Rezension über:

Katrin Marx-Jaskulski / Annegret Wenz-Haubfleisch (Hgg.): Pragmatische Visualisierung. Herrschaft, Recht und Alltag in Verwaltungskarten (= Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg; Bd. 38), Marburg: Hessisches Staatsarchiv Marburg 2020, 328 S., ISBN 978-3-88964-223-3, EUR 28,00
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Rezension von:
Petra Svatek
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Petra Svatek: Rezension von: Katrin Marx-Jaskulski / Annegret Wenz-Haubfleisch (Hgg.): Pragmatische Visualisierung. Herrschaft, Recht und Alltag in Verwaltungskarten, Marburg: Hessisches Staatsarchiv Marburg 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 7/8 [15.07.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/07/34791.html


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Katrin Marx-Jaskulski / Annegret Wenz-Haubfleisch (Hgg.): Pragmatische Visualisierung

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Zur Verbindung von Kartografie und Politik in der Neuzeit sind in den letzten Jahren einige Bücher erschienen, die die vielseitigen Bedeutungsebenen dieser Quellen hervorgehoben haben. Gerade Karten konnten zum Beispiel bei der Verwaltung, bei der Vorbereitung und Durchführung von Kriegen, bei Gerichtsverhandlungen, bei Grenzstreitigkeiten und im Dienste der Diplomatie und Propaganda wertvolle Dienste leisten. In die Reihe der jüngeren Veröffentlichungen reiht sich auch das hier vorgestellte von Katrin Marx-Jaskulski und Annegret Wenz-Haubfleisch herausgegebene Buch. Es ist das Ergebnis einer Tagung, die im September 2016 im Hessisches Staatsarchiv Marburg abgehalten wurde. Daher geben die Artikel den Forschungsstand von ungefähr 2016/17 wieder. Zeitgleich fand auch die Ausstellung "Auf einen Blick. Karten als Instrumente von Herrschaft und Verwaltung" statt, deren Exponate im letzten Teil des Buches abgebildet und beschrieben werden. Anlass für beide Veranstaltungen war die Restaurierung eines einzigartigen kartografischen Dokuments, der Spessartkarte von 1584. Sie zählt zu den frühesten Landesaufnahmen, jenen Karten also, die in der Verwaltung wertvolle Dienste leisteten, und wurde vom Frankfurter Buchhändler und Kartografen Elias Hoffmann angefertigt.

Die Beiträge des Bandes setzen sich mit Manuskriptkarten auseinander. Diese Fokussierung ist ausgesprochen lobenswert, da handgezeichnete Karten in der Forschung bis jetzt kaum Aufmerksamkeit erhielten. Während gedruckte Karten in Bibliotheken relativ gut recherchierbar sind, so warten noch immer viele handgezeichnete Karten in Archiven auf ihre Entdeckung und Erforschung. Die Artikel von zehn namhaften deutschsprachigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern betreten mit ihrem jeweiligen Thema eindeutig wissenschaftliches Neuland und regen zu weiteren Forschungen an. Sie können in drei unterschiedliche Themenkomplexe eingeteilt werden.

Der erste Themenkreis behandelt Karten, die in der territorialen Verwaltung eine Rolle spielten, etwa indem sie bei Grenzfestlegungen und in der Forstverwaltung (Andreas Rutz) als wichtige Quelle dienten. Viele Länder führten bereits während der frühen Neuzeit Landesaufnahmen durch, wie zum Beispiel das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel (Arnd Reitemeier) und Kursachsen (Peter Wiegand). Der zweite Themenbereich setzt sich mit Gerichtskarten auseinander, so genannten Augenscheinkarten, die bei Gerichtsverhandlungen "als praktische Anschauungsmittel und zu Demonstrationszwecken zu einem vor Gericht verhandelten Streitfall angefertigt wurden" (Thomas Horst, 76). Mit ihnen konnte "Herrschaft über Raum" (Anette Baumann, 103) beansprucht werden, wobei es auch immer wieder zu einem "Zielkonflikt zwischen Anschaulichkeit und Exaktheit" (Stefan Xenakis, 132) kam und sowohl Text als auch Karte vor Gericht in enger Verbindung standen (Daniel Kaune). Der dritte Themenkomplex ist den Katastervermessungen gewidmet, so zum Beispiel jener des Territoriums Hessen-Kassel (Annegret Wenz-Haubfleisch) aus dem ausgehende 17. und 18. Jahrhundert, des Klevischen Katasters der 1730er Jahre (Peter Mesenburg) und der ungarischen Katastralvermessungen (Andreás Sipos). Der von Katrin Marx-Jaskulski und Annegret Wenz-Haubfleisch verfasste Ausstellungskatalog ist in acht Teile gegliedert und analysiert unter anderem Karten von Wilhelm Dilich, Christoff Eckhart, Johann Christoph Rüstmeister, Johann Hermann Rudolphi, Johann Henrich Scheffer und Caspar Wallart. Die Karten hätten allerdings aufgrund ihrer geringen Bekanntheit eine etwas detailreichere Beschreibung verdient.

Die Beiträge gehen ebenso auf den Entstehungskontext der Karten ein, wie auch auf die eigentliche Kartenentstehung und ihren praktischen Gebrauch im Rahmen der Verwaltung eines Territoriums oder der Beilegung diverser Streitigkeiten. Relativ wenig wurde das Augenmerk auf die Ikonografie gelegt, denn einige der hier untersuchten Karten weisen Bilder auf, die nicht nur als künstlerisches Beiwerk integriert wurden, sondern auch eine ikonografische Bedeutung aufweisen. Die durchwegs farbigen Abbildungen besitzen zum großen Teil eine recht gute Qualität und geben den Leserinnen und Lesern nicht nur einen guten Überblick über die kartografische Darstellungsweise der jeweiligen Zeit, sondern vermitteln auch das jeweilige Darstellungsverfahren je nach Kartenfunktion. Denn Karten, die von Vermessungstechnikern durch präzise Kartierungen hergestellt worden sind, weisen in der Regel ein anderes Zeichenrepertoire auf, als von Malern gezeichnete Vogelschaukarten, die ein bestimmtes Ereignis inmitten einer Landschaft darstellten und für Gerichtsverhandlungen bestimmt waren. Dass gerade diese Karten auch verschieden interpretierbar waren zeigen einige Artikel auf, wobei vor allem der Frage nach der Objektivität, Relevanz und Evidenz eine zentrale Bedeutung zukommt. Eine weitere Gemeinsamkeit der Artikel besteht in der Tatsache, dass die Autorinnen und Autoren die Karten nicht als statische Objekte ansehen, sondern sie als zeitlich wandelbar interpretieren und Ereignisse, ja sogar Geschichten aus ihnen herauslesen. Dabei bedurfte es auch der Analyse von Akten, da die Aussage vieler Karten durch Begleittexte erst richtig zur Geltung kommt. Leider fehlt ein Personenregister, was der Publikation noch mehr Qualität verliehen hätte.

Der Band bietet einen hervorragenden Überblick zu den im Kontext von territorialer Verwaltung, Gerichtsverhandlungen und Katastervermessung entstandenen Manuskriptkarten. Da die Forschungen dazu vielfach erst am Anfang stehen und auch wegen der vielen bis heute in Akten unentdeckt gebliebenen Karten nicht immer einfach zu handhaben sind, skizzieren die Beiträge ein vielversprechendes Forschungsgebiet. Nicht zu vergessen ist dabei, dass alte Karten auch einen Beitrag für die Herausforderungen der Gegenwart liefern können. Denn gerade Manuskriptkarten, die ein kleinräumiges Gebiet wiedergeben, bilden die damaligen Landschaftsverhältnisse detailreich ab. Dadurch können sie beispielsweise heute bei der Renaturierung von Fluss-, Seen- und Moorgebieten und bei der Wiederaufforstung ehemaliger Waldgebiete wertvolle Dienste leisten.

Petra Svatek