Rezension über:

Maria Conterno: La "descrizione dei tempi" all'alba dell'espansione islamica. Un'indagine sulla storiografia greca, siriaca e araba fra VII e VIII secolo (= Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr.; Vol. 47), Berlin: de Gruyter 2014, X + 196 S., ISBN 978-3-11-033084-7, EUR 109,95
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Rezension von:
Isabel Toral-Niehoff
Courant Forschungszentrum EDRIS, Georg-August-Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Isabel Toral-Niehoff: Rezension von: Maria Conterno: La "descrizione dei tempi" all'alba dell'espansione islamica. Un'indagine sulla storiografia greca, siriaca e araba fra VII e VIII secolo, Berlin: de Gruyter 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 4 [15.04.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/04/26357.html


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Maria Conterno: La "descrizione dei tempi" all'alba dell'espansione islamica

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Der vorliegende Band von Maria Conterno berührt ein zentrales, vieldiskutiertes Problem, das sich sowohl bei der Erforschung der Ursprünge des Islam wie auch der gleichzeitigen byzantinischen "Dark Ages" stellt: die besonders prekäre Überlieferungslage. Diese Studie konzentriert sich auf die Frage, wie und welche Nachrichten über islamische Geschichte und den Orient in byzantinische Chroniken gelangten und welche Rolle syrische Texte bei der Überlieferung spielten.

Ausgehend von der "Chronographia" des Theophanes Confessor (760-818), zweifelsohne unsere wichtigste byzantinische Quelle für das 7. und 8. Jahrhundert, vergleicht Conterno diese mit einer breiten Auswahl von syrischen, arabischen und griechischen historiographischen Texten, um so die Herkunft in Theophanes enthaltener orientalischer Nachrichten erneut zu überprüfen. Diese gemeinsamen Passagen wurden bis dato in der Forschung einer einzigen Quelle zugeordnet, nämlich der verloren gegangenen syrischen Chronik des Theophilos von Edessa (695-785). Für ihre Analyse unterzieht Conterno die "orientalischen" Passagen in Theophanes' Chronik einem sorgfältigen Vergleich mit drei anderen Texten, die ebenfalls Passagen dieser gemeisamen syrischen Quelle enthalten sollen, nämlich Michael Syrus (12. Jahrhundert), die Anonyme Chronik 1234 und das Kitab al-Unwan des Agapius von Mabbug (10. Jahrhundert).

Das Buch ist konzise, klar formuliert und hervorragend strukturiert, so dass es leicht fällt, der komplexen Argumentation zu folgen. Im ersten Kapitel resümiert Conterno den Forschungsstand, indem sie die diversen Thesen von u.a. von Ernest Brooks, Paul Speck, Lawrence Conrad und Robert Hoyland vorstellt und rekonstruiert, wie sie zu der These gelangten, dass das Werk des Theophilos von Edessa als einzige Quelle für die "orientalischen" Ereignisse bei Theophanes und die anderen Vergleichstexten diente. Conterno zufolge sind diese Passagen allerdings bei genauer Lektüre so heterogen in Form und Inhalt, dass sich eine erneute, vertiefte Betrachtung empfahl.

Im zweiten Kapitel analysiert sie sorgfältig diejenigen Passagen, die Ereignisse des oströmischen Reiches referrieren, die "nicht auf den ersten Blick" eine orientalische Quelle nahelegen und welche die Zeit von der Schlacht am Yarmuk bis zum Machtantritt von Justinian II. betreffen. Hier finden sich die meisten Übereinstimmungen zwischen den vier Vergleichstexten. Conterno weist nach, dass sie auf eine griechische Quelle aus orientalischem Kontext hinweisen, die zudem mit konstantinopolitanischen Traditionen vermengt wurde.

Das dritte Kapitel befasst sich mit den zerstreuten Informationen zu islamischen Geschichte, die ein viel komplexeres Bild abgeben. Hier lagen Theophanes offensichtlich unterschiedliche Quellen vor: Die ausführlichen Passagen zum achten Jahrhundert unserer Zeitrechnung stammen wohl aus dem Umfeld der kalifalen Machtzentren (z.B. die Passagen über Marwan II und zur Abbasidischen Revolution); die Abschnitte zum Leben Muhammads und den Konflikten zwischen ʿAlī und Muʿawiya scheinen hingegen aus anderen Traditionen zu stammen, die Theophanes oder seine Vorlage hinzufügte.

Das vierte Kapitel gibt einen Gesamtblick auf die Fragestellung, in dem Conterno zunächst die Organisation des gemeinsamen Materials betrachtet, des Weiteren die Inzidenz von Herrscherregistern und anderen ähnlichen Listen analysiert wie auch schließlich diejenigen Passagen untersucht, die jeweils nur in einigen der Vergleichstexte zu finden sind. Im Anschluss vergleicht sie im fünften Kapitel diese Ergebnisse mit anderen Texten, die gemäß Hoyland ebenfalls Material von Theophilos enthalten, nämlich die Chronik von 741 und die Chronik von 754 (lateinisch, beide aus hispanischen Kontext) wie auch die Chronik von Seert (arabisch, aus nestorianisch-syrischen Umfeld, 11. Jahrhundert unserer Zeitrechnung). Hier erweist sich die Hypothese einer mündlichen Überlieferung als möglicher Schlüssel zur Erklärung der Parallelen.

In der Conclusio stellt Conterno einige Hypothesen auf, um den Befund zu erklären. Klar ist, dass die syrische Chronik des Theophilos nicht die alleinige Quelle sein kann, sondern dass das Panorama sehr viel komplexer ist und hier ein Amalgam von Texten unterschiedlicher Provenienz und Sprache vorliegt.

Conterno schliesst mit einem Überblick über die Parallelpassagen, mit einer Kurzfassung der jeweils referrierten Ereignisse, mit einer Bibliographie und mit einem Namens- und Sachindex.

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussion über die Ursprünge des Islams und über die damit verbundene Quellenproblematik (siehe z.B. den Überblick von Fred Donner über die lange hitzige Debatte in der New Cambridge History of Islam; vgl. auch die rezenten Publikationen von Stephen Shoemaker The Death of a Prophet und Aziz al-Azmeh The Arabs and Islam in Late Antiquity, alle von 2011) bedeutet dieses Buch einen nüchternen, differenzierten und inspirierenden Beitrag, der auf einer soliden Textbasis ruht und methodisch durchdacht ist. Conterno's Arbeit konzentriert sich dabei nicht allein auf überlieferungsgeschichtliche Aspekte, sondern setzt die Frage in einen weiteren kulturgeschichtlichen Rahmen. Sie lotet mögliche Überlieferungskanäle und Kontaktzonen zwischen der islamischen und der christlich-byzantinischen Welt aus und kommt dabei zu höchst interessanten Ergebnissen, welche die Vorstellung eines kulturell-religiösen "eisernen Vorhangs" zwischen Byzanz und Islam in Frage stellen und die uns zeigen, dass noch vieles unerforscht ist. Die Studie bietet zudem ein vorzügliches Beispiel von gelungener Interdisziplinarität und zeigt eindrucksvoll die neuen Perspektiven, die ein globaler Blick jenseits von Fächergrenzen eröffnen kann. Sie sei sowohl an Historiker der Spätantike, Syrologen, Byzantinisten wie auch an Islamwissenschaftler empfohlen.

Isabel Toral-Niehoff