Rezension über:

Gerlinde Gruber / Elke Oberthaler (Hgg.): Die große Gewitterlandschaft von Rubens. Anatomie eines Meisterwerks (= Schriften des Kunsthistorischen Museums; Bd. 21), München: Hirmer 2020, 128 S., ISBN 978-3-7774-3176-5, EUR 29,90
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Rezension von:
Anna Simon
Wien
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Anna Simon: Rezension von: Gerlinde Gruber / Elke Oberthaler (Hgg.): Die große Gewitterlandschaft von Rubens. Anatomie eines Meisterwerks, München: Hirmer 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 4 [15.04.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/04/34978.html


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Gerlinde Gruber / Elke Oberthaler (Hgg.): Die große Gewitterlandschaft von Rubens

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Die Große Gewitterlandschaft mit Philemon und Baucis im Wiener Kunsthistorischen Museum gehört zu den wenigen Landschaftsbildern, die Peter Paul Rubens im Laufe seines Lebens malte. Zwischen 2014 und 2017 wurde das sich in einem problematischen Zustand befindende Meisterwerk restauriert und technisch untersucht. Eine ausführliche Dokumentation dieser Arbeiten erschien jedoch erst Anfang 2021 in Form einer Werkmonografie, deren Inhalt im Folgenden vorgestellt wird. Die knapp 130 Seiten umfassende, hervorragend illustrierte Publikation enthält neben vier Essays, die sich mit konservatorischen beziehungsweise kunsttechnologischen Problemen beschäftigen, auch drei Texte zu kunsthistorischen Fragen.

Gerlinde Gruber verfasste den einleitenden Aufsatz, in dem sie einige Überlegungen zu Provenienz und Ikonografie festhält. Zunächst verweist die Autorin darauf, dass Rubens' Landschaftsgemälde nicht für den Verkauf bestimmt waren, sondern sich zum Zeitpunkt seines Todes in seinem Besitz befanden (18). Erzherzog Leopold Wilhelm gelang es, die Gewitterlandschaft zu erwerben, nachdem er 1647 zum Statthalter der Niederlande ernannt worden war. 1656 kam er nach Wien zurück und brachte auch seine Kunstsammlung mit. Die interessantesten Erkenntnisse Grubers betreffen sicherlich den Darstellungsgegenstand des Gemäldes: In der Nähe des rechten Bildrands ist die Rettung von Philemon und Baucis zu sehen, als Jupiter ihre Heimat Phrygien im Sumpf versinken lässt. Überzeugend ist Grubers Argumentation, dass Rubens in diesem Werk eigentlich zwei Erzählungen aus Ovids Metamorphosen verschmolzen hat (20). In der Geschichte von Philemon und Baucis wird das Gewitter nämlich nicht erwähnt. Viele Details in der linken Bildhälfte lassen sich jedoch mit der Erzählung der Deukalionischen Flut in Verbindung bringen, darunter die mitgerissenen Bäume, die Menschen, das Vieh und der Regenbogen. Außerdem bemerkt die Autorin, dass Rubens einen ungewöhnlichen Moment aus der Erzählung von Philemon und Baucis wählte, denn traditionell wurden entweder die Bewirtung von Jupiter und Merkur bei Philemon und Baucis oder die Verwandlung von Philemon und Baucis in Bäume dargestellt (20).

Elke Oberthaler gibt einen kurzen Überblick über die Restauriergeschichte des Gemäldes und versucht, diese im Kontext der Geschichte der kaiserlichen Kunstsammlung zu verankern. Zu Beginn ihrer Ausführungen erklärt sie die ungewöhnliche Tafelkonstruktion der Gewitterlandschaft (29): Im Zuge der Entstehung des Gemäldes wurde die Holztafel mehrfach erweitert, wobei man auch Bretter in quer verlaufender Richtung ansetzte. Da Holz sein Volumen aufgrund von Klimaschwankungen in unterschiedliche Richtungen unterschiedlich stark ändert, hatte dies eine schnellere Alterung des Bildträgers zur Folge. Schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts war bekannt, dass klimatische Schwankungen sich negativ auf den Zustand von Gemälden auswirken. Aus diesem Grund ließ man die Galerie im Winter beheizen. Obwohl die extrem trockene Luft im Laufe von wenigen Jahren zu einer drastischen Verschlechterung des Zustands aller Gemälde in der Sammlung führte, wurde die Galerie noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein beheizt. Erst ab 1832 versuchte man die Temperaturen im Winter unter 10 Grad zu halten und 1859 wurde eine Art Luftbefeuchtungsanlage errichtet. Was konkrete Arbeiten an der Gewitterlandschaft angeht, werden in den Dokumenten zumeist nur "Reparaturen" ohne nähere Angaben erwähnt. Einzig die Parkettierung der Tafel lässt sich auf das Jahr 1829 datieren. Damals dürfte die Tafel schon stark deformiert gewesen sein und man hoffte, durch diese Maßnahme der unterschiedlichen Bewegung der Bretter entgegenzuwirken.

Die Stabilisierung und Untersuchung des Bildträgers wurde ab 2015 von einem internationalen Spezialistenteam unter der Leitung von George Bisacca durchgeführt. Die Abnahme der Parkettierung war notwendig, weil sie Spannungen auf die Tafel ausübte und die Entstehung mehrerer Risse verursacht hatte. Die aufgeleimten Rostspangen wurden mit Sägen und Schnitzeisen abgetragen. Dabei entfernte man auch zahlreiche Nägel, die durch die Malschicht in die Tafel hineingeschlagen worden waren. Dadurch zerfiel das Gemälde in drei Teile: eine zentrale, aus Brettern mit horizontaler Holzfaserrichtung gefertigte Sektion und die beiden vertikal ausgerichteten Bereiche an den Seiten. Außerdem wurden auf der Rückseite des mittleren Teils die Kanten einer ursprünglichen Kerntafel sichtbar, deren Existenz vor der Freilegung der Tafelrückseite nicht bekannt war. Anschließend führten die Restauratoren mit Hilfe von Zwingen die Risse wieder zusammen und verklebten sie. Im nächsten Schritt wurden die drei Teile der Tafel (ebenfalls mit Hilfe von Klebstoff) miteinander verbunden. Zum Schluss brachten die Restauratoren eine neue Stützkonstruktion aus Buchenholz an. Diese besteht aus einem umlaufenden Rahmen mit vier Verstrebungen. Sie ist durch 140 verstellbare Federmechanismen mit der Tafel verbunden, die eine dreidimensionale Bewegung des Bildträgers erlauben. Bisacca konnte so beweisen, dass der Bildträger zweimal erweitert wurde (64). Im Anfangsstadium bestand die Tafel aus drei horizontal angeordneten Brettern. Im zweiten Stadium wurde sie an allen vier Bildkanten durch Bretter mit horizontalem Holzfaserlauf erweitert. Schließlich hat man nochmal an allen vier Seiten Bretter angesetzt, wobei die seitlichen Bretter einen vertikalen Holzfaserlauf zeigen.

Die dendrochronologische Untersuchung des Gemäldes führte Pascale Fraiture durch. Interessanterweise fand sie den jüngsten Jahresring, welcher aus dem Jahr 1600 stammt, nicht bei den Brettern der dritten Konstruktionsphase sondern bei der Kerntafel. Fraiture leitet daraus einen terminus post quem von 1606 für die Entstehung des Gemäldes ab (70). Erwähnenswert ist, dass das Holz der Kerntafel mit Hilfe der Röntgenstrahlanalyse untersucht wurde, da sich diese in der Mitte des Bildträgers befindet und ihre Kanten nicht zugänglich sind.

Ina Slama und Gerlinde Gruber analysierten vor allem die Röntgenaufnahmen von Rubens' Gewitterlandschaft und versuchten, den Entstehungsprozess des Gemäldes zu rekonstruieren. Mit Hilfe digitaler Bildbearbeitung visualisierten sie das (mutmaßliche) Aussehen der Kerntafel und der Tafel nach der ersten Erweiterung. Insbesondere bei der Interpretation von Pentimenti erscheinen viele Details ihrer Argumentation allerdings spekulativ. Überzeugend ist jedoch ihre Grundthese, der zufolge das Gemälde in mehreren Schritten zu einer dramatischen Gewitterlandschaft und erst ganz zum Schluss zu einer mythologischen Szene umgestaltet wurde (74-81). Die Kerntafel zeigte ursprünglich eine menschenleere Landschaft mit einer Festung auf einer Erhebung. Ob schon von Beginn an ein Gewitter dargestellt war, scheint nicht klar zu sein. Nach der ersten Erweiterung steigerte Rubens sukzessive die Dramatik, indem er unter anderem das zwischen zwei Bäumen verkeilte Rind, entwurzelte Bäume, Blitze und heftige Regenschauer hinzufügte. Motive wie die sterbende Mutter mit Kind oder Menschen, die vor der Flut auf Bäume und Felsen flüchten, kamen in der vorletzten Entstehungsphase hinzu. Die Autorinnen sind daher der Meinung, dass Rubens das Gemälde in den 1620er Jahren begann, aber eventuell erst in den späten 1630ern fertigstellte (90).

Ina Slama führte die Restaurierung der Bildvorderseite durch. Diese war zwar von mehreren, teilweise stark gegilbten Firnisschichten bedeckt, insgesamt aber sehr gut erhalten. Die Malerei war nur an verhältnismäßig wenigen Stellen, vor allem entlang der Risse und der Kanten einiger Bretter abgeblättert. Zunächst entfernte die Restauratorin die Firnisschichten und viele der früheren Retuschen beziehungsweise Übermalungen. Danach wurde eine neue Schutzschicht mit dem Pinsel aufgetragen. Im nächsten Schritt rekonstruierte Slama fehlende Stellen mit Gouache- und Aquarellfarben, wobei sie bei einer größeren Fehlstelle die Ergänzung zuerst in Photoshop und auf Testfeldern ausprobierte. Zum Schluss sprühte sie einen zweiten Firnis auf die Malerei.

Abgerundet wird die Publikation durch einen Beitrag von Carina Fryklund über eine Zeichnung im Stockholmer Nationalmuseum, die höchstwahrscheinlich den Zustand des Gemäldes vor der letzten Überarbeitung dokumentiert. Diesem Werk zufolge war die Verwandlung des Bildes in eine mythologische Szene nicht der letzte Schritt. Die Gruppe mit Philemon, Baucis, Jupiter und Merkur ist bei der Zeichnung zwar schon vorhanden, jedoch fehlen einige andere Motive. Fryklund schreibt die Zeichnung Lucas van Uden zu, der vermutlich in Rubens' Atelier arbeitete und vor allem seine Landschaften kopierte (110-113).

Die Große Gewitterlandschaft von Rubens - Anatomie eines Meisterwerks ist ein hochinteressantes und spannend zu lesendes Buch, in dem zahlreiche bedeutende Erkenntnisse präsentiert werden. Es bietet einen faszinierenden Einblick in die Arbeit von Restauratoren und ist somit auch eine Art Einführung in die "technical art history". Die einzelnen Essays haben zwar ein hohes wissenschaftliches Niveau, sind aber inhaltlich gut strukturiert und in einer auch für Laien verständlichen Sprache verfasst. Hervorzuheben ist ferner die interdisziplinäre Herangehensweise der Forscher, die zu einer engen Zusammenarbeit von Kuratoren und Restauratoren führte. Zu empfehlen ist die Lektüre dieser Publikation daher nicht nur Rubens-Forschern und Restauratoren, sondern nicht zuletzt auch Lesern, die sich eher mit theoretischen Aspekten von Kunst beschäftigen.

Anna Simon