Rezension über:

Beate Dignas / R. R. R. Smith (eds.): Historical and Religious Memory in the Ancient World, Oxford: Oxford University Press 2012, XIX + 338 S., ISBN 978-0-19-957206-9, GBP 70,00
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Rezension von:
Maria Osmers
Institut für Geschichte, Julius-Maximilians-Universität, Würzburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Maria Osmers: Rezension von: Beate Dignas / R. R. R. Smith (eds.): Historical and Religious Memory in the Ancient World, Oxford: Oxford University Press 2012, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 11 [15.11.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/11/21690.html


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Beate Dignas / R. R. R. Smith (eds.): Historical and Religious Memory in the Ancient World

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Der vorliegende Sammelband präsentiert die Beiträge, die im Rahmen der Verabschiedung des britischen Althistorikers Simon Price aus dem aktiven akademischen Dienst im Jahre 2008 in Oxford vorgetragen wurden. Die Herausgeber verfolgen eine doppelte Zielsetzung: So greifen sie auf der einen Seite das in der jüngeren Vergangenheit viel erforschte Thema der antiken Erinnerungskulturen auf [1] und würdigen auf der anderen Seite die wissenschaftlichen Leistungen von Simon Price. Konzeptionell verbindet der Sammelband in diesem Sinne Forschungen zu antiken Religionen - eines der Spezialgebiete von Price [2] - mit Fragestellungen nach der Bedeutung und Funktion von Vergangenheitsbezügen. Als Ergebnis präsentiert das Werk Fallstudien, die im Sinne der breiten Ausrichtung religiöse und historische Erinnerungspraktiken in verschiedenen Perioden, Kontexten und Regionen aufspüren und analysieren.

Da Simon Price noch vor der Publikation des Sammelbandes verstarb, findet sich zunächst eine Würdigung seiner Person und seines Werkes in Form einer kurzen Darstellung seines akademischen Werdegangs inklusive ausführlicher Bibliographie. Anschließend kommt der Historiker selbst zu Wort; in dem Beitrag "Memory and Ancient Greece" (15-36) stellt er grundsätzliche Überlegungen zur Erinnerungspraxis bei den Griechen an. Die gemeinsame Geschichte eines Kollektivs schuf nach Price das soziale Gedächtnis, das sich in assoziativen Netzwerken ausbildete. Die Entstehung und Verfestigung der kollektiven Erinnerung in Hellas verortet er in verschiedenen Kontexten und hebt die Bedeutung von Objekten, Orten und Ritualen sowie damit verbundenen Mythen für die Ausgestaltung einer gemeinsamen Vergangenheit hervor. Weiter verweist er auf die Relevanz gesamtgriechischer Narrative, in die sich einzelne Gemeinschaften einschrieben. Als einen sozial notwendigen Gegenpart zur Erinnerung betrachtet Price das kollektive Vergessen.

Die einzelnen Beiträge des Sammelbandes bestätigen diese Grundüberlegungen. Die Ideen von Price lassen sich auf andere Zeiten und Regionen übertragen und mit Fragen nach religiöser Identitätsstiftung verbinden. So wendet sich etwa John North den Besonderheiten der paganen Symbolik in einer Basilika in Rom zu und versucht durch die Interpretation der Darstellungen auf den vielschichtigen Charakter der Gruppe zu schließen, die diese Räumlichkeiten nutzte (37-67). Ebenso betont William Van Andringa die Bedeutung von Bildern und Objekten in der Erinnerungspraxis. Ausgehend von dieser Überlegung schließt er von den aufgefundenen Statuen in den Tempeln von Pompeii auf lokal bedeutsame Erzählungen über die Vergangenheit (83-115).

Aude Busine greift ähnliche Ideen auf und verweist auf die legitimierende Funktion alter Inschriften bei der Gründung neuer Kulte (241-256). Dies gilt auch für die christliche Religion, die in vielerlei Hinsicht auf pagane Traditionen aufbaute und sich dabei deren Semantik bediente, um eigene Handlungen zu legitimieren. Demgegenüber konzentriert sich Lucia Nixon auf Orte der Erinnerung und weist am Beispiel der Kultpraktiken auf der Insel Kreta nach, dass ein entgegengesetztes Verhältnis der Zahl von dauerhaft intakten Heiligtümern in einer Region und der Reichweite der Netzwerke, welche von dort aus die gemeinsame Erinnerung stifteten, bestand. (187-214). Der Beitrag von Beate Dignas beschäftigt sich mit den Ritualen und dazugehörigen Mythen im Pergamon der hellenistischen Zeit. Sie bestätigt gängige Interpretationen, dass die Attaliden religiöse Vorstellungen und damit auch die Erinnerung in ihrem Sinne manipulierten, verweist aber zugleich darauf, dass sie dabei auf vorherige Praktiken und etablierte Strukturen aus früheren Zeiten aufbauen konnten (119-143).

Die Bedeutung überregionaler Narrative für das lokale Selbstverständnis verdeutlicht Peter Thonemann am Beispiel der Heiligenviten des Abercius (257-282). Er liest die Biographien des Bischofs von Hierapolis als einen Versuch der christlichen Bevölkerung, die Geschichte der Stadt mit ihrer religiösen Identität zu verbinden. Auch Martin Goodman demonstriert die identitätsstiftende Funktion religiöser Texte in der Gegenwart (69-82). Er zeigt am Beispiel der Figur Abrahams, dass auch biblische Erzählungen mehrere Interpretationen zuließen und die Traditionen im Sinne der Bedürfnisse der Gegenwart ausgestaltet werden konnten. Eine legitimierende Wirkung alter Texte bestätigt der Beitrag von Richard Gordon (145-180). Sein Interesse gilt magischen Papyri aus Ägypten, die in hellenistischer Zeit häufig ein griechischsprachiges Publikum adressierten, jedoch durch Verweise auf ägyptische Symbole oder Personen mit Autorität versehen wurden.

Mit dem Themenfeld des Vergessens beschäftigen sich die Beiträge von David Levene und R. R. R. Smith. Ersterer untersucht, wie dem Widerspruch zwischen verordnetem Vergessen und der Erinnerung an diesen Vorgang sowie dem dahinterstehenden Ereignis in der römischen Historiographie begegnet wurde (217-239). Smith dagegen greift erneut die Frage nach dem Umgang der Christen mit dem paganen Erbe auf. Anhand der Zerstörung bzw. Erhaltung der Marmorreliefs im Sebasteion in Aphrodisias zeichnet er nach, welche Motive und Symboliken erinnert werden konnten und welche demgegenüber entfernt werden mussten (283-326). Abschließend bietet das Buch einen umfangreichen Index.

Insgesamt bietet der Sammelband viele aufschlussreiche Einzelstudien zu unterschiedlichen Epochen und Regionen. Sein Verdienst ist, dass er dabei mehrere Perspektiven zusammenführt und auf verschiedene methodische Herangehensweisen verweist. Durch die breite Ausrichtung ergibt sich zwar kein geschlossenes Bild der historischen und religiösen Erinnerungspraxis in der Antike. Jedoch zeigen die Beiträge, wie eng verknüpft Forschungen zum Umgang mit der Vergangenheit und Fragen nach religiöser Identitätsstiftung sind und wie fruchtbar ein Austausch zwischen beiden Forschungsfeldern sein kann. Simon Price hat in diesem Sinne nicht nur den Sammelband durch seinen Beitrag bereichert und konzeptionell verbunden, sondern der Forschung insgesamt mit seinen Studien den richtigen Weg gewiesen.


Anmerkungen:

[1] Siehe stellvertretend einige in den letzten Jahren publizierte Sammelbände: L. Foxhall / H.-J. Gehrke / N. Luraghi (Hrsg.): Intentional History. Spinning Time in Ancient Greece, Stuttgart 2010; E. Stein Hölkeskamp / K.-J. Hölkeskamp: Die griechische Welt. Erinnerungsorte der Antike, München 2010; R. Behrwald / C. Witschel (Hgg.): Rom in der Spätantike. Historische Erinnerung im städtischen Raum, Stuttgart 2012.

[2] Siehe etwa S. Price: Religions of the Ancient Greeks, Cambridge 1999; S. Price: Rituals and Power: The Roman Imperial Cult in Asia Minor, Cambridge 1984; sowie unlängst J. North / S. Price (eds.): The Religious History of the Roman Empire: Pagans, Jews, and Christians, Oxford 2011.

Maria Osmers