen Sander).

Sieht man also die Zusammenstellung der Artikel als eine den Ansatz erhellende Auswahl an, die im Zweifel eher instruktiv denn repräsentativ ist, vermitteln gerade die unerwarteten Beiträge einen geschärften Blick für politische Bedeutungen auch im Detail und dazu so etwas wie ikonografische Entdeckerfreude. Diese ist durchaus ansteckend: Das Handbuch regt zum weiteren Bildvergleich an, nicht zuletzt funktioniert die große Zahl der Abbildungen als ausgezeichneter Katalysator. Das von den Herausgebern beabsichtigte Gleichgewicht von Text und Bild (1:11) ist in dieser Hinsicht erreicht.

Die Fragestellungen der politischen Ikonographie sind gesellschaftlich relevant. In "Demokratie" legt Martin Warnke jahrhundertealte Skepsis gegenüber der Demokratie als Staatsform offen: Von der Bildgeschichte her könne ihre Akzeptanz kaum untermauert werden (1:232). Wenn auch die moderne Demokratie bilderfeindlich ist (Horst Bredekamp, "Staat", 2:377-378), unsere Mediengesellschaft aber das ganze Bildarsenal der Geschichte aufruft, sich aneignet und adaptiert, ist dann die aktuelle Politikverdrossenheit ein Ergebnis der Aushöhlung der im Handbuch untersuchten Bildformeln oder ein Ausdruck der unerfüllten Sehnsucht nach Bildern, welche die Demokratie nicht liefern kann? Das kritische Potential der politischen Ikonographie ist auch im Handbuch erkennbar. Seine erste Leserschaft wird das Handbuch unter Kunsthistorikern und Historikern finden. Es richtet sich außerdem an Politiker und Journalisten (1:12) - insbesondere letztere dürften das eine oder andere Beispiel für ihre Arbeit aufgreifen und als visuelles Aperçu verwenden. [4]

Die Auswahl an Artikeln, die das Handbuch präsentiert, macht Lust auf mehr. Von einer Enzyklopädie zur politischen Ikonografie darf weiter geträumt werden, vielleicht sogar online, weil dadurch erweiter- und aktualisierbar und mit Metadaten, welche den Zugriff auf ikonografische Informationen über das Bild und seine Eigenschaften erlauben. Denn das Politische bleibt als Teil unserer visuellen Kultur durch seine Entwicklung und Veränderung im Rückgriff auf ikonografische Muster aktuell, zuweilen auch brisant, wie gerade die Entscheidung der US-Administration, keine Bilder der Tötung Osama Bin Ladens zu veröffentlichen, verrät. Auf dem Weg der Forschung, diese politisch-visuellen Strukturen zu erschließen, ist das Handbuch der politischen Ikonographie ein Meilenstein. Für alle an politischer Ikonografie Interessierte ist es eine Fundgrube.


Anmerkungen:

[1] Das Inhaltsverzeichnis hat der Verlag online gestellt: Band 1 unter http://www.chbeck.de/downloads/Verzeichnis%20Bd.%201.pdf und Band 2 unter http://www.chbeck.de/downloads/Verzeichnis%20Bd.%202.pdf.

[2] Der Bildindex zur politischen Ikonographie ist online abrufbar (Link zur Liste der Schlagwörter unter http://www.warburg-haus.de/texte/forsch.html).

[3] Lesenswert nach wie vor Martin Warnke: "Einführung", in: Forschungsstelle Politische Ikonographie (Hg.): Bildindex zur Politischen Ikonographie, Hamburg 1993, 5-12; ders.: "Politische Ikonografie", in: Kunsthistorische Arbeitsblätter 2 (2003).

[4] Vgl. etwa die Besprechungen von Andreas Wang in der Neuen Zürcher Zeitung vom 21. Mai 2011, online abrufbar unter http://www.nzz.ch/magazin/buchrezensionen/was_wollen_die_bilder_sagen_1.10651154.html, Thomas Schmid in der Welt vom 21. Mai 2011, online abrufbar unter http://www.welt.de/print/die_welt/vermischtes/article13385306/Die-Sprache-der-Bilder.html, und Andreas Rosenfelder in der Welt am Sonntag vom 22. Mai 2011, online abrufbar unter http://www.welt.de/print/wams/kultur/article13386661/Der-Schweiss-der-Kanzlerin.html.

Grischka Petri