Rezension über:

Peter Wiegand: Der päpstliche Kollektor Marinus de Fregeno († 1482) und die Ablasspolitik der Wettiner. Quellen und Untersuchungen (= Quellen und Materialien zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; Bd. 5), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2015, 428 S., 1 Karte, 24 Farbabb., ISBN 978-3-86583-747-9, EUR 70,00
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Rezension von:
Kerstin Hitzbleck
Ahrensburg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Kerstin Hitzbleck: Rezension von: Peter Wiegand: Der päpstliche Kollektor Marinus de Fregeno († 1482) und die Ablasspolitik der Wettiner. Quellen und Untersuchungen, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 6 [15.06.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/06/27518.html


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Peter Wiegand: Der päpstliche Kollektor Marinus de Fregeno († 1482) und die Ablasspolitik der Wettiner

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"Die vorliegende Studie befasst sich [...] mit der Ablasspolitik spätmittelalterlicher Landesherren." (9) Erste Sätze können grausam sein. Das Buch stammt freilich aus der Feder des Dresdner Archivars Peter Wiegand und lässt damit eher ein Exempel wissenschaftlicher Nüchternheit denn einen sperrigen Exzess akademischer Hochgelehrtheit erwarten: Der Autor hat sich eines durchaus nicht unbekannten Dresdner Bestands aus der Kanzlei des Kurfürsten Friedrich II. von Sachsen angenommen, welcher die Kampagne des berühmt-berüchtigten päpstlichen Ablasskommissars Marinus de Fregeno dokumentiert und ihn mit zugehörigen Dokumenten aus dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar ergänzt. Das Ergebnis dieser umfangreichen Arbeiten präsentiert der Autor in Form einer zuverlässigen kritischen Edition (139-332), welche durch eine unaufgeregte einleitende Studie (9-128) erschlossen wird. Zwei Exkurse (129-137) befassen sich mit dem Wirken des Marinus de Fregeno als Ablasskommissar im nördlichen Europa sowie als Bischof von Kammin, wo er allerdings - wie viele kuriale Bewerber um einen Bischofsstuhl im deutschen Raum - nie hat Fuß fassen können.

Wiegand wählt einen Zugriff, der die verschiedenen zeitgenössischen, durchaus divergierenden ablasspolitischen Interessen berücksichtigt und wertneutral beschreibt. Er entgeht so der Gefahr, das spätmittelalterliche Ablasswesen hermeneutisch einseitig als Steilhang auf dem Weg zur Reformation, scheinheilige finanzielle Ausbeutung der Bevölkerung durch den Landesherrn oder eher verständnisinnig als typische, wenn auch mit befremdlichen finanziellen Begleiterscheinungen behaftete Gewissens- und Seelenheilspraxis des kleinen Mannes im Mittelalter zu deuten. Der Verfasser verortet das Ablasswesen und die Ablasskampagne des Marinus de Fregeno stattdessen im Schnittpunkt unterschiedlichster Intentionen, welche im päpstlichen Interesse an einem Türkenkreuzzug und der fürstlichen Verantwortung für das Seelenheil der Untertanen ebenso begründet lagen wie in dem "Bemühen, neue Geldquellen für eine zunehmend monetarisierte Landesherrschaft zu erschließen" (9). Ein wichtiger, anhand der Edition auch eindrucksvoll nachvollziehbarer Punkt von Wiegands Ausführungen ist dabei die fürstliche Einflussnahme auf die kurialen Ablasskampagnen: Nicht nur war das päpstliche Engagement in den partes häufig Reaktion auf eine fürstliche Anfrage - es wurde auch in Fällen, wie dem vorliegenden, in denen kuriale Interessen hinter der Verkündigung des Ablasses standen, durch die Fürsten intensiv überwacht und kontrolliert, da diese auch ihren eigenen finanziellen Vorteil in dem Unternehmen suchten. Herauszustellen ist auch Wiegands Betonung der regionalen Netzwerke, auf die ein päpstlicher, landfremder Ablasskommissar dringend angewiesen war, um seine Unternehmung zu einem erfolgreichen Abschluss bringen zu können.

Wiegand folgt der Ablasskampagne des Marinus de Fregeno trotz thematischer Schwerpunktsetzung grundsätzlich chronologisch von seiner Beauftragung als Ablasskommissar in Skandinavien und im norddeutschen Raum durch Calixt III. im Jahre 1457 bis zum Ende der Kampagne im Jahre 1460. Der für die Finanzierung des Türkenkreuzzugs bestimmte Ablass wurde in Norddeutschland zunächst abgelehnt, doch handelte Marinus mit Friedrich II. einen Ablasskompromiss aus, der dem Fürsten die Kontrolle und Mitarbeit an der Ablassverkündigung und darüber hinaus die Hälfte der Ablasseinnahmen zusicherte (1.2), welche der Wettiner in die Finanzierung der Hussitenabwehr zu investieren gedachte (1.3). Auch für weitergehende Fragestellungen zur Organisation päpstlicher Ablasskampagnen wie zur praktischen und administrativen Ausgestaltung der Territorialisierung im deutschen Raum interessant ist der folgende Abschnitt über den Verlauf und die Organisation der Kampagne des Marinus de Fregeno (1.4), der den personellen und organisatorischen Aufwand eines derartigen Unternehmens anschaulich darstellt. Das nächste Kapitel (1.5) ist dem tiefgreifenden Zerwürfnis zwischen Marinus de Fregeno und Friedrich II. gewidmet, das auf die Entscheidung des Ablasskommissars folgte, die dem Kurfürsten laut Ablassvertrag zustehenden Beträge einzubehalten. Wiegand arbeitet überzeugend heraus, dass die Entscheidung des Kommissars nicht, wie in der älteren Forschung oft angenommen, von sozusagen typisch kurialer Habgier motiviert war, sondern der Papst dem durch Marinus mit dem Fürsten ausgehandelten Ablasskompromiss seine Zustimmung verweigert hatte. Die anschließenden Abschnitte thematisieren die vorübergehende Einigung des sächsisch-kurialen Ablasskonflikts auf dem Kongress von Mantua (1.6) sowie den Ausgleich zwischen dem italienischen Ablasskommissar und dem sächsischen Kurfürsten (1.7). Im Ergebnis (1.8) hat Marinus ein für die päpstliche Kasse außerordentlich erfolgreiches Unternehmen geführt, das aber für den sächsischen Kurfürsten allen Kontrollbemühungen zum Trotz nur wenig einträglich gewesen ist. Der letzte Abschnitt der Studie (1.9) löst sich von der unmittelbaren Ereignisgeschichte dieser Ablasskampagne und kontextualisiert sie in der aktuellen Forschung zu Ablasspolitik und Kuriennähe der deutschen Fürsten vor der Reformation. Aufmerksamkeit verdient dabei auch die Erkenntnis, dass "die zunehmend restriktive Haltung der sächsischen Landesherren zum Ablass" nicht "als Indikator ihrer Empfänglichkeit für die Ideen der Reformation" gedeutet werden kann: "Weit weniger als kirchenpolitische Faktoren bestimmten [...] die in den unterschiedlichen Frömmigkeitsprofilen der beiden Wettiner begründeten "Gewissensmotive" die Haltung zur Reformation." (126)

Die Edition vereinigt die in Dresden und Weimar befindlichen Quellenbestände zur Ablasskampagne des Marinus de Fregeno in Mitteldeutschland. Die 164 mehrheitlich im Volltext wiedergegebenen lateinischen und deutschsprachigen Dokumente stellen der Forschung einen auch in seiner Vielfältigkeit eindrucksvollen Quellenbestand zur Verfügung, der päpstliche Schreiben ebenso enthält, wie er die Arbeit der fürstlichen Kanzlei und ihren Anteil an dem Unternehmen dokumentiert. Einen unmittelbaren Einblick in die Praxis einer Ablasskampagne liefern die Einnahmeverzeichnisse des Marinus de Fregeno, die akribisch die finanziell wie materiell sehr uneinheitlichen Zahlungen der namentlich genannten Ablasskäufer festhalten: So zahlt ein Mann namens Jorge Pauel seinen Ablass statt mit Geld durch Gabe einer Zinnkanne und zweier Schüsseln (217). Eine besonders erfreuliche Zutat, welche das schöne Werk auch für die Nutzung in der akademischen Lehre empfiehlt, sind die farbigen Reproduktionen von einigen Dokumenten, darunter etwa der Ablassvertrag mit Friedrich II. sowie Ausschnitte aus dem Verzeichnis der Ablasseinnahmen. Das Werk wird durch ein umfangreiches Register der Personen, Orte sowie ausgewählter Sachen erschlossen. Quellen- und Literaturverzeichnis fehlen selbstverständlich nicht.

Peter Wiegand ist für seine Arbeit zu danken, welche einen wichtigen und vielfältigen Quellenbestand nun für die Forschung erschließt und leicht konsultierbar macht. Es ist zu hoffen, dass das Werk weitere und weitergehende Arbeiten zu dieser berühmten Ablasskampagne wie auch zu diesem politisch wie religiös so bewegten Zeitraum vor der Reformation anregen wird. Dies herauszustellen war das Ziel der vorliegenden Rezension.

Kerstin Hitzbleck