Der Fragenkatalog, den der Verfasser an sein Untersuchungsgebiet heranträgt, ist ähnlich beeindruckend: Zunächst wolle er den Lesern neuere Forschungen vorstellen (die deutschsprachigen Standardwerke stammen jeweils aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts), daneben aber vor allem auch den Blick der deutschen Historiografie nach Osten hin erweitern und auf die "größere Hälfte Europas" lenken, ohne die sich die gesamteuropäische Dimension von Reformation und Gegenreformation nur unzulänglich erschließen lässt. Dabei geht es ihm zunächst um die Rekonstruktion der politischen und sozialen Kräfte, welche die Ausbreitung der Reformation beförderten beziehungsweise hemmten, um die theologischen Inhalte der zeitgenössischen Diskussion sowie um die kulturellen Voraussetzungen für die Ausbreitung des neuen Glaubens und schließlich um die Rückwirkungen der Reformationsprozesse auf die unterschiedlichen (kleinen und größeren) ethnischen Gruppen in der Region. Schließlich möchte der Autor den Weg der Reformation von West nach Ost auch auf seine regionalen wie universalen Merkmale hin untersuchen.
In seiner Einleitung gibt Schmidt zunächst einen kurzen Überblick über die bisherige Forschungsliteratur. Daraus ergäben sich "zwei auf unterschiedliche Weise gebrochene Muster: das einer ,getilgten Reformation' in Polen sowie die von Esten und Letten im Grunde als ,untergeschoben' empfundene Reformation der Eliten in Livland, die Bauer und Dorf kaum erreicht hat" (20). Vor allem der "Eindruck einer von der Nachwelt ,getilgten Reformation'" (ebenda) in Polen wird in den ersten vier Kapiteln einer eingehenden Überprüfung unterzogen. Kapitel 1 gibt einen historischen Aufriss der verschiedenen Phasen der Reformation, Kapitel 2 stellt die wichtigsten protestantischen Gemeinschaften vor, Kapitel 3 hat die Haltung der polnischen Gesellschaft (Adel, Städte, Bauern) zur Reformation zum Thema. Im vierten Abschnitt verfolgt Schmidt die Entwicklung in den beiden Preußen sowie im Großfürstentum Litauen, bevor er sich in Kapitel 5 und 6 dann Livland zuwendet. Hier analysiert er zunächst die Position der Städte und Stände der livländischen Konföderation sowie des Ordensstaates selbst und widmet sich danach dem Verlauf von Reformation und Gegenreformation im Land. Kapitel 7 ist systematisch angelegt und fragt nach den kulturellen Voraussetzungen und Implikationen dieser Entwicklung; Kapitel 8 weitet den Blick noch einmal auf den gesamten südlichen Ostseeraum, von den östlichen Reichsterritorien bis hin zur Moskauer Rus' aus. Im Schlussabschnitt wendet er sich noch einmal den gesellschaftlichen Akteuren (Zentralmacht, Städte, Adel) zu und bettet ihre Positionen in einen gesamteuropäischen Rahmen ein, bevor er zuletzt die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Bauerngesellschaften richtet, "ein unzweifelhaftes Merkmal Ostmitteleuropas, wie sie der stärker urbanisierte Westen so nicht kannte" (303).
Die bäuerliche Perspektive erklärt auch die Wahl des Haupttitels der Darstellung: "Auf Felsen gesät" war die Reformation als Elitenphänomen ohne tiefe gesellschaftliche Verankerung in der großen Mehrheit der Bevölkerung - der Bauernschaft. Dies verbindet Livland und Polen (allerdings mit Ausnahme des Herzogtums Preußen), unabhängig davon, ob das protestantische Bekenntnis in den folgenden Jahrhunderten nun durch eine Reorientierung der führenden Schichten "getilgt" wurde oder sich im Bündnis mit der Zentralmacht auf Dauer durchsetzen konnte.
Dem Verfasser ist mit dieser Darstellung nicht nur ein überaus informativer Überblick, sondern auch eine anregende Interpretation der Reformationszeit in Polen-Litauen und Livland gelungen, welche der Forschung zahlreiche wichtige Impulse gibt.
Christoph Schmidt: Auf Felsen gesät. Die Reformation in Polen und Livland, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, 341 S., ISBN 978-3-525-01387-8, EUR 36,00
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