Rezension über:

Rainer Nicolaysen / Eckart Krause / Gunnar B. Zimmermann (Hgg.): 100 Jahre Universität Hamburg. Studien zur Hamburger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte in vier Bänden. Band 1: Allgemeine Aspekte und Entwicklungen, Göttingen: Wallstein 2019, 704 S., 54 Abb., ISBN 978-3-8353-3407-6, EUR 48,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Ulf Morgenstern
Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Ulf Morgenstern: Rezension von: Rainer Nicolaysen / Eckart Krause / Gunnar B. Zimmermann (Hgg.): 100 Jahre Universität Hamburg. Studien zur Hamburger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte in vier Bänden. Band 1: Allgemeine Aspekte und Entwicklungen, Göttingen: Wallstein 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 7/8 [15.07.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/07/35479.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Rainer Nicolaysen / Eckart Krause / Gunnar B. Zimmermann (Hgg.): 100 Jahre Universität Hamburg

Textgröße: A A A

Der erste der auf vier Bände angelegten Hamburger Universitätsgeschichte liegt seit Ende 2020 vor. Damit folgt die zentrale Veröffentlichung dem 100. Geburtstag der Universität im Abstand von nur einem Jahr, was jedem Respekt abnötigt, der Festveranstaltungen, Publikationsdruck und normalen Universitätsbetrieb an anderen Jubiläumsstandorten kennt. Zu diesem terminlichen Erfolg beigetragen haben die Existenz und Expertise einer eigenen Forschungsstelle für Universitätsgeschichte sowie die dort getroffene Entscheidung, auf eine durch einen oder mehrere Autoren monografisch zu erarbeitende Darstellung zu verzichten. Stattdessen liegt nun ein Band vor, in dem 22 thematisch breit aufgestellte Beiträge die Geschichte der Universität Hamburg vermessen.

Neben Köln und Frankfurt am Main nach dem Ersten Weltkrieg eröffnet, stand die im Kaiserreich geplante Universität Hamburg nicht nur vor den besonderen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Weimarer Republik, sondern sie musste sich auch in die ganz eigenen Bedingungen und Strukturen des auf den Seehandel konzentrierten Stadtstaats einpassen. Die Aufsätze von Jürgen Zimmerer (33-55) und Kirsten Heinsohn (56-86) widmen sich diesen Rahmenbedingungen in einer Stadt, deren Bürgertum nicht gerade auf den Zuzug einer neuen akademischen Elite drängte. Während die Kaufmannsstadt im Kaiserreich nicht zu einem universitären Zusammenschluss der bestehenden Institutionen höherer Bildung, den Wissenschaftlichen Anstalten, des Allgemeinen Vorlesungswesens und des 1908 gegründeten Kolonialinstituts, fand, ging es im Frühjahr 1919 schnell. Heinsohn verfolgt die Entwicklungen in einem auch ungedruckte Quellen berücksichtigenden Überblick bis in die frühen 1980er Jahre.

Es folgen vertiefende Aufsätze, so der von Anton F. Guhl, über die Entnazifizierung des Lehrkörpers (89-106), die an der mit hehren demokratischen Zielen gegründeten Hamburger Universität ebenso notwendig war wie anderswo. Als einer der letzten Texte Axel Schildts schließt sich ein lesenswerter Aufriss der "Public Intellectuals" unter den Hamburger Professoren der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte an (107-141). Sechs wortgewaltige Ordinarien zeichnet er bei ihrem Aufstieg zu deutschlandweiten, sozial- und kulturpolitischen Stichwortgebern nach. Dabei ist - etwa im Falle Carl Friedrich von Weizsäckers und Helmut Schelskys - nicht alles neu, aber in ihrem kompakt dargestellten Wechselspiel mit der Stadtgesellschaft und dem expandierenden Verlags- und Zeitungswesen lesen sich die Porträts stringent und verweisen auf eine Facette Hamburger Sendungsbewusstseins jenseits der Redaktionen von ZEIT, Spiegel und Stern. [1] Malte Halbscheidt schließt chronologisch mit dem nicht nur von studentischer Seite forcierten Bruch mit den rechtlichen Organisationsformen der Ordinarienuniversität an (142-162), zu dessen Begleitmusik Hamburg den bald deutschlandweit bekannten Reim von "Talaren" auf "Jahren" (143) beisteuerte - einer lyrischen Ikone der Protestbewegung, die man nicht nur an der Freien Universität Berlin und auf dem Frankfurter Campus gern adaptierte. Mit Peter Fischer-Appelt räumen die Herausgeber einem ersten wichtigen Protagonisten dieser Umgestaltung die Gelegenheit ein, eine in 33 Schlaglichter aufgefächerte Bilanz seiner Zeit als Universitätspräsident von 1970 bis 1991 zu ziehen (163-207). Dass der Autor den personellen Ausbau seiner Amtszeit lobt, den späteren Abbau dagegen geißelt, erklärt die Zeitzeugenperspektive. Die Formulierung, wonach den überwundenen Übeln zum Trotz für Hamburg ein "Wandel zur internationalen Wissenschaftsmetropole [...] unaufhaltsam" sei, wirkt als nachgereichte Durchhalteparole etwas entrückt (204). Verwiesen sei auf den bis zu tagesaktuellen Problemen reichenden Text von Julian Everts und Tobias Koch (307-319) über die Ökonomisierung der Universität unter den Reformen der letzten 25 Jahre, der für den Band im handfesten AStA-Tonfall ein Stück "Geschichte in Bewegung" (319) beisteuert und in dem neben etlichen bekannten Figuren der jüngeren Hamburger Universitätsgeschichte auch die nur drei Jahre amtierende Präsidentin Monika Auweter-Kurtz behandelt wird.

Letztgenannter Aufsatz gehört zum ersten von sechs weiteren Abschnitten, die mit "Studium und Studierende", "Geschlechtergeschichtliches", "Repräsentationen", "Orte und Objekte", "Internationales" und "Grundlegende Dienstleistungen für Wissenschaft und Gesellschaft" überschrieben sind, und in denen einzelne Aufsätze einer Reihe von Detailfragen nachgehen. So ergibt sich in der Summe ein dichtes Bild, das einer kritisch-modernen Universitätsgeschichte gerecht wird. Dass Sammlungen (509-534, 535-557), Bibliotheken (613-653) und das Rechenzentrum (654- 681) zur Universität gehören, versteht sich in diesem breiten Zugriff von selbst. Einzig die bei den vorher genannten Statusgruppen nicht durchweg beliebte Verwaltung sowie die Leitung der Universität bleiben ohne eigene Untersuchung. Luhmanns Grenzen dieser zentralen Institutionen werden freilich in Fischer-Appelts Beitrag und an dem erwähnten Schicksal der Raumfahrtphysikerin Auweter-Kurtz auch indirekt deutlich.

Längere Texte, wie die von Holger Fischer über Lehre, Studium und Studienreformen (211-251) und Gunnar B. Zimmermann über die (politische) Studierendengeschichte (252-306) wechseln sich mit kürzeren ab; auf alle kann nicht einzeln eingegangen werden. Lilja Schopka-Braschs Aufsatz über die Promotionen von Frauen von 1919 bis 1969 (399-421) und Angelika Schasers Untersuchung der Praxis der Verleihung von Ehrenpromotionen von 1919 bis 1989 verdeutlichen, dass historischem Arbeiten durch Quellenbenutzungsfristen Grenzen gesetzt sind. So werden auch die tagesaktuellen Themen der internationalen Vernetzung (561-588), der Transkulturalität (589-609) und der Gebäudegeschichte (471-508) erst in zukünftigen Studien fortgeschrieben werden können.


Anmerkung:

[1] Der Aufsatz Schildts erscheint hier ebenso postum wie sein letztes Buch: Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik, hrsg. v. Gabriele Kandzora / Detlef Siegfried, Göttingen 2020.

Ulf Morgenstern