Rezension über:

Sascha Winter: Das Grab in der Natur. Sepulkralkunst und Memoriakultur in europäischen Gärten und Parks des 18. Jahrhunderts (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 161), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2018, 519 S., 364 Farb-, 159 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-0730-5, EUR 119,00
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Rezension von:
Claus U. Rieth
Mulhouse
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Claus U. Rieth: Rezension von: Sascha Winter: Das Grab in der Natur. Sepulkralkunst und Memoriakultur in europäischen Gärten und Parks des 18. Jahrhunderts, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2018, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 2 [15.02.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/02/33359.html


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Sascha Winter: Das Grab in der Natur

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Sascha Winter hat den Anspruch, eine europäische Perspektive auf die Grab- und Memorialkultur in Natur-Räumen zu leisten, die sich im 18. Jahrhundert überwiegend in Deutschland vollzogen hat. Winter will dies "möglichst transnational und multiperspektivisch" und "erstmals auf breiter Quellenbasis sowie anhand vergleichender Einzelstudien (...) analysieren und für die interdisziplinäre Forschung anschlussfähig (...) machen" (19). Er stellt die Frage nach der Entstehung der kultur- und sozial-historischen Wirkung und reflektiert dies auf der Basis zeitgenössischer Kunst- und Reiseliteratur.

Die Studie gliedert Winter in zwei große Teile, einen "europäischen" ersten Teil und eine "vertiefte deutsche Perspektive". Der erste Teil gliedert sich in zwei Hauptkapitel: das erste betrachtet die europäischen "Vorläufer" des 16./17. Jahrhunderts in 'Italien', 'Deutschland' und den Übergang vom Sakral- in den Natur-Raum als massgebliche Konstante. Winter fördert mit hohem Detailreichtum Quellen aus der arkadischen Tradition, symbolisch repräsentiert durch Nicolas Poussins Gemälde "Les bergers d'Arcadie" / "Et in arcadia ego" (16) In diesen Zusammenhang stellt er auch das Totengedenken der Dichtergesellschaften bei Nürnberg (22-59).

Eine weitere Wirkungslinie entdeckt er danach durch die Interpretation der englischen Gartengrabtradition, die einerseits durch die Theorie John Evelyns mit seinem "Elysium Britannicum" im 17. Jahrhundert, das 1706 bei seinem Tod noch unveröffentlicht war [1], und die andererseits von kolonialen Einflüssen auf die Grabkultur aus Indien und Persien beeinflusst sei (87). Exemplarisch sind dafür Stowe Garden als 'Erinnerungslandschaft' und die Memorial-Monumente in Wentworth Woodhouse sowie Shugborough Hall. Diese gartentheoretische Linie habe erst nach Anfang des 18. Jahrhunderts in Frankreich eine Fortsetzung erfahren (88-103).

Im Blick auf Frankreich fördert Winter sehr umfangreiches Material zur Entwicklung von Gräbern in Gärten hervor. Die "Inkunabel des europäischen Gartengrabes" (104) sieht er in Rousseaus Grab auf einer Insel im Landschaftsgarten des Marquis de Girardin in Ermenonville, wo Rousseau im Juli 1778 starb. Die Publikationen zu diesem Begräbnisplatz hätten als europaweite Initialzündung für die weitere Entwicklung der Grabkultur aristokratischer und bürgerlicher Kreise gewirkt. Die anti-ekklesialen und aufklärerischen Motive verbanden sich nach Winter bei ihnen mit arkadisch inspirierten Motiven (104-108).

Den zweiten Teil zur "deutschen Perspektive" gliedert Winter in drei Abschnitte: einen ersten - Kapitel IV. - zu "Gräbern in der deutschsprachigen Gartenpublizistik" mit einer ausführlichen Betrachtung der "Theorie der Gartenkunst" Hirschfelds von 1775. Danach analysiert er exemplarisch Gartenkunstzeitschriften, theoretische Entwürfe und illustrierte Gartenführer. In den zehn Einzelstudien untersucht er den "singulären" Kontext der Gartengräber in Deutschland. [2] Dabei will Winter fünf Kriterien anwenden, um eine "möglichst objektiv vergleichende Analyse (...) der Grabprojekte" zu erreichen. [3]

Nach Winter ist die Gartentheorie Hirschfelds ein Schlüssel zur Weiterentwicklung der Gartengräber auf deutschem Gebiet (237 ff.), in dem die Grabkultur immer wieder auftauche. Hirschfeld kannte dabei die antiken, englischen und französischen Orte seiner Abbildungen nicht aus eigener Anschauung, war also im guten Sinne 'collectionneur'. Der entscheidende Impuls auf deutschen Territorien ginge dann aber aus vom Zusammenwirken der französisch geprägten Aufklärung Voltaires und der an Lukrez orientierten Philosophie bei Friedrich II. (191-193).

Winter gelingt es, das Gewebe dieser im Kontext der klassischen römischen Philosophie stehenden Denkentwicklung in den verschiedenen territorialen Ausprägungen anschaulich zu machen. Ob dies in jedem Fall schlüssig und linear nachweisbar ist - die Vermittlung geschah oft über eine vermutete Lektüre von Bildbänden [4] und philosophischen Texten - ist offen. [5] Dennoch bringt Winter eine vielschichtige Entwicklung im die Antike rezipierenden und nachahmenden transalpinen Raum zum Leuchten. Das ist die Stärke seines Ansatzes.

Die Traditions-Stränge katholischer und dann reformatorischer Prägung werden demgegenüber nicht vertieft (105, 113) Dies gilt auch für die Hintergründe der architektonischen Formen wie Mausoleum und Pyramide. [6] Hermeneutisch ist in den Einzelstudien der Zusammenhang von Interpretation mittels Publikationen und originärem Selbstverständnis nicht geklärt. Auch der Einfluss der Romantik auf die Vorstellungen bei der Gestaltung der Grab- und Erinnerungslandschaften (138) sowie das Verhältnis von Wirkung bestimmter Gräber in der Öffentlichkeit, Wirkung der verstorbenen Person und gelungener Grabgestaltung bleiben offen.

An vielen Stellen wird von Winter nicht genügend zwischen der Wiedergabe von Tradition der Garten- und Grab-Kultur differenziert und das führt zu einem Meer von Informationen. Die große Linie der Traditions-Entwicklung verliert sich bei Winter in der Fülle des präsentierten Materials und der Exkurse sowie durch die wenig systematische Gliederung. Dies ist auch bis in die Gestaltung der Absätze hinein der Fall (beispielhaft 101, 309 ff.) Hilfreich wäre auch ein separater Quellenband gewesen.

Im Zusammenhang mit dem Forschungsstand des Themas gilt es anzumerken, dass zwar die massgebliche Literatur für den deutschen Kontext angegeben ist, eine ausführliche konzeptuelle Auseinandersetzung mit den Ansätzen von Buttlar, Niedermeier (Winter zitiert elf Titel, 505) und Dorgerloh (Winter zitiert zwölf Titel, 497) aber nicht stattfindet. [7] Selbst das 2012 von Anette Dorgerloh vorgelegte, theologisch und philosophisch hoch reflektierte Werk wird nur in einem Absatz kurz kritisiert. [8] Auch im Aufbau der Einzelstudien Winters ergeben sich starke Parallelen zu der von Dorgerloh zuvor vorgelegten Untersuchung. [9]

Die Frage bleibt, inwieweit Winter mit seiner Darstellung im zweiten Teil über den Stand der Forschung hinausgeht. Die genannten Ziele werden in der Diskussion mit der vorliegenden Literatur nicht wirklich abgeglichen. Eine Meta-Reflektion des Dargestellten findet nur punktuell statt. Das Neue daran liegt eher in der Fülle der Quellen, die jedoch die süddeutschen Territorien in Bayern, Württemberg oder Baden nicht abdecken, wie z.B. die Pyramide in Karlsruhe für den aufgeklärt denkenden badischen Markgraf Karl III. Wilhelm von Baden-Durlach.

Der kreative Neuansatz des ersten Teils, die Grabkultur in einem europäischen Zusammenhang zu stellen, wird durch das Auslassen der Diskussion mit Winter vorliegenden Forschungsergebnissen herabgesetzt. Der Anspruch, eine neue Quellenbasis zu liefern, ist durch die Unübersichtlichkeit des Materials eingeschränkt und für eine interdisziplinäre Forschung schwer aufzuschlüsseln. Der Anspruch, einen ausführlichen Ergebnisteil zu liefern, wird nicht eingelöst.


Anmerkungen:

[1] Vgl. 83: John E. Ingram: John Evelyn. Elysium Britanicum or The Royal Gardens, (= Penn Studies in Landscape Architecture), Philadelphia 2001.

[2] Vgl. 22: Die Orte der Einzelstudien sind 1. Sanssouci und Rheinsberg 2. Garzau 3. Berlin 4. Halberstadt 5. Wörlitz und Dessau 6. Darmstadt 7. Kassel und Umgebung 8. Schaumburger Wald / Bückeburg 9. Gotha und Umgebung 10. Ossmanstedt bei Weimar.

[3] Die fünf Kriterien sind: "1. gartenkünstlerischer Kontext und soziokultureller Hintergrund 2. Planungs- und Entstehungsgeschichte [...] kunsthistorische Autopsie [...] 3. memoriale und trauerkultische Praxis 4. zeitgenössische Wahrnehmungen und mediale Vermittlungen 5. zeitgenössische Bewahrungsbestrebungen [...] spätere Überlieferungsbedingungen", Winter (2018), 22.

[4] Vgl. beispielhaft 174, 2. Spalte (negativ), 197: "Heinrich dürfte...den Garten...besucht haben oder kannte ihn zumindest von...Publikationen", 201: "Daneben waren ihm sicher [? auct.] Publikationen...bekannt" und 260, 2. Spalte.

[5] So endet der Abschnitt über die englische Traditionsline: "Mit den verschiedenen kurzen Passagen (bei Chambers) hatte sich das Thema 'Grab im Garten' in der englischen Gartentheorie bereits erschöpft. Eine gartentheoretische Fundierung sollte wenige Jahre später erst in Frankreich, vor allem aber in den deutschen Territorien erfolgen." Das Resumé Winters zu Mausoleen in Frankreich: "Anders als in England konnte sich die Bauaufgabe Mausoleum in Frankreich nicht in den Gärten etablieren. Dabei hätten sich gerade im katholisch geprägten Frankreich geweihte Mausoleen und Grabkapellen als religiös sanktionierte Grabformen für Gartenbegräbnisse angeboten." 117 und später: "Obwohl Grabstätten auf privatem Grundbesitz Gegenstand einer öffentlichen Diskussion über Sepulkralkultur waren......blieb die Resonanz in der Gesellschaft wohl eher gering." 128 2. Spalte (Hervorhebungen auct.). Wie wirksam waren denn dann diese Ansätze wirklich, wenn Winter hier zu negativen Schlüssen kommt, sie später aber als Linien ins Spiel bringt?

[6] Vgl. 92-95. Dazu aber Annette Dorgerloh: Pyramiden im frühen Landschaftsgarten (zusammen mit Michael Niedermeier), in: Pegasus. Berliner Beiträge zum Nachleben der Antike 6 (2006), 133-161.

[7] Beispielhaft zitiert Winter im Abschnitt zu Friedrich II. und Rheinsberg (V. 1.1.) Dorgerlohs entsprechende Abschnitte in: Strategien des Überdauerns. Das Grab und Erinnerungsmal im frühen deutschen Landschaftsgarten, Düsseldorf 2012, in Fussnote 1130, er geht aber mit keinem Wort auf deren Ergebnisse ein.

[8] Winters sieht sich mit seiner Untersuchung in einer Parallelität zu Dorgerloh und Niedermeier, "die sich vor allem den Grab- und Denkmälern in deutschen Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts widmen" dabei die Entwicklung sehen "unter besonderer Berücksichtigung der Pyramidenbauten, in erster Linie als antike sowie vor- und frühgeschichtliche Transformationen, die im Kontext eines frühen Landschaftsgartens als programmatische Träger einer genealogisch-dynastischen, patriotischen sowie geheimgesellschaftlichen-freimaurerischen Gedächtniskultur fungierten und vorrangig im nordisch-protestantischen Kulturkreis Verbreitung fanden". Vgl. 18 demgegenüber Dorgerloh (wie Anm. 7).

[9] Vgl. 6f. mit Dorgerloh (2012), 6-8; z.B. Potsdam, Rheinsberg, von Anhalt-Dessau, Bückeburg, Garzau, Machern, Büsching / Berlin, Gleim / Halberstadt; davor Parallelen zu Elysium und Drehberg, Die Rousseau-Insel / Ermenonville, Schochs Grab (Dorgerloh (wie Anm. 7), 221-230) und Freimaurerei und Geheimbünde (Dorgerloh (wie Anm. 7), 305).

Claus U. Rieth