Rezension über:

Alessio Assonitis / Brian Sandberg (eds.): The Grand Ducal Medici and their Archive (1537-1743) (= The Medici Archive Project Series), Turnhout: Harvey Miller Publishers 2016, 222 S., 5 Farb-, 41 s/w-Abb., ISBN 978-1-909400-34-4, EUR 85,00
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Rezension von:
Heinrich Lang
Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Lang: Rezension von: Alessio Assonitis / Brian Sandberg (eds.): The Grand Ducal Medici and their Archive (1537-1743), Turnhout: Harvey Miller Publishers 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 12 [15.12.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/12/30151.html


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Alessio Assonitis / Brian Sandberg (eds.): The Grand Ducal Medici and their Archive (1537-1743)

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Das Großherzogliche Medici-Archiv im Staatsarchiv Florenz ist eine der bedeutendsten Sammlungen der frühneuzeitlichen Fürstenwelt. Das in den frühen 1990er-Jahren gegründete Medici Archive Project widmet sich der Erschließung und Auswertung der in rund 6.400 Bänden gebündelten brieflichen Schreiben und betreibt eine netzbasierte Forschungsplattform (Building Interactive Archive). Die vorliegende Publikation umfasst 16 Aufsätze, die von Medici Archive Project Fellows und unmittelbar Beteiligten stammen. Vor dem Hintergrund der umfassend aufgearbeiteten Literatur leuchten die Beiträge schlaglichtartig die Möglichkeiten aus, die der Mediceo del Principato (das Großherzogliche Medici-Archiv) bietet. Hierbei eröffnen sich vor allem neue Perspektiven auf bereits umrissene Themen oder durch die Präsentation von bisher nicht erschlossenem Material neue Forschungsdiskussionen. Der Schwerpunkt der chronologisch angeordneten Analysen liegt auf dem 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.

Stefano Dall'Aglio erzählt die Ermordung Lorenzo di Piero Francesco de' Medicis, genannt Lorenzino, im Jahr 1537 als Racheakt Karls V. Denn der Kaiser konnte die Beseitigung des Gatten seiner natürlichen Tochter Margarethe, des Usurpators Herzog Alessandro, nicht ungerührt hinnehmen.

Mit seinem Beitrag zur Physiognomie der Büchersammlung Cosimos I. setzt Alessio Assonitis nicht nur einen Impuls zur Erschließung der privaten Bibliothek des Herrschers, sondern zugleich zur Charakterisierung von Mustern kulturellen Geschmacks. Das Inventar von 1553 belegt 1.060 Einheiten, die besonders medizinische Wissensbestände, aber auch religiöse Entwicklungen betreffen. Der Großherzog bemühte sich um eine aktive Teilnahme am intellektuellen Leben und protegierte protestantische und häretische Denker.

Beim Prozess der Transformation von Florenz zur Hauptstadt des Fürstentums unter der Leitung von Giorgio Vasari wurden vorhandene Baumaterialen für Umgestaltungen oder Neubauten weiterverwendet, sodass Francesca Funis materielle Kontinuitäten und die Organisation der Vorhaben nachvollziehen kann.

Anatole Tchikine konturiert die Figur des Don Luis de Toledo im Umfeld des Medici-Hofes. Der aus der Álvarez de Toledo-Familie stammende Cousin des Herzogs Ferdinando von Alba war zunächst für die geistliche Laufbahn bestimmt, betrieb nach deren Scheitern seine "Verweltlichung" durch die Heirat mit der hochadeligen Violante Moscoso Osorio. Don Luis de Toledo exemplifiziert den hohen Adeligen, der seinen Ambitionen in zweiter Reihe frönte und der allen Bemühungen zum Trotz nicht über die beschränkte Repräsentationswelt der fürstlichen Paläste hinauskam.

Mit Jacobiglio Hebreo aus Ferrara stellt Piergabriele Mancuso die komplexen Beziehungen des toskanischen Herzogtums zu Juden dar. Jacobiglio übernahm für den Großherzog verschiedene Aufgaben wie etwa den Freikauf von Gefangenen in Konstantinopel oder in den späten 1560er-Jahren die Abwicklung von Geschäften in Venedig mit einem Kapital von immerhin 10.000 Dukaten, die er vom Ghetto aus unter dem Namen Jacobo Nuñes tätigte.

Im einzigen Beitrag, der nicht unmittelbar mit dem höfischen Leben von Florenz zu tun hat, beschäftigt sich Elena Brizio mit den Seneserinnen, die nach der Eroberung der Stadt durch das Herzogtum Toskana im Jahr 1555 ihre Familiengüter verwalteten und die sich im Gefolge der Besetzung der Stadt durch fremde Truppen zunehmend sexueller Gewalt ausgesetzt sahen.

Sheila Barker beschreibt die Großherzogin Maria Magdalena von Habsburg und die an den französischen König Heinrich IV. verheiratete Maria de' Medici als Agentinnen pharmazeutischen Wissens durch die Anlage eigener Sammlungen, die Pflege des medizinischen Bestandes und, im Fall von Maria, die Gründung des ersten botanischen Gartens in Florenz.

Durch die Briefe vom spanischen Hof in den Jahren 1562/63 des einstigen Generalkapitäns Cosimos I. und nunmehrigen Gesandten Francescos I., Chiappino Vitelli, leuchtet Maurizio Arfaioli biografische Details der schwer greifbaren Malerin Sofonisba Anguissola aus. Damit illustriert er die Einordnung der ersten bekannten Hofmalerin in soziale und kulturelle Konventionen, die den Blick auf Künstlerinnen im höfischen Kunstschaffen verwischen.

Lia Markey wendet sich der Sammlung von Objekten aus der Neuen Welt zu, welche die Großherzöge Francesco und Ferdinando am Medici-Hof in Florenz zusammenstellen ließen und die sie durch damit verbundene Kunstaufträge überformten. Ein zunehmend dichtes Informations- und Nachrichtennetz unterlag diesen Aktivitäten.

Mit den Beziehungen zwischen den Medici und den Herzögen von Savoyen analysiert Roberta Piccinelli ein Thema, an dem sich die Ausdifferenzierung der verschiedenen Ebenen des diplomatischen Verkehrs, des Austausches von Ingenieuren und Künstlern sowie der politischen Ambitionen einzelner Personen exemplifizieren lässt.

Der Sultansprätendent Jachia ben Mehmet, der seinen Anspruch auf den Thron gegen den regierenden Murad III. († 1603) durch die Vermittlung auswärtiger Höfe durchzusetzen bestrebt war, wird im Beitrag Mark Rosens sichtbar. Zwar entsandte Granduca Ferdinando eigens einen Giorgio Moschetti zur Klärung der Identität des Prätendenten, aber er verstand es nicht, daraus politisches Kapital zu schlagen.

Die Darstellung wertvoller Objekte nutzt Brendan Dooley, um den Dialog zwischen der sozialen Aufsteigerin Livia Vernazza, zunächst Konkubine, dann Gattin des Don Giovanni de' Medici, und den von ihr angeeigneten Gegenständen als Verflechtungsgeschichte zwischen symbolträchtiger Materialität und biografischer Selbstbehauptung im höfischen Ambiente zu charakterisieren.

Brian Sandberg zeigt, dass die bereits erwähnte Maria de' Medici und die Herzogswitwe Christine de Lorraine, die Möglichkeiten ihrer Regentschaften am Medici-Hof ausschöpften, indem sie sich der Kunstaufträge ebenso befleißigten wie sie ihre jeweilige Mutter- bzw. Witwenschaft zur Verbreitung ihres medizinischen Interesses im weitgespannten Verwandtschaftsnetzwerk inszenierten.

Auf der Grundlage der Briefwechsel von Eleonora Gonzaga, deren Mutter Eleonora de' Medici war und die 1621 an Ferdinand II. von Habsburg verheiratet wurde, analysiert Lisa Goldenberg Stoppato Kunstaufträge und kann die Zuschreibung einer Reihe an Porträts, etwa des Malers Tiberio Titi, bestätigen oder neu vornehmen.

Die avvisi (handschriftlichen Nachrichtenbriefe) und diplomatischen Korrespondenzen, die den Florentiner Hof aus England in der Phase relativer Ruhe von 1614 bis 1622 erreichten und die wirtschaftliche Beziehungen, dynastische Planungen sowie die finanziellen Verhältnisse Königs James II. thematisieren, stellt Lisa Kaborycha vor.

Mit den Nachrichtenbriefen des Amerigo Salvetti, die er als Vertreter des Medici-Großherzogs am englischen Königshof während der Livorno-Krise des Jahres 1653 zwischen England und den Niederlanden verfasste, beschäftigt sich Nicholas Brownlees und stellt sie als Teil des komplexen Informationssystems der Medici dar.

Den Autoren gelingt ein kaleidoskopischer Einblick in die Elitenforschung im Kontext des Medici-Hofes. Allerdings geben die Beiträge kaum Hinweise auf die soziale oder wirtschaftliche Tiefenschärfe des Geschehens. Insgesamt lesen sich die vom Bearbeitungsstand unterschiedlich ausgefallenen Aufsätze wie ein programmatisches Versprechen der digitalen Forschungsplattform in Ergänzung zur üblichen Archivarbeit. Dieser Band verweist damit vor allem auf fortzusetzende oder künftige Forschungsleistungen.

Heinrich Lang