sehepunkte 21 (2021), Nr. 2

Elisabeth Schläwe: Ins Gedächtnis geschrieben

Eleonora Anna Maria Truchsess von Wetzhausen zu Sternberg (1679-1755) wurde wohl 1695 mit dem Freiherrn Johann Adolf II. Wolff Metternich zur Gracht (1651-1722) verheiratet. Über Kindheit und Jugend der Adligen aus dem fränkischen Reichsrittergeschlecht ist nichts bekannt; dass ihre Erziehung der ihrer Mutter folgte, Eva Rosinas von Schönborn (1650-1712), einer Tochter des "Begründers der Schönborner Dynastie" (79), Philipp Erwein von Schönborn (1607-1668) und seiner Gemahlin, Maria Ursula von Greiffenklau zu Vollraths (1610-1682), ist anzunehmen. Die Schönborn'schen Töchter erlernten in den Schulen und Pensionaten der Ursulinen, dem "weiblichen Pendant" (18) zu den Jesuitengymnasien, nicht nur "Lesen und Schreiben der Muttersprache, Grundrechenarten und Handarbeiten", "Fremdsprachen wie Französisch oder Latein" und "Geographie [...]", sie erhielten auch "Tanz-, Instrumental- und Gesangsunterricht" (18).

Die Wolff Metternich zur Gracht waren im Rheinland ansässig und über Kurköln hinaus verankert - Johann Adolfs Großvater hatte es bis zum kurbayrischen Oberkämmerer und Prinzenerzieher gebracht. Der Bräutigam, Johann Adolf II., hatte aus erster Ehe drei Töchter und war knapp 30 Jahre älter als die Braut; als er 1722 im Alter von 71 Jahren verstarb, ließ er seine Ehefrau mit einer 16-jährigen Tochter und dem 12-jährigen Stammhalter zurück; die älteste Tochter Maria Anna, geboren 1697, war bereits mit Johann Jakob von Waldbott von Bassenheim zu Bornheim (1683-1755) verheiratet.

Dass erst und nur der Tod des Gemahls Eleonora Wolff Metternich zur Gracht für die Forschung greifbar werden lässt, zeichnet die Untersuchung von Elisabeth Schläwe in allen Einzelheiten nach. Schläwe kann sich dazu auf Eleonoras Schreibkalender stützen - 14 Exemplare aus den Jahren 1722-1736 - sowie auf archivalische Quellen - vor allem Familienkorrespondenzen, namentlich der Schönborn. Aktivitäten, Konflikte und Sorgen, die die Witwe umtreiben, treten zutage.

Festzuhalten ist, dass Eleonora die Handlungsräume ihres neuen Personenstandes unverzüglich zu besetzen weiß. Die Eheleute waren an derselben Krankheit erkrankt; dass der Gemahl ihr erlegen war, hatte Eleonora erst danach erfahren. Trotz dieser Belastungen lässt die Witwe unverzüglich in Anwesenheit ihres Schwiegersohnes und weiterer Zeugen das Testament eröffnen, um die Vormundschaft für den Sohn Franz Joseph anzutreten; vier Monate später liegt deren formelle Bestätigung durch den kurfürstlichen Hof in Köln vor. Im Widerspruch zu der in der Eheberedung von 1695 getroffenen Regelung soll Eleonora die Verwaltung der Güter nur in Absprache mit ihrem zweiten Mitvormund ausüben, dem Bruder Johann Adolfs II., Wilhelm Hermann Ignaz (1665-1722), Domprobst zu Münster und Domdechant zu Paderborn, sowie mit der Unterstützung von Melchior Cramer von Clausbruch (1690-1740), kurkölnischer Assessor am Reichskammergericht in Wetzlar. Die Witwe arrangiert sich; ihr bleibt die Schlüsselgewalt über die "eingehenden Gelder" (39). Sie lässt Inventare über die Wohnsitze in Bonn, Köln und Schloss Gracht bei Liblar erstellen und beginnt, ihre Kontakte zu den Kölner Kurfürsten und den Schönborn systematisch für die berufliche Karriere des Stammhalters einzusetzen. Er wird Kammerherr, seine Präzedenz vor einem Konkurrenten um die Hofratsstelle wird durchgesetzt, er wird Hofrat, dann Hofratsvizepräsident; 1731, auf seiner Kavaliersreise in Wien, wird er Reichshofrat und in den Reichsgrafenstand erhoben. Parallel dazu arbeitet Eleonora unentwegt am Fortkommen ihres Vetters Franz Georg von Schönborn (1682-1756): er wird 1721 zum Domscholaster in Köln, 1729 zum Kurfürst von Trier gewählt.

Auch die Prozesse des Gemahls nimmt sie wieder auf. Die langjährigen Verfahren um ererbte Lehnsgüter wie Burgau bei Düren und Bisperode in Niedersachsen belegen, dass sie die Ansprüche der Wolff Metternich zur Gracht gegenüber anderen Zweigen der Familie durchsetzt. Neue Konflikte kommen hinzu. In Burgau ist das Privileg auf Jagd und Fischerei zu verteidigen; die Bewirtschaftung einer Wassermühle und die Bewehrung der Rur stoßen auf Widerstand bei den Nachbarn. Gestützt auf ihren Schwiegersohn - er "hatt gutt gefunden was ich gethan" (156) - sowie auf die ihr vom Gemahl zugewiesenen Beamten und Advokaten, verfolgt Eleonora die Sicherung von Familienbesitz und Hoheitsrechten konsequent und geschickt, mit Weitblick, langem Atem und Vergleichen.

Dass sich Erfolge und Misserfolge in den Schreibkalendereinträgen der Freifrau spiegeln, zeigt bereits, dass sie das Medium - durchweg handelsübliche Kanzleikalender in Oktavformat ohne Praktik (27) - in erster Linie 'geschäftlich' nutzt, als "reine Arbeitsmaterialien, in Abgrenzung zur persönlich gefärbten Korrespondenz" (121). Nachrichten zur Herrschaftsverwaltung und zum Studium und der sich als immer kostspieliger erweisenden Kavaliersreise des Stammhalters finden sich ebenso wie - in geringerem Umfang - Angaben zu Treffen mit den Kurfürsten und Angehörigen der Familie.

Schon dass Eleonora ihren ersten Eintrag neun Tage nach dem Tod des Gemahls in dessen Schreibkalender festhält und diesen bis zum Jahresende weiterführt, bevor sie ein eigenes Exemplar beginnt, zeigt, dass sie seine Rolle übernimmt, sowohl bei der Bewahrung von Besitz und Namen als auch im Blick auf die Familientradition - wie sein Großvater vor ihm hatte ihr Gemahl regelmäßig Schreibkalender geführt. Von ihrer Hand sind gleichwohl nur 14 Schreibkalender überliefert. Sie decken genau den Zeitraum bis zum Erreichen der Volljährigkeit des Stammhalters ab: "Da Franz Joseph nun selbst in der Verantwortung stand, gab es keinen Grund mehr in Schreibkalendern über die Herrschaftsverwaltung Buch zu führen. Es war nicht länger notwendig, Rechenschaft abzulegen" (189). Mit der Weitergabe der Herrschaft 1736 wird die Witwe von neuem ungreifbar.

Derselbe Zusammenhang erklärt, warum Ich-Aussagen in den Schreibkalendern selten sind. Der Tod des Gemahls macht indes zwei Einträge nötig: "Heit hatt mir der Patter Mullemann meines lieben Herren seelig Tod ahngekündiget zu meinen hochsten Schmerzen mit Leydwesen. Gott seye seiner Seelen und mir gnadig". "Heutt ist mein lieber Herr seelig im Herrn entschlaffen mich todtkrank mitt 3 Kinder hinterlaßen, davon die elste die Frau von Bornheim, die 2te Felicitas so 16 Jahr alt und Franz Joseph so 12 Jahr alt. Gott seye ihme undt mir gnadig, ich habe eben wegen tödlicher Krankckheit Selbsten seinen Todleyden nicht gewist" (36f.). Die Ausgaben für die Kavaliersreise werden regelmässig vermerkt, Ausdruck der Sorge um die sich zuspitzende finanzielle Belastung. Beim Prozess um Bisperode heißt es einmal: "dieses seint mir Schreckenpillen" (162).

Schläwes Untersuchung wirft "Schlaglichter auf das Leben der Eleonora Wolff Metternich zur Gracht" (33). Zu bedauern ist, dass die Verortung zwischen Adels- und Autobiografieforschung nicht ausführlicher bedacht wird, dass die Kontexte gelegentlich undeutlich bleiben und dass die Einträge in den Schreibkalendern nicht öfter als ganze zitiert werden, um Spuren von Selbstwahrnehmung und Repräsentation - etwa bei der Standeserhöhung des Sohnes -, aber auch ihre Textualität weiter zu verfolgen. Dennoch lädt die Untersuchung zu weiteren Fallstudien ein.

Rezension über:

Elisabeth Schläwe: Ins Gedächtnis geschrieben. Leben und Schreiben der Eleonora Wolff Metternich zur Gracht (1679-1755) (= Transgressionen; Bd. 1), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, 218 S., 15 Farbabb., ISBN 978-3-515-12712-7, EUR 52,00

Rezension von:
Helga Meise
Université de Reims Champagne-Ardenne
Empfohlene Zitierweise:
Helga Meise: Rezension von: Elisabeth Schläwe: Ins Gedächtnis geschrieben. Leben und Schreiben der Eleonora Wolff Metternich zur Gracht (1679-1755), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 2 [15.02.2021], URL: https://www.sehepunkte.de/2021/02/34346.html


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