Rezension über:

Michael Fried: Four Honest Outlaws. Sala, Ray, Marioni, Gordon, New Haven / London: Yale University Press 2011, X + 245 S., 70 Farb-, 9 s/w-Abb., 1 DVD, ISBN 978-0-300-17053-5, GBP 30,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Sebastian Egenhofer
Institut für Kunstgeschichte, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Stefan Gronert
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Egenhofer: Rezension von: Michael Fried: Four Honest Outlaws. Sala, Ray, Marioni, Gordon, New Haven / London: Yale University Press 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20445.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Michael Fried: Four Honest Outlaws

Textgröße: A A A

Es ist schwierig, angemessen über ein Nebenwerk eines so produktiven Autors wie Michael Fried zu urteilen. Nach Why Photography Matters as Art as Never Before (2008) ist Four Honest Outlaws das zweite Buch, in dem Fried nach langer Abstinenz Texte über zeitgenössische Kunst publiziert. Er präsentiert hier Arbeiten von Anri Sala, Charles Ray, Joseph Marioni und Douglas Gordon [1] als Beispiele "seriöser" (22 und passim) und "ambitionierter" (ebd.) Kunst, wie er sie nach dem Bruch der Minimal Art mit dem Modernismus sonst erst in der tableauhaften Großfotografie der letzten Jahrzehnte wieder gefunden hat.

Rekapitulieren wir: In den sechziger Jahren hat Fried eine Reihe von Essays und Kritiken vor allem zur Malerei nach Pollock mit Art and Objecthood (1967) abgeschlossen. [2] Mit der Parteinahme für den Modernismus Kenneth Nolands, Morris Louis' und Jules Olitskis und gegen die Minimal Art und ihre Folgen hat Fried sich von dem, was inzwischen als die progressive Kunst der sechziger und siebziger Jahre kanonisiert ist, verabschiedet. In den Jahren seiner Isolation vom kunstkritischen Diskurs - Art and Objecthood ist einer der meistbekämpften Texte der sechziger Jahre -, hat er eine Trilogie zur Geschichte der Absorption, Gegenbegriff zu der dem Minimalismus vorgeworfenen Theatralität geschrieben, die die Entwicklung der französischen Malerei vom 18. Jahrhundert bis zu Courbet und Manet verfolgt. [3] Mit dem "glorious reward" (11) seiner Vertrautheit mit dieser von Diderot ausgehenden Tradition kehrt der Autor nun zu zeitgenössischen Werken zurück, die seinen in den sechziger Jahren gebildeten und durch die historische Arbeit stabilisierten Kriterien entsprechen.

Der Hintergrund seiner intellektuellen Biografie ist dem Autor wichtig genug, um ihn in einer ausführlichen "introduction" (1-27) Lesern einer jüngeren Generation vorzustellen. Und in der Tat verfolgt Fried in den vier Essays, die jeweils einige hervorgehobene Werke ("Long Sorrow" und "After Three Minutes" von Sala; "Hinoki" von Ray; "Play Dead; Real Time" und "Dé jà vu" von Gordon; der Marioni-Essay ist etwas breiter angelegt) ausführlicher analysieren und in einen selektiv gefassten Werkkontext einbetten, in eigentümlicher Offenheit das Ziel, die Künstler in die von ihm (re-)konstruierte Tradition absorptiver Kunst einzureihen. Manche Teilergebnisse der Analysen - so die Herausarbeitung des "embedment" von Rays Skulpturen (91-120) - sind zwar originär aus den Werken und den Aussagen des Künstlers [101 f.] geschöpft, oft aber liegt die zirkuläre Beziehung von begrifflichem Werkzeug und Gegenstand auf der Hand: etwa wenn Fried in Salas "Long Sorrow" den Reflex einer ganzen historischen Abfolge absorptiver Kunst von Chardin über David bis Manet wiederzufinden glaubt (48 f.), also seine eigene Werkbiografie in die Filmsequenz projiziert. Die Identifikation des Autors mit dem Gegenstand ist dabei schon im Buchtitel angezeigt, der die Künstler nach dem Vorbild von Frieds Selbstverständnis - "I see myself not as a sheriff but as an outlaw!" [4] - als ebensolche "Outlaws" in der Wüste der postmodernen Beliebigkeit begreift, als "ehrenhaft" inmitten grassierender Korruption.

Was zeichnet die behandelten Werke also in Frieds Augen aus? Was veranlasst seine Überzeugung ("conviction" - ein Grundwort Frieds seit den sechziger Jahren), es hier mit einem Strang der von ihm erarbeiteten Tradition zu tun zu haben? Sie sind zunächst in durchdringender Weise von einer künstlerischen Intention regiert. Das lässt sich an "Hinoki" exemplifizieren, einer monumentalen Holzskulptur, die Ray nach dem Vorbild eines am Strand gefundenen Baumstamms von einem Team japanischer Holzschnitzer hat produzieren lassen, so dass die künstlerischen Entscheidungen die "years of sun, rain, and ultraviolet radiation" (103) aufwiegen, die dem Original seine Form gegeben haben. Ebenso betont Fried in Bezug auf Marionis Bilder, deren flüssiger Farbauftrag sie erscheinen lässt, als hätten sie "sich selbst" (79) gemacht, dass nur die lange technische Erfahrung des Malers das Verhältnis von Opazität und Transparenz hat hervorbringen können, das sie auszeichnet. Der zweite Hauptaspekt ist der der Absorption, die sich zunächst auf der Ebene des Sujets fassen lässt. Der Saxophonspieler, den Sala in "Long Sorrow" außerhalb eines Berliner Hochhauses in 50 m Höhe improvisieren lässt, und die Elefantenkuh Minnie, die Douglas Gordon in lebensgroßer Projektion in die Gagosian Gallery versetzt (Moment ironischer Reflexion auf den Kontext, das Fried entgeht), sind nach Frieds Auffassung in authentischer Weise (44f., 173-177 und passim) absorbiert: eingenommen von der Aufgabe der Klangbildung bei Sala und des Umherschreitens, Niederlegens und Aufsitzens in Gordons "Play Dead; Real Time".

Diese Hauptmotive der durchdringenden Intention und der Absorption verbinden sich auf der fundamentalen theoretischen Ebene, die Fried immer wieder explizit einspielt: die Geschichte der Absorption hat ihren philosophisch-theologischen Hintergrund in dem Art and Objecthood vorangestellten Zitat, dem gemäß die kontinuierliche Gegenwart der Welt als eine Schöpfung von Moment zu Moment begriffen werden müsse [5] - und so als Zeugnis nicht des blinden Stroms der Kausalität sondern einer je aktuellen göttlichen Intention. In analoger Weise soll die ästhetische Gegenwart (die "presentness") von Kunst sich über die bloße Existenz und zeitliche Dauer erheben. Die künstlerische Intention muss daher jede bloß faktische Materialität und Situiertheit des Werks überwinden und transformieren. Das Einrücken der Betrachter-Erfahrung in die so von den Bedingungen materieller Existenz befreite presentness hat schließlich ihr Analogon im Moment der Absorption auf der Ebene des Sujets. Salas Saxophonspieler "transzendiert" (44) die extremen Bedingungen, denen er ausgesetzt ist, und geht im Moment der Tonbildung (47f.) ganz in der Aktualität des Augenblicks auf.

Frieds Buch trägt nicht nur in der "introduction" und den beiden "postscripts" (205-222), sondern in der expliziten Verknüpfung der Werkanalysen mit dem dichotomischen Paradigma von "Kunst" und "Objekthaftigkeit" deutlich autobiografische Züge. Problematisch scheint mir dabei weniger, dass der Autor oft die Schatten seines Interesses mit den Farben seines Gegenstandes verwechselt. Schwerwiegender ist, was ganz aus dem Blick fällt, weil es zur minimalistischen Genealogie der analysierten Werke gehörte. Fried klammert etwa die lange und entschieden postminimalistische Geschichte der Videokunst aus, ohne die aktuelle Produktionen wie die von Sala oder Gordon kaum ausreichend gerahmt, jedenfalls nicht historisiert werden können. Vor allem aber blendet er all jene Momente aus, in denen die materiellen (technischen, ökonomischen, sozialen) Existenzbedingungen der Werke ins Spiel kommen und ihre Form, die Form ihrer Gegenwart, mitbestimmen. Fried vergisst über dem selbst gesteckten Ziel, einen Traditionszusammengang von Caravaggios Magdalena bis zu den Tieren in den Filmen Salas und Gordons (201-215) zu etablieren, die konkrete Historizität der Werke. Zwar gehört es für Fried zur Aufgabe von "serious art - to attach us to reality" (24), doch ist in seiner Konzeption von presentness diese Anbindung an die Welt über ein Moment von Erlösung vermittelt, das zunächst - und dies schränkt die Tragkraft der Analysen nachhaltig ein - die Herauslösung der Werke aus ihren determinierenden Kontexten impliziert.


Anmerkungen:

[1] Die Filmarbeiten von Sala und Gordon sind auf einer beigefügten DVD (in Auszügen) einsehbar.

[2] Gesammelt publiziert als: Michael Fried: Art and Objecthood: Essays and Reviews, Chicago 1998.

[3] Absorption and Theatricality. Painting and Beholder in the Age of Diderot, Chicago 1983; Courbets Realism, Chicago 1992; Manet's Modernism, or: The Face of Painting in the 1860's, Chicago 1996. Inzwischen hat der Autor die "Invention of Absorption" noch vor Diderot zurückdatiert (The Moment of Caravaggio, Princeton / London 2003), wie das "Postscript One" (205-215) ergänzt.

[4] Michael Fried: Theories of Art after Minimalism and Pop, in: Hal Foster (ed.): Discussions in Contemporary Culture 1, Seattle / Washington 1987, 82.

[5] Vgl. ders.: Art and Objecthood, 148-172, 148.

Sebastian Egenhofer