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Stephan Conermann: Neuere Forschungen zur Sklaverei und zu anderen Formen starker asymmetrischer AbhĂ€ngigkeit III. Einführung, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 11 [15.11.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
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Neuere Forschungen zur Sklaverei und zu anderen Formen starker asymmetrischer AbhÀngigkeit III

Einführung

Von Stephan Conermann

Nachdem in den beiden vorangegangenen FOREN [sehepunkte 19 (2019), Nr. 1 bzw. 20 (2020), Nr. 1] Publikationen im Mittelpunkt standen, die sich in erster Linie mit PhĂ€nomenen der Sklaverei befassten, haben wir uns dieses Mal auf Publikationen konzentriert, die sich mit anderen Formen starker asymmetrischer AbhĂ€ngigkeiten auseinandersetzen. Trotz der vielfĂ€ltigen Arten, die menschliche Knechtschaft im Laufe der Zeit angenommen haben, fokussierten sich die akademischen Debatten bislang vor allem auf die transatlantische Sklaverei, die eng mit der Entstehung des modernen Westens und dessen Vorstellung von Freiheit verknĂŒpft war. Im Bonner Exzellenzcluster wollen wir jedoch ĂŒber die binĂ€re Opposition von "Sklaverei versus Freiheit" hinausgehen. Zu diesem Zweck schlagen wir "asymmetrische AbhĂ€ngigkeit" - oder genauer gesagt, "starke (bzw. dauerhafte) asymmetrische AbhĂ€ngigkeit" - als ein neues SchlĂŒsselkonzept vor, das viele Formen unfreier Arbeit - wie etwa Schuld- und Vertragsknechtschaft, StrĂ€flings- und Kriegsgefangenenarbeit, Leibeigenschaft, Prostitution oder Formen der hĂ€uslichen Dienstbarkeit oder Patronage - umfasst.

Seit einiger Zeit beschĂ€ftigt sich eine Reihe von Forscher*innen mit der sogenannten "Zweite Sklaverei" (second slavery). [1] Damit sind zum einen die mannigfaltigen sklavereiĂ€hnlichen ArbeitsverhĂ€ltnisse nach der Abschaffung der "eigentlichen" Sklaverei gemeint. Zum anderen geht es aber auch immer um den engen Zusammenhang zwischen den damit verbundenen Produktionsweisen und der Herausbildung des Kapitalismus im 19. Jahrhundert. (Zeuske zu van der Linden/RodrĂ­guez GarcĂ­a) Diese bemerkenswerte Verflechtung, die bisher kein Allgemeinwissen darstellt und auch nicht in unsere SchulbĂŒcher eingegangen ist, findet sich nicht nur auf den Teeplantagen im indischen Assam (Conermann zu Varma, Wagner zu Behal), sondern in fast allen Kolonialgesellschaften seit dem 16. Jahrhundert (Zeuske zu Donoghue/Jennings). Es ist mittlerweile wissenschaftlicher Konsens, dass die vermeintliche Entwicklung von Sklaverei und unfreier Arbeit hin zur freier Lohnarbeit nur ein europĂ€isches Narrativ ist, das die Moderne als den positiven Endpunkt eines teleologischen Prozesses prĂ€sentieren möchte. (Østhus zu Stanziani).

In unserem Exzellenzcluster beschĂ€ftigen wir uns, wie gesagt, mit allen Arten gesellschaftlicher, gruppenbezogener und individueller UnterdrĂŒckung. Die einzelnen Projekte sollen uns Fallstudien zur Entwicklung einer Typologie starker asymmetrischer AbhĂ€ngigkeiten liefern. Wie wichtig so eine Taxonomie fĂŒr den transkulturellen Vergleich sein kann, zeigt sich insbesondere bei der Analyse von AbhĂ€ngigkeitsphĂ€nomenen in nicht-europĂ€ischen Gesellschaften. (Schwermann zu Hua, Zöllner zu Norma)

Wie immer wĂŒnschen wir allen Leser*innen eine interessante LektĂŒre


Anmerkung:
[1] Zuerst: Dale W. Tomich: "The 'Second Slavery': Bonded Labor and the Transformations of the Nineteenth-century World Economy", in: Francisco O. RamĂ­rez (ed.): Rethinking the Nineteenth Century: Contradictions and Movement, New York: Greenwood Press 1988, 103-117.

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