Rezension über:

Sabine Henze-Döhring: Friedrich der Große. Musiker und Monarch, München: C.H.Beck 2012, 256 S., 20 Abb., ISBN 978-3-406-63055-2, EUR 18,95
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Rezension von:
Andreas Waczkat
Musikwissenschaftliches Seminar, Georg-August-Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Waczkat: Rezension von: Sabine Henze-Döhring: Friedrich der Große. Musiker und Monarch, München: C.H.Beck 2012, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/21113.html


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Sabine Henze-Döhring: Friedrich der Große. Musiker und Monarch

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Der 300. Geburtstag Friedrichs II. von Preußen, aufgrund seines militärisch-strategischen Geschicks mit dem Beinamen "der Große" ausgestattet, hat schon im Vorfeld einige Aufmerksamkeit auf den König in seinem kulturellen Umfeld gelenkt. Dass Friedrich II., ganz anders als sein Vater, der Musik großes Interesse widmete und schon als Kronprinz in Ruppin und Rheinsberg die Hofmusik sowohl als Möglichkeit wie auch als Aufgabe ansah, ist bekannt; ebenso, dass er nach seiner Thronbesteigung 1740 die Hofkapelle in Berlin in großem Stil aufbaute und mit einigen der prominentesten Musiker seiner Zeit besetzte.

Danach jedoch verschwimmen die Grenzen von historischen Umständen und Legendenbildung immer mehr: Adolf von Menzels bekanntes Gemälde "Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci" - das nicht überraschend auch den Umschlag dieses Buches ziert - zeigt mit einem Abstand von rund 100 Jahren eine Szene, deren Details zwar akribisch recherchiert sind, die aber den König und seine Kapelle auch in ein stark historisierendes Licht setzt.

Diese Sicht auf einen Potentaten, der seine militärischen Erfolge zum großen Teil einer Überschreitung der Konventionen der Kriegführung verdankte und gleichzeitig den schönen Künsten mit Sensibilität und Kompetenz huldigte, prägte über lange Zeit hinweg auch die wissenschaftliche Wahrnehmung. Musikhistoriker standen dieser Doppelbegabung lange Zeit eher ratlos gegenüber, und so ist Sabine Henze-Döhrings schön geschriebene Biographie des Flöte spielenden Königs gut ein halbes Jahrhundert nach Eugene E. Helms Music at the Court of Frederick the Great (1960) bislang auch ohne wirkliche Konkurrenz. Denn Henze-Döhring gelingt es mit dieser Studie, das Selbstverständnis Friedrichs als eines buchstäblich auf allen Feldern ideal agierenden Königs nachzuzeichnen: eines Königs, der seine Pflicht als erster Diener des Staates nicht darin erschöpft sah, für innere und äußere Sicherheit zu sorgen, sondern die Förderung von Wissenschaft und Künsten als gleichrangig verstand. Mars und Apoll, so liest es Henze-Döhring aus einem Brief Voltaires, waren Friedrichs persönliche Identifizierungen des Königs als Musiker und Monarch.

Basierend auf einer Vielzahl an Ego-Dokumenten wie auch vielfach anknüpfend an ihre eigene Biographie der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth - 2009 anlässlich von deren 300. Geburtstag erschienen - gelingt es Henze-Döhring im Folgenden, ein farbiges Bild des höfischen Musiklebens um Friedrich zu zeichnen, das nicht zuletzt mit zahlreichen Legenden aufräumt, etwa jener, die sich seit Johann Nikolaus Forkels Bach-Biographie von 1802 um den Besuch Johann Sebastian Bachs in Potsdam rankt. Fakten werden hier sauber von Konstruktionen getrennt, und das nüchterne Fazit lautet: Die Bewunderung Friedrichs für den Leipziger Thomaskantor hielt sich in artigen Grenzen.

Welche Rolle die Hof- und Kammerkonzerte, insbesondere aber auch die Hofoper für die Repräsentation des preußischen Staates spielten, macht Henze-Döhring in dieser Studie eindrücklich klar und erhellt auch, wie umfassend sich Friedrich als Finanzier, Organisator und Librettist für die Oper einsetzte. Löst die Arbeit damit auch den im Titel formulierten Anspruch der Darstellung Friedrichs als Musiker und Monarch ein, bleiben dennoch einige Lücken zu konstatieren. Insbesondere betrifft dies die ganz auf Friedrich konzentrierte Darstellung, die die vielfältigen Verflechtungen des höfischen Musiklebens in Sanssouci in ihrer Zeit weitgehend ausblendet. So erfährt man nichts über die Interaktion mit dem städtischen Musikleben Berlins - für die das 1755 uraufgeführte Passionsoratorium Der Tod Jesu von Friedrichs Kapellmeister Carl Heinrich Graun ebenso eine Steilvorlage gegeben hätte wie die von verschiedenen Hofmusikern gegründeten musikalischen Gesellschaften -, nichts über die Beziehungen zum innovativen städtischen Musikleben Magdeburgs - wo der preußische Hofstaat nebst Kapelle während des Siebenjährigen Krieges zeitweilig Residenz nahm - und auch nichts über Friedrichs eigene Begegnung mit der glanzvollen Dresdner Hofmusik, die er nach Johann David Erdmann Preuss' umfangreicher Lebensgeschichte Friedrichs des Großen (1832-34) zu Beginn des Siebenjährigen Krieges intensiv rezipierte.

Es ist wohl kein Zufall, dass diese drei genannten Bereiche historisch so eng zusammenfallen. Denn während Henze-Döhrings Untersuchung die Jahrzehnte vor dem Siebenjährigen Krieg in vielen Perspektiven in den Blick nimmt, bleibt die Zeit danach - immerhin doch auch drei Jahrzehnte, in denen Friedrich seinem Beinamen "der Große" zu entsprechen hatte - schon quantitativ im Hintergrund. Gerade zwei der zehn Kapitel sind dieser Zeit explizit gewidmet, womit eine weitere unglückliche Akzentuierung einhergeht: Ausgespart bleibt in dem Buch nämlich die Auseinandersetzung mit dem deutlich konservativer werdenden Musikgeschmack Friedrichs, mit dem auch zusammenhing, dass seine Hofkapelle seit den 1760er-Jahren immer weniger wahrgenommen wurde. Dieses Thema hätte begleitet werden können von einem Blick auf die komplexen Beziehungen innerhalb der preußischen Hoflandschaft, die unter anderem beinhalteten, dass nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges die Bedeutung der Hofhaltungen von Königin Elisabeth Christine im Berliner Stadtschloss für die Repräsentation um ein Vielfaches wichtiger wurden. Das Rétablissement, dessen Begriff Henze-Döhring der historischen Forschung entlehnt, ihn hier im zehnten und letzten Kapitel ihres Buches aber weitgehend auf die Veranstaltung von Hoffesten nach dem Siebenjährigen Krieg reduziert, kann in Konzentration allein auf Friedrichs musikbezogenes Wirken wohl kaum angemessen dargestellt werden.

Andreas Waczkat