Rezension über:

Reinhard Härtel (Hg.): Akkulturation im Mittelalter (= Vorträge und Forschungen; Bd. LXXVIII), Ostfildern: Thorbecke 2014, 566 S., ISBN 978-3-7995-6878-4, EUR 56,00
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Rezension von:
Anna Kollatz
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Anna Kollatz: Rezension von: Reinhard Härtel (Hg.): Akkulturation im Mittelalter, Ostfildern: Thorbecke 2014, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 5 [15.05.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/05/30501.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Vormoderne Transkulturalitätsforschung" in Ausgabe 17 (2017), Nr. 5

Reinhard Härtel (Hg.): Akkulturation im Mittelalter

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Der Band ging aus der Frühjahrstagung 2010 des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte hervor. Er vereint 14 Beiträge inklusive einer Einführung und Zusammenfassung der Tagung. Die Beiträge befassen sich mit dem im Vorwort angegebenen Raum, in dem Germania, Romania und Slavia aneinandergrenzen bzw. sich auch überlappen. Zu den in der Tagung vertretenen Beiträgen wurden drei weitere aufgenommen, die dem Band zu einer weiteren thematischen Breite verhelfen sollen. Reinhard Härtel entwirft in seiner Einführung die thematische sowie theoretische Rahmung, in der sich die Diskussion während der Tagung bewegte und erläutert die Eingrenzung des gewählten Themenbereichs. Es wird eine möglichst breite Basis von Fallstudien angestrebt, auf der Phänomene der Akkulturation im genannten Raum verglichen werden sollen. Der Band vereint vier Themenfelder, die jeweils mit zwei bis drei Beiträgen bestückt sind. Die ersten beiden adressieren mit Religion und "Lebensweise" klassische soziologische Subsysteme von Gesellschaften; in den folgenden Themenfeldern wird eine tiefergehende Analyse unter regionaler Eingrenzung auf den Kontaktraum Germania und Slavia sowie schließlich auf Prozesse in Situationen der Diaspora angestrebt. Eine geografische Abrundung erfährt der Band durch zwei zusätzliche Beiträge, die das venezianische Outremer bzw. Skandinavien in den Blick nehmen.

Dem theoretischen Ansatz 'Akkulturation' ist der erste Beitrag von Thomas Ertl gewidmet; die Einleitung des Herausgebers beschränkt sich auf eine allgemeine Erläuterung zur Wahl dieses Konzeptes. Wie auch im in dieser Ausgabe besprochenen Band von Flüchter und Richter wird hier der Versuch unternommen, ein bereits breit ausgearbeitetes, mit mancher Belastung daherkommendes Konzept neu zu beleben und für auf transkulturellen Vergleich ausgerichtete Studien nutzbar zu machen. Thomas Ertl gelingt es in seinem Beitrag, das durchaus beklagenswerte "Definitionswirrwarr" um den Begriff Akkulturation zu ordnen, die jeweiligen Forschungskontexte der verschiedenen Zugänge klar zu machen und an seinem Fallbeispiel, den 'Mongolen in Brokat' zu zeigen, wie man den Begriff Akkulturation - geht man von einer weiten Definition aus - für die Untersuchung von Veränderungen von Kulturmustern in transkultureller Perspektive fruchtbar machen kann. Es ist ein wenig schade, dass der vom Herausgeber angestrebte gemeinsame theoretische Ansatz des Bandes trotz der von Ertl gelegten belastbaren Basis nicht durchgehalten wird - oder werden kann.

Bereits der zweite Beitrag bekennt sich zwar zum gemeinsamen Ansatz, verwendet dann aber eine eigene Auffassung von Akkulturationsprozessen (die allerdings aus dem Tagungskontext stammt, wie aus Schmieders Zusammenfassung hervorgeht). Symptomatisch für die theoretische Uneinigkeit ist, dass andere Beiträge gar nicht mehr von 'Akkulturation', sondern 'Akkulturierung' sprechen, oder zum Schluss kommen, dass ihre vorgelegten Fallbeispiele mit dem Konzept nicht vereinbar sind. Berechtigt ist sicherlich der kritische Einwurf von Schmitt, der anmerkt, die Bezeichnung 'Akkulturierung' [sic] könne durchaus auch zur Bemäntelung gewaltsamer Prozesse führen. Der Versuch, ein vorgeprägtes Konzept übergreifend nutzbar zu machen, stößt hier an seine Grenzen, weil der gewählte Begriff als beschönigend, damit nicht objektiv genug zur Beschreibung diverser historischer Phänomene, empfunden wird.

Eine größere Herausforderung stellt jedoch ein Problem dar, das Thomas Ertl in seinem Beitrag diskutiert und das auch in weiteren Beiträgen aufscheint. Ertl stellt fest, dass das Konzept der Akkulturation eine relative Homogenität innerhalb der in Kontakt tretenden Gruppen, oder 'Kulturen', voraussetzt. Diese Grundannahme ist auch in der theoretischen Ausrichtung des Bandes und der einzelnen Beiträge wiederzufinden. Es entsteht schon in der Einleitung, mehr aber noch in den einzelnen Beiträgen des Bandes der Eindruck, dass die Mehrheit der Autoren eher von einem geschlossenen Kulturbegriff ausgeht. Es ist auffällig häufig von Kultur-Kontakten an den 'Rändern' von Kulturen, bzw. von 'interkulturellen' Kontakten die Rede, was dem Leser das Herder'sche Modell in den Sinn kommen lässt. Die Idee der Transkulturalität und der prozesshaften Wandelbarkeit von sozialen Gemeinschaften wird zwar angesprochen, der Analyse aber nicht wesentlich zugrunde gelegt. Nur in einigen Beiträgen wird auf die Problematik dieser Grundkonzeption verwiesen; so zitiert Klaus Herbers einen Diskussionsbeitrag Juliane Schiels, die während der Tagung dafür plädierte, 'Kulturen' eher als hybride Produkte eines Akkulturationsprozesses zu sehen, denn als statisches 'Ausgangsmaterial'. Ebenso stellt auch Schorkowitz fest, "soziale Gemeinschaften" seien "keine geschlossenen, sondern durchlässige Größen." Das Verdienst des Bandes ist es hier, diese Grundproblematik zu erkennen und anzusprechen. Eine Weiterentwicklung der theoretischen Basis könnte nun auf diesem Schritt aufbauend erfolgen. Als anregende Fragensammlung auf dem Weg zum eigenen 'sehepunkt' auf 'Akkulturation' als Konzept darf die Tagungszusammenfassung Schmieders empfohlen werden.

Auch weitere Problemfelder transkulturell vergleichender Arbeit werden in dem Band sichtbar. Neben dem 'Definitionswirrwarr' (diese Diagnose betrifft leider einen Großteil der im transkulturellen Vergleich bemühten Konzepte) ist besonders auf teils äußerst hinderliche Fachgrenzen und damit einhergehende schlecht kompatible Forschungstraditionen zu verweisen. Es ist schade, dass etwa Schmitt sich in seinem Beitrag gezwungen sieht, die bis in die Gegenwart andauernden Auswirkungen der von ihm behandelten Phänomene auszublenden, da sie im mediävistischen Kontext nicht am rechten Platz seien. Dies möge bitte weder als Vorwurf an den Autor, noch an den Herausgeber verstanden werden. Es ist lediglich der Ausdruck echten Bedauerns der Rezensentin, die sich gerade für solche Fälle eine Entwicklung hin zu Transkulturalität in der Forschung wünscht. Ähnliches zeigen Desiderata, die in verschiedenen Beiträgen benannt werden. Gerade diejenigen geografischen und historischen Räume, in denen interessante Kontakt- und Transformationsprozesse stattfinden, sind häufig Niemandsland zwischen sich teils überlappenden Fachtraditionen, die bisher aber aufgrund ihrer methodischen wie theoretischen Unterschiede oftmals wenig echte Synergien erzeugen konnten. Hier weist der Band in Richtung der Öffnung neuer Raumkonzeptionen, die nicht nur geografische Kontakträume in den Fokus setzen und helfen, Fachgrenzen zu überbrücken (wie es etwa seit 2016 das SPP Transottomanica für osteuropäisch-osmanisch-persische Verflechtungen tut). Der Band vereint somit nicht nur eine Anzahl interessanter Fallstudien, die durch das Namensregister gut erschließbar gemacht wurden, sondern gibt durch explizite wie implizite Schlüsse auch Impulse für die Weiterentwicklung transkultureller Forschung.

Anna Kollatz