Rezension über:

Walter S. Melion: The Meditative Art. Studies in the Northern Devotional Print 1550 - 1625 (= Early Mordern Catholicism and the Visual Arts Series; Vol. 1), Philadelphia, PA: Saint Joseph's University Press 2009, IX + 431 S., ISBN 978-0-916101-60-2, USD 90,00
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Rezension von:
Birgit Ulrike Münch
Kunstgeschichtliches Institut, Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Birgit Ulrike Münch: Rezension von: Walter S. Melion: The Meditative Art. Studies in the Northern Devotional Print 1550 - 1625, Philadelphia, PA: Saint Joseph's University Press 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 9 [15.09.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/09/18410.html


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Walter S. Melion: The Meditative Art

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Die Trias composición (Aufbau des Schauplatzes), viendo el lugar (Betrachtung der Handlung und Hören auf das Gesprochene) sowie compinendi loci (Verbindung der Schauplätze) bildet das Grundkonzept, nach dem der Gläubige in den Exercitia Spiritualia des Ignatius von Loyola - in Anlehnung an zahlreiche mittelalterliche Autoritäten wie etwa Ludolf von Sachsen - Meditation und Versenkung praktizieren soll. Mit der Zubereitung einer Mahlzeit vergleicht der dritte Ordensgeneral Francesco de Borja den Bildgebrauch: die Bilder seien die Gewürze, die das vollständige Verzehren der mitunter 'harten Kost' erleichtern mögen. [1]

Obwohl die Geistlichen Übungen 1548 unbebildert erschienen waren, ist überliefert, dass Ignatius primär druckgrafische Blätter an den Wänden seines Arbeitszimmers nutzte, um sich mit allen Sinnen in Thema und setting einzufühlen. Diese meditative oder mnemonische Stimulation des vielbeschriebenen 'inneren Auges' durch reale Bilder hat vormoderne Autoren überaus intensiv beschäftigt und war auch schon des öfteren Thema kunsthistorischer Analysen. [2]

Walter Melions umfangreiches und opulent gedrucktes Werk fokussiert meditative Kunst, die unmittelbar nach und teilweise auch in direkter Antwort auf Ignatius' Werk entstanden ist (1550-1625) und grenzt das Material auf primär Antwerpener, Amsterdamer und Haarlemer Druckerzeugnisse ein. Dies ist in mehrfacher Hinsicht sinnvoll: mit der Reformation und in der posttridentinischen Periode ergeben sich neue Anforderungen an das altgläubige Bild, während die gewählten Druckorte, Künstler und Stecher (etwa Philip Galle, Hendrick Goltzius, die Gebrüder Wierix oder Boëtius à Bolswert) eine unangreifbare Vorreiterrolle bezüglich religiöser Druckgrafik innehatten.

Was jedoch genau veranlasste frühneuzeitliche Kleriker wie Montano oder Nadal, gemalten und gedruckten Bildern einen derart hohen Stellenwert einzuräumen, ein Enthusiasmus, der sie nicht nur zu Erwerb und Nutzung unterschiedlichster Kunstwerke antrieb, sondern der sich auch anhand enger Netzwerkstrukturen mit den führenden Künstlern und Druckern nachvollziehen lässt? Diese Frage stellt Walter Melion seiner Studie voran (3). In acht Fallbeispielen werden einzelne Blätter oder ganze Druckserien vorgestellt, die auf ganz unterschiedliche Weise als Instrument des meditativen Gebets dienten. Kunst, die die Funktion hat, "to heighten the soul's awareness of its own image-making powers" (3) ist ein Forschungsfeld, dem sich Melion seit mehreren Jahrzehnten in zahlreichen Monografien, Sammelbänden, Aufsätzen und internationalen Tagungsreihen (Lovis Corinth Colloquia) gewidmet hat. [3] Obgleich verschiedene Artefakte bereits in früheren Analysen Melions thematisiert wurden, etwa die in einer dreibändigen kommentierten Edition publizierten Evangelica historiae imagines Hieronymus Nadals, beinhaltet "The Meditative Art" ausschließlich neu verfasste Studien. Schon das einleitende Vorwort (1-35) legt von der profunden Souveränität des Autors im Umgang mit der Materie beredtes Zeugnis ab und liest sich als Konzentrat seiner bisherigen Forschungen wie auch als Ausgangspunkt der hier angestellten Detailanalysen. Melion gewährt den bislang weitestgehend ignorierten Vorworten und Kommentaren wichtiger Autoren zur durch Visualisierung vollzogenen imitatio Christi breiten Raum, etwa Montanos Rhetoricorum libri III, die als Folie für seine kurze Zeit später geschaffene Emblemserie der Humanae salutis monumenta zu lesen sind und die theoretischen Überlegungen quasi nun in Bild- und Textpraxis exemplifizieren. Kapitel 1-3 (37-187) stellt mit Montanos Divinarum nuptiarum conventa et acta oder mit den Stichfolgen der Erscheinungen Christi der Adnotationes et meditationes Nadals Druckwerke vor, denen eine umfangreiche Theorie des Meditationsbildes zugrunde liegt. Eindrucksvoll kann Melion demonstrieren, dass Sucquet's Via vitae aeternae im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts diese Meditationsprogramme adaptierte und die Idee der allegorischen Reise (Montano) mit jener der Itinerare heiliger Landschaften (Nadal) verknüpfte. Der interessanten Frage nach der Verbindung künstlerischer wie geistlicher Übungen geht Melion anhand des heiligen Joseph nach: unter anderem Goltzius' Stichserie zum Marienleben zeigt ihn als "hingebungsvollen Zuschauer" (201), der den Bildbetrachter zur imitatio animiert. Die Arbeit des Zimmermanns am Gebäude steht auch in Hieronymus Wierix' Serie "Die Kindheit unseres Herrn und Erlösers" für die Arbeit durch das meditative Gebet, durch welches das Haus des Glaubens als Wohnung der Seele gleichsam erbaut wird (193ff.). Das Zimmern und Sägen wird in jedem einzelnen Kupferstich der Kindheit Jesu visualisiert, während auf dem Titelblatt sämtliche hierzu benötigten Werkzeuge abgebildet sind. Die letzten beiden Kapitel des Buches exemplifizieren die Meditationspraxis an Artefakten, die im Gegensatz zu den bis dahin vorgeführten nicht in unmittelbarem Textbezug des illustrierten Buches stehen: Goltzius' Zeichnung einer Anbetung und Otto van Veens 1610 entstandenes Altargemälde der Kreuztragung. Dieser Medienwechsel ist sinnvoll und offenbart einleuchtend die Rückbindung an druckgrafische Vorlagen wie etwa im letztgenannten Fall an Davids Paradisus Sponsi et Sponsae.

Walter Melions opus magnum kann als neues Standardwerk der so facettenreichen Antwerpener Druckgrafik der katholischen Reform des 16. und 17. Jahrhunderts bezeichnet werden. Die von ihm mit "The Meditative Art" gesetzten hohen Standards resultieren zum einen aus der äußerst gelungenen, sorgfältigen Auswahl teils bekannten, teils relativ selten untersuchten Materials, das er zu einer repräsentativen Gesamtschau verbindet. Die hohe Qualität der Analysen ergibt sich andererseits aber auch aus der Erkenntnis Melions, dass Bild und Text nicht, wie bisher so oft geschehen, getrennt, sondern als gleichwertige Partner nebeneinander und ineinander verschränkt betrachtet werden müssen. Die beeindruckende Kenntnis bebilderter wie unbebilderter Meditationsschriften zeugt von seinen jahrelangen und akribischen Forschungen auf diesem Gebiet. Melion erschließt mit seinem Werk ein Corpus, das nicht zuletzt sowohl intra- als auch interdisziplinär den Weg für weitere Forschungen zur Kunst der katholischen Reform und insbesondere zum seit Wittkowers und Jaffes "Jesuit Contribution" noch immer diskutierten Problem einer spezifisch jesuitischen Bildstrategie und Betrachterführung ebnet. [4]


Anmerkungen:

[1] Francesco de Borja: "El Evangelio meditado", Nachdr. Madrid 1912, 7f.

[2] Zum Wechselspiel von Imagination und materialisiertem Bild siehe zusammenfassend die Einleitung, in: Klaus Krüger / Alessandro Nova (Hgg.): Imagination und Wirklichkeit. Zum Verhältnis von mentalen und realen Bildern in der Kunst der frühen Neuzeit, Mainz 2000, 7-11.

[3] U.a.: Reindert Falkenburg / Walter S. Melion (eds.): Image and imagination of the religious self in late medieval and early modern Europe, Turnhout 2007; Walter S. Melion / Lee Palmer Wandel (eds.): Early Modern Eyes, Leiden 2009; Karl A.E. Enenkel / Walter S. Melion (eds.): Meditatio - Refashioning the Self, Leiden 2010. Weitere Sammelbände zum Forschungsschwerpunkt werden derzeit von Melion zum Druck vorbereitet.

[4] Zur Kunst als Mittel jesuitischer Identitätsstiftung auch: Elisabeth Oy-Marra / Volker R. Remmert (Hgg.): Le monde est une peinture. Jesuitische Identität und die Rolle der Bilder, Berlin 2011.

Birgit Ulrike Münch