Rezension über:

Brunhilde Wehinger / Günther Lottes (Hgg.): Friedrich der Große als Leser, Berlin: Akademie Verlag 2012, 231 S., ISBN 978-3-05-004922-9, EUR 69,80
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Rezension von:
Brigitte Meier
Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/O.
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker / Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Brigitte Meier: Rezension von: Brunhilde Wehinger / Günther Lottes (Hgg.): Friedrich der Große als Leser, Berlin: Akademie Verlag 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 5 [15.05.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/05/22522.html


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Brunhilde Wehinger / Günther Lottes (Hgg.): Friedrich der Große als Leser

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Ganz im Sinne Friedrichs II. wurde dieses Buch im handlichen Kleinformat gedruckt. Denn wie uns Brunhilde Wehinger schon in der Einleitung wissen lässt, verabscheute Friedrich großformatige und dicke Folianten, die man nur am Pulte lesen konnte. (18) Was der Aufklärer auf dem preußischen Thron wirklich las, was ihn interessierte, wofür er schwärmte und ob sich sein literarischer Geschmack im Verlaufe seines Lebens veränderte, all das erfährt der geneigte Leser in diesem kleinen Band. Zwei Spezialisten ihres Faches, Brunhilde Wehinger, die schon mit dem von ihr 2005 herausgegebenen Band "Geist und Macht. Friedrich der Große im Kontext der europäischen Kulturgeschichte" Furore machte, und Günther Lottes, der sich seit Jahrzehnten der Erforschung der Aufklärung verschrieben hat, gaben dieses Büchlein heraus.

Die neun Aufsätze geben detaillierte Einblicke in die Welt eines besonderen "homme de lettres", der wahrlich nichts unversucht ließ, sich als "roi-philosophe" in Szene zu setzen. Die Nachwelt sollte ihn, den von seinem Vater als Deserteur vor aller Welt verunglimpften Sohn, als einen gebildeten, vielseitig interessierten und belesenen "Weltweisen" in Erinnerung behalten. Seinem Zeitalter und seinem Stand angemessen vertiefte er sich in die französische Aufklärung, die ihm ausschließlich das Maß aller intellektuellen Dinge wurde. Im Aufsatz von Günther Lottes "Fürst und Text" findet man dazu folgendes: "Aus diesem Geflecht von Prägungen, Wahrnehmungen und Selbstfindungsexperimenten erwuchs schließlich das Modell des roi-philosophe, das man im Hinblick auf die französische Bedeutung des Wortes philosophe als das des aufgeklärten, kritischen Königs bezeichnen könnte." (31)

Friedrich wollte zur Elite der französischen Aufklärer gehören, ein Teil sein von diesen großen Denkern, die neue Maßstäbe setzten. Aus diesem Grund wählte er sich einen berühmten Mentor, den er hofierte wie keinen anderen und dessen Nähe er dennoch nicht ertrug - Voltaire. Der Dichter, der sich in der Gelehrtenrepublik zutiefst verortet wusste, und der König, der nicht groß genug war, um seine Macht zu teilen, konnten am Hofe Friedrichs II. nicht zusammen leben. "Freiheitlicher Geist" und "absolutistische Macht" (Hans Joachim Schädlich) schließen sich aus. Zwar versuchte der lesende König die Funktion des Hofes zu verändern, darauf hat Wolfgang Neugebauer schon vor Jahren hingewiesen, aber gegen die alten Strukturen, die Intrigen, konnte und wollte auch er nichts ausrichten. Das Modell der cour philosophique scheiterte schon Mitte des 18. Jahrhunderts. (Lottes, 41) Das änderte aber nicht das Leseverhalten des Königs.

Michael Knobloch untersucht, welche historischen Werke zur brandenburgischen Geschichte Friedrich wirklich gelesen und verwendet hat. Friedrich machte sich ans Werk ohne Lateinkenntnisse und ohne die Fähigkeit, die alten Quellen verstehen zu können. Er stützte sich auf wenige, ins Französische übertragene Sekundarquellen, um seine Sichtweise der brandenburgischen Geschichte der Nachwelt zu vermitteln. Dabei führte die Zielgruppe die Feder des Königs.

Was las der König wann? Diese Frage, so Jörg Ulbert, stellte sich bislang niemand. Hatte Friedrich während des Siebenjährigen Krieges überhaupt die Muße und die Zeit zu lesen? In einer Tabelle mit insgesamt 84 Texten kann der Leser sehen, was Friedrich in welchem Jahr las, kommentierte und wie es mit der Beschaffung / Quelle aussah. (81 ff.) Einen gravierenden Unterschied zwischen der Kriegslektüre und der Friedenszeitlektüre konnte Jörg Ulbert allerdings nicht feststellen. Seinen Vorlieben, der Dramatik, blieb der König also auch unter extremen Verhältnissen treu. Als er sich dann ans Werk machte, um die Geschichte des Siebenjährigen Krieges zu verfassen, schienen ihm die Werke von Zeitzeugen anderer Epochen bestens geeignet, ihn zu inspirieren. Sven Externbrink rekonstruierte u.a. mittels der Korrespondenz die Vorgehensweise Friedrichs und betont zu Recht, dass der preußische König schon während des Krieges mit der Legendenbildung begann. (113) Das Fazit war klar: Der König von Preußen kämpfte von 1756 bis 1763 erfolgreich gegen eine Verschwörung. Wie seine Nachfolger sich zukünftig gegen Österreich zur Wehr setzen sollten, das vermittelte ihnen Friedrich lehrreich in dieser Geschichte.

Ohne fundierte Kenntnisse der Texte antiker Schriftsteller und Gelehrter zählte man im 18. Jahrhundert wahrlich nicht zu den Intellektuellen. Reinhart Meyer-Kalkus untersuchte am Beispiel einer Versepistel des jungen Monarchen um 1750 kenntnisreich, was Friedrich von Lukrez in welcher Übersetzung gelesen hatte. Über die französische Antikenrezeption nahm der König von Preußen auch Werke von Platon und Aristoteles zur Kenntnis, wie Anne Baillot darlegt. Uwe Steiner sucht nach den Spuren der Poetik in dem Briefwechsel zwischen Voltaire und Friedrich. Sein Resümee lautet: "Die Funktion, die die Literatur in den Briefen erfüllt, ist so vielfältig wie die Gegenstände, die in ihnen zur Sprache kommen." (183) Diese beiden eitlen Herren wussten sehr wohl um die Bedeutung ihrer "Kunstwerke" für die Nachwelt. So kann es auch nicht weiter verwundern, wenn Friedrichs Libretto für die Oper Montezuma einen Dialog mit Voltaires Auffassungen spiegelt, die dieser im Drama Alzire zum Ausdruck bringt. Babette Kaiserkern geht der spannenden Frage nach, inwieweit dieses Libretto Friedrichs Befindlichkeiten und sein politisches Programm vor 1756 vermitteln soll. Mit einem unterhaltsamen Blick hinter die Kulissen der Potsdamer und Berliner Theaterbühnen endet die Aufsatzsammlung. Claudia Terne schlägt einen weiten Bogen von 1713 bis 1786, den unterschiedlichen Hofspielstätten und deren Programmen. Für Friedrich war auch dieser spezifische Teil der Hofkultur Mittel zum Zweck und natürlich folgte er am Ende seines Lebens dem aktuellen Trend zum bürgerlichen Trauerspiel nicht. Sein Standesdünkel duldete nur den Adel in exponierter Stellung auf der Bühne. Die Stücke von Racine und Molière blieben bis zum Tod seine Lieblingslektüre.

Wer sich für den Leser Friedrich II. interessiert, wer wissen will, warum er von der französischen Aufklärung so stark geprägt wurde und warum er eigentlich, was sein Leseverhalten betrifft, ein ganz normaler frankophiler Intellektueller des 18. Jahrhunderts war, der wird an diesem Band sehr viele Freude haben.

Brigitte Meier