Rezension über:

Ulrich Bongertmann / Ralph Erbar / Niko Lamprecht u.a.: Leitfaden Referendariat im Fach Geschichte, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2017, 276 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-7344-0445-0, EUR 24,00
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Rezension von:
Christian Schmidtmann
Fachseminar Geschichte, Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung, Hamm
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Christian Schmidtmann: Rezension von: Ulrich Bongertmann / Ralph Erbar / Niko Lamprecht u.a.: Leitfaden Referendariat im Fach Geschichte, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 11 [15.11.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/11/31519.html


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Ulrich Bongertmann / Ralph Erbar / Niko Lamprecht u.a.: Leitfaden Referendariat im Fach Geschichte

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Die Unsicherheit angehender Lehrerinnen und Lehrer ist groß. Diesen Eindruck muss man jedenfalls beim Studium einschlägiger Verlagsprospekte gewinnen, die eine unüberschaubare Vielzahl an Einführungs- und Hilfsbüchern für Referendarinnen und Referendare aufführen. Für den Geschichtsunterricht entwickelte sich das 2001 erstmals erschienene Buch "Geschichte unterrichten" des Göttinger Fachdidaktikers Michael Sauer zum sehr erfolgreichen und mittlerweile in der 13. Auflage erhältlichen Begleiter für die zweite Ausbildungsphase. [1] Es folgt einem deduktiven Ansatz und bietet auf knapp 300 Seiten sehr systematisch geordnet konzentriertes Handbuchwissen über Prinzipien, Methoden und Medien des Geschichtsunterrichts.

Nicht grundsätzlich einen anderen Weg gehen die Autorin und die Autoren des "Leitfadens", die alle an Schulen und in der Lehrerausbildung tätig sind. Auch hier nimmt die zusammenfassende Darstellung der Prinzipien und Medien des Geschichtsunterrichts einen Großteil des Buches ein. Die einschlägigen fachdidaktischen Überlegungen werden mit Sinn für in der Praxis häufig auftretende Probleme und Sensibilität für das schulisch Machbare solide referiert. Die Vermittlung von Theorie und Praxis gelingt im Band zum Beispiel bei Überlegungen zum Umgang mit Quellen, zu Lehr-Lernkonzepten oder zur Aufgabenkultur gut. Sie scheitert nach meinen Eindrücken aber bei zwei zentralen Themen, bei denen es offenbar schwerfällt, akademischen Diskurs und didaktische Entscheidungsfindung aufeinander zu beziehen. Zu nennen wäre hier zum einen die historische Urteilsbildung. Sie gilt in der Ausbildungspraxis vielfach als unabdingbares Element möglichst jeder Geschichtsstunde und ist in den einheitlichen Prüfungsanforderungen der Kultusministerkonferenz für das Fach Geschichte verankert. Dementsprechend widmet das Autorenteam des Leitfadens ihr auch vergleichsweise viel Raum. Sie gelangen dabei aber kaum über die in den 1970er Jahren etablierte Unterscheidung von Sach- und Werturteil hinaus, eine Kategorienbildung allerdings, die theoretisch überholt erscheint, wenig Trennschärfe aufweist und vor allem kaum hilfreich bei der konkreten Planung aspektreicher und reflektierter Urteilsbildungsprozesse ist. Die Unsicherheit mag eine Folge davon sein, dass im akademischen Bereich in den letzten Jahren nur am Rande im Rahmen der Modellierung von Kompetenzmodellen über Urteilsbildung nachgedacht wurde. Womit der zweite Problembereich benannt wäre. Vor der Aufgabe, den breiten fachdidaktischen Diskurs über Kompetenzen in Hinweise für eine konkrete fachliche Planungspraxis umzusetzen, kapitulieren die Autorin und die Autoren. "Richtig klar" ist für sie nicht, "was einen kompetenzorientierten Unterricht von anderen Formen unterscheidet" (67). Sie belassen es daher bei dem Hinweis, dass "Kompetenzorientierung vor allem die Aufforderung [bedeutet], vom Ende her zu denken, was nach der Stunde und Reihe in den Schülerköpfen bleiben soll" (72).

Darüber hinaus erstaunt es, dass das sehr wichtige Thema Heterogenität in dem Buch keine Berücksichtigung findet. Obwohl diagnostische Möglichkeiten angesprochen werden, werden weder Möglichkeiten der Differenzierung aufgezeigt, noch die aktuelle Diskussion um sprachsensiblen Geschichtsunterricht aufgegriffen. Inklusion und kulturelle Unterschiede werden erst recht nicht thematisiert. Alleiniger Zielpunkt der Überlegungen scheint die kulturell wie leistungsmäßig homogene Gymnasialklasse zu sein.

Diese Einschränkung vorausgesetzt überzeugt das Buch immer dann besonders, wenn es um die Kernbereiche schulischer Ausbildung geht. So werden Referendarinnen und Referendare beispielsweise die Idee zu schätzen wissen, zu Beginn des "Leitfadens" Elemente einer praktikablen Notfallplanung für eine Geschichtsstunde auf drei Seiten darzustellen. An anderer Stelle wird dann viel ausführlicher auf die Planung von Stunden und Reihen eingegangen. Leitbild ist dabei ein "Problemorientierter Arbeitsunterricht" (111), dessen Themenfindung sich an Klafki orientiert und der der traditionellen Strukturierung Problemfrage - Erarbeitung - Urteil/Fazit folgt. Man mag sich aus geschichtsdidaktischer Sicht vielleicht auch mehr Innovationsgeist wünschen - das Gebotene entspricht sicherlich den Erwartungen vieler Ausbilderinnen und Ausbilder hinsichtlich guten Geschichtsunterrichts. Die große Erfahrung des Autorenteams schlägt sich im Bereich der Unterrichtsplanung besonders positiv nieder. So findet sich zum Beispiel eine Fülle von Beispielen für die mögliche Strukturierung von Unterrichtsreihen und die Formulierung von Stundenthemen. Eindrücklich zeigt zudem der Vergleich einer "gelungenen" mit einer "misslungenen" Examensstunde (191-200) klassische Fallstricke der Unterrichtsplanung auf.

Niedergeschlagen hat sich das Bemühen um Praxisnähe auch in einem 35 Seiten umfassenden Anhang. Er beinhaltet neben grundlegenden Texten, zum Beispiel dem Gesetz zur "Volksverhetzung", dem "Beutelsbacher Konsens" und einschlägigen Operatorenlisten, auch eine Fülle von Checklisten und Kopiervorlagen. Diese sind zwar selten fachspezifisch, geben den Berufsanfängerinnen und Berufsanfängern jedoch gute Hilfen, die Komplexität des Berufsfelds Schule zu bewältigen.

Ähnliches lässt sich hinsichtlich des gesamten Buchs sagen. Dem im Titel ausgedrückten Anspruch, einen "Leitfaden" durch das Referendariat im Fach Geschichte zu bieten, wird es sicherlich gerecht. Es ist gut geeignet, die fachliche Ausbildung in dieser Phase zu unterstützen. Weiter kann man den Ansprüchen vieler Referendarinnen und Referendare nach konkreter Hilfe kaum entgegenkommen. Ein komplexer, kreativer Prozess, der immer neue fachliche und fachdidaktische Reflexion erfordert, bleibt die Gestaltung von Geschichtsunterricht trotzdem. Es steht zu hoffen, dass viele Leserinnen und Leser dieses Buches das nicht als Bürde, sondern als Chance begreifen.


Anmerkung:

[1] Michael Sauer: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, 13. Auflage, Seelze 2018.

Christian Schmidtmann