Rezension über:

Jan Hirschbiegel / Sascha Winter / Sven Rabeler (Hgg.): Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800). Ein Handbuch. Abteilung II: Soziale Gruppen, Ökonomien und politische Strukturen in Residenzstädten. Teil 1: Exemplarische Studien (Norden) (= Residenzenforschung. Neue Folge: Stadt und Hof), Ostfildern: Thorbecke 2020, XVII + 636 S., 23 Abb., ISBN 978-3-7995-4536-5, EUR 70,00
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Jan Hirschbiegel / Sascha Winter / Sven Rabeler (Hgg.): Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800). Ein Handbuch. Abteilung III: Repräsentationen sozialer und politischer Ordnungen in Residenzstädten. Teil 1: Exemplarische Studien (Norden) (= Residenzenforschung. Neue Folge: Stadt und Hof), Ostfildern: Thorbecke 2019, 704 S., 203 Farbabb., ISBN 978-3-7995-4537-2, EUR 82,00
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Rezension von:
Oliver Auge
Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Auge: Jan Hirschbiegel / Sascha Winter / Sven Rabeler (Hgg.): Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800). Abt. II / Abt. III, Teil 1 (Rezension), in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 6 [15.06.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/06/33901.html


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Jan Hirschbiegel / Sascha Winter / Sven Rabeler (Hgg.): Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800). Abt. II / Abt. III, Teil 1

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Nachdem das Langzeitvorhaben "Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)" der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 2018 den ersten Teil der Abteilung I des Residenzstadthandbuchs für den Nordosten des Alten Reiches (im Folgenden I.1) erfolgreich vorgelegt hat, folgte 2020 im gewohnten, vorbildlich übersichtlichen und ansprechenden Layout der Reihe jeweils der erste Band der zugehörigen Abteilungen II: Soziale Gruppen, Ökonomien und politische Strukturen (im Folgenden Bd. II.1) sowie III: Repräsentationen sozialer und politischer Ordnungen in Residenzstädten (Bd. III.1). Wie die Titel dieser Abteilungen II und III signalisieren, geht es dabei im ersten Fall um sozial-, wirtschafts- und politikgeschichtliche, im zweiten um architektur-, kunst- und kulturgeschichtliche Aspekte der im ersten Band der Abteilung I enzyklopädisch ausgebreiteten Residenzstadtthematik, die nun in jeweils zwölf exemplarischen Studien zu Residenzstädten im Norden - wohlgemerkt nicht Nordosten! - des Alten Reiches vertiefend in Aufsatzform vorgelegt werden. Beide Bände haben nicht nur dieselben drei Herausgeber; sie sind auch weitgehend parallel zueinander aufgebaut. Das wird gleich zu Beginn am vom Wortlaut her nahezu identischen Vorwort der Herausgeber (VII) erkennbar. Beider Lektüre in einem Zug und genauso beider Besprechung im Rahmen ein und derselben Rezension ergeben von daher wirklich Sinn.

Die Bände sind jeweils in fünf Abschnitte untergliedert: I. Zeiten und Prozesse, II. Räume und Beziehungen, III. Praktiken (1), IV. Praktiken (2) und V. Praktiken (3), denen dann I. zwei/drei, II. zwei/ein, III. je zwei und IV. und V. je drei Aufsätze zugewiesen sind. Sven Rabeler bestreitet mit zwei Beiträgen zur Residenzstadt Eisenach im 13. und 14. Jahrhundert (3-120) bzw. zur Residenzstadt Eutin im 15. und 16. Jahrhundert (121-157) allein den ersten genannten Abschnitt in Bd. II.1, der konkret Kontinuitäten, Zäsuren und Transformationen gewidmet ist, worauf nochmals Rabeler und dann Manuel Becker unter den Stichworten Zentralität, Verflechtungen, Netze im zweiten Abschnitt auf Braunschweig zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert (161-201) bzw. Bernburg im 16. und 17. Jahrhundert (203-243) zu sprechen kommen. Dresden im 16. Jahrhundert (47-273) und Ziesar im 16./17. Jahrhundert (275-319) wenden sich sodann Jan Hirschbiegel und nochmals Manuel Becker im dritten Abschnitt zu, der speziell auf Personen, Gruppen und Korporationen abzielt. Verfahren, Korporationen und Konflikte sind die Leitstichworte des vierten Abschnitts von Bd. II.1, dessen Autoren Harm von Seggern, Jan Hirschbiegel und Julia Ellermann auf Lüttich zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert (323-382), Freiberg im 16. Jahrhundert (383-426) und Schwerin im 17. Jahrhundert (427-485) eingehen. Oldenburg im 16. Jahrhundert (Harm von Seggern) (489-564), Mansfeld im 16. Jahrhundert (Jan Hirschbiegel) (565-600) und zu guter Letzt Barth im 16. und 17. Jahrhundert (ders., 601-634) dienen im fünften Abschnitt als Beispiele zu Ökonomien, Märkte und Finanzen.

Melanie Ehler liefert für den ersten Abschnitt von Bd. III.1: Kontinuitäten, Zäsuren, Transformationen die drei zugehörigen Beispielbeiträge über Barth zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert (3-16), Dresden vom 16. bis 18. Jahrhundert (zusammen mit Sascha Winter, 17-112) und Schwerin im frühen 19. Jahrhundert (113-139). Mansfeld im 16. Jahrhundert (143-210) dient Sascha Winter als Beispiel unter den Stichworten Orte, Verortungen und Bezüge, die Abschnitt II bestimmen. Ideen, Planung, Gestaltung geben Jan Hirschbiegel und Christian Katschmanowski Anlass, um sich Freiberg im 15./16. Jahrhundert (213-244) bzw. Oldenburg im 18. Jahrhundert (245-285) zuzuwenden. Sven Rabeler mit Braunschweig vom 14. bis 17. Jahrhundert (289-336), Christian Katschmanowski mit Lüttich vom 14. bis 18. Jahrhundert (337-382) sowie Jan Hirschbiegel mit Ziesar im 16. Jahrhundert (383-415) äußern sich dann im vierten Abschnitt des Bandes III.1 zu Darstellungen, Zeichen, Performanz. Sven Rabeler, Sascha Winter und Julia Ellermann sind Autoren und Autorin des letzten Abschnitts über Medialität, Imagination und Erinnerung. Ihre Beispiele sind wiederum Eisenach im 15. Jahrhundert (419-457), Bernburg zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert (459-500) und Eutin im 18. und frühen 19. Jahrhundert (501-554). Den genannten Beiträgen in jedem Band voran gestellt ist eine erneut in weiten Teilen wortgleiche Einleitung, die das Konzept des Handbuchs erläutert, den speziellen thematischen Zugriff darlegt, Forschungsperspektiven benennt und den Aufbau der Beiträge kurz erklärt (jeweils IX-XVII). Den Schluss jedes Bandes bilden ein Gesamtverzeichnis der Siglen und der gesonderte Abbildungsapparat zu den Einzelbeiträgen.

Inhaltlich differieren die einzelnen Aufsätze zu den genannten Residenzstädten naturgemäß stark voneinander, was allein schon in den unterschiedlichen thematischen, zeitlichen und disziplinären Zugriffen begründet liegt. Bei alledem sind sie doch vergleichsweise einheitlich aufgebaut, indem gleich zu Beginn eines jeden Aufsatzes ein knapper Kopftext zur raschen Orientierung abgedruckt ist, was man von der Lektüre erwarten darf, ergänzt um den Quervereis auf den betreffenden Artikel im enzyklopädischen Residenzstadthandbuch I.1. und im in Bearbeitung befindlichen Folgeband I.2 zum deutschen Nordwesten. Jeder Beitrag verfügt sodann einheitlich über eine Einleitung und eine Zusammenfassung. Daran schließt sich jeweils ein Verzeichnis der verwendeten Quellen und Literatur an. Fallweise veranschaulichen Tabellen, Schaubilder und Separatanhänge die einzelnen Texte. Rabelers Text zu Eisenach im 13./14. Jahrhundert ist z.B. mit einem hilfreichen chronologischen und alphabetischen Verzeichnis der Schultheißen, Schöffen und Ratsherren der Stadt zwischen 1195/96 und 1384 versehen (II.1, 72-101).

Beide Bände sind überaus gründlich redigiert und von der Optik her, wie gesagt, tadellos gestaltet. Wegen seiner zahlreichen Illustrationen etwas mühselig ist gerade bei Bd. III.1 die natürlich finanziell motivierte separate Anordnung der Farbabbildungen am Schluss des Aufsatzteils. Immerhin sind die zugehörigen Illustrationen von einer erfreulich guten Qualität, sodass sie ihren Zweck bestimmt nicht verfehlen.

Das exemplarische Vorgehen, das im Hinblick auf die beabsichtigte analytische Vertiefung von Aspekten der in Bd. I.1 gelieferten enzyklopädischen Zusammenstellung der Residenzstädte einzig praktikabel erscheint, wird in den beiden Einleitungen hinreichend gut erklärt (IXf.): Weniger ging es um eine regional gleichmäßige Verteilung der betreffenden Exempla als vielmehr um die Berücksichtigung verschiedener relevanter Charakteristika: Es sollten große Zentren dabei sein, aber genauso kleinere und ganz kleine urbane Formen. Geistliche und auch weltliche Residenzen mussten gleichmäßig in den Blick genommen werden; unter den weltlichen Herrschaftsträgern galt es sowohl hochgestellte Fürsten- als auch im zeitgenössischen Ranking darunter stehende Grafenhäuser zu berücksichtigen. Residenzstädte, deren Fürsten eine Rangerhöhung erfuhren, sollten ebenso zur Sprache kommen wie ebensolche, die nur als Sommerresidenz oder als Wohnsitz für den jüngeren Bruder eines regierenden Fürsten dienten, oder aber das Ende der Residenzstadtzeit erlebten. Vor diesem Hintergrund erscheinen die in beiden Bänden beispielhaft vorgeführten Residenzstädte Barth, Bernburg, Braunschweig, Dresden, Eisenach, Eutin, Freiberg, Lüttich, Mansfeld, Oldenburg, Schwerin und Ziesar wirklich klug und ausgewogen ausgewählt worden zu sein, "um so die Spannweite, die Maßstäbe und die Möglichkeiten residenzstädtischer Formen zu erkunden" (XI).

Eine solche kluge Auswahl, die die residenzgeschichtliche Forschung zu den genannten Städten natürlich mit voller Wucht positiv beflügelt und voran bringt, birgt bei alledem natürlich nicht nur Vor-, sondern auch Nachteile in sich. Zu letzteren gehört zuvorderst natürlich das Faktum, dass das kundige Residenzstadt-Team entsprechend tiefschürfende Analysen für die vielen weiteren vorhandenen Residenzstädte, zu denen ähnlich oder gar gleich weiterführende Beobachtungen angestellt werden können, schuldig bleibt. So wünschte man sich natürlich gern entsprechend niveauvoll beantwortet, wie es um die Eutiner Nachbarresidenzstadt Plön bestellt war, wo zwar kein Fürstbischof residierte, aber ein sogenannter abgeteilter Herr, also ein von den Ständen nicht anerkannter Herzog, oder um das etwas weiter entfernte Kiel, das von der Witwen- zur Ausweichresidenz wurde, als die Gottorfer Herzöge ihre Hauptresidenz 1720 an den dänischen König abtreten mussten, oder, noch etwas weiter nördlich gelegen, die gerade genannte Gottorfer Hauptresidenz mit zugehöriger Residenzstadt Schleswig, das wichtigste politische und kulturelle Zentrum in den Herzogtümern Schleswig und Holstein und darüber hinaus. Doch schon die kleine Auflistung von weiteren möglichen und sinnvollen Beispielen aus der unmittelbaren Eutiner Nachbarschaft zeigt, dass das Residenzstadt-Team in rein praktischer Hinsicht auf die tiefergehende Untersuchung weiterer Exempel verzichten musste. Immerhin können aber die in beiden Bänden vorgestellten thematischen Tiefenbohrungen Wegweiser und gleichsam Hilfestellung sein, welche Fragen an das zu den anderen Residenzstädten vorhandene Quellenmaterial gestellt werden können und sollten, um zu ähnlich ertragreichen Erkenntnissen zu gelangen, wie es in den hier kurz angesprochenen Aufsätzen für den Zeitraum vom 13. bis zum frühen 19. Jahrhundert unter Beweis gestellt wurde. Und so haben die beiden Bände eben nicht nur für den konkreten Erkenntnisgewinn anhand der, wie gesagt, sehr gut ausgewählten Beispiele, sondern auch als Orientierungsrahmen und Vorbild für künftige Studien zu anderen Residenzstädten im Norden des Alten Reiches einen unbestreitbar hohen Wert. Beide Bände unterstreichen jedenfalls nur einmal mehr, dass man der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen zur Förderung des sinnvollen Langzeitvorhabens der Residenzstädte im Alten Reich nur gratulieren kann!

Oliver Auge