Seit dem 16. Jahrhundert existieren Bestrebungen, das immobile Herrschaftsattribut Schloss sowohl in Landesbeschreibungen als auch in anderen Medien - zum Beispiel Kupferstichfolgen - zu verbreiten. Beide Publikationsgattungen dienen nicht ausschließlich als Medium der Informationen, sondern können auch als eigenständiges Mittel der fürstlichen Repräsentation eingesetzt werden. Mit der 1999 an der Philipps-Universität Marburg eingereichten Dissertation (publiziert 2001) setzt sich die Autorin zum Ziel, erstmals systematisch die Entwicklungsgeschichte, die Formen und Funktionen der Gattung Architekturstichserie zu erarbeiten. Entsprechend gliedert sich die gut illustrierte Arbeit in zwei Teile: Im ersten Abschnitt wird die Entwicklungsgeschichte der Gattung anhand wichtiger Stichfolgen aufgezeigt. Im zweiten Abschnitt werden Funktionen und ästhetische Möglichkeiten der Stichserien exemplarisch untersucht. Der wissenschaftliche Apparat wird ergänzt durch einen Katalog von 40 höfischen Architekturstichfolgen.
Die Autorin zeichnet die große Vielfalt der Architekturwiedergaben nach, die sie auf das große Spektrum von Motivationen der Bauherren zur Herausgabe dieser Werke zurückführt. Vergleichbar mit den (illustrierten) Städte- und Landesbeschreibungen, in denen durch eine Beschreibung des Schlosses eine politische Intention formuliert wird, lassen sich die Bildmotive der Stichserien ikonografisch als Herrschertugenden (zum Beispiel Bildung des Monarchen, Sinnbild für die Emanation des Friedens bis hin zur Ordnung und Magnifizenz) deuten. Die Stichfolgen zeigen, was nach den geltenden Regeln und à la mode gebaut wird. Sie ermöglichen somit eine Inaugenscheinnahme und Analyse der eigenen Bauten.
Zu den Bauherren zählen neben Königen, Kurfürsten, Fürstbischöfen, Herzögen und Reichsfürsten auch Grafen. Ein für die Hofforschung wesentliches Ergebnis ist, dass unabhängig von den Inventoren (Bauherr, Architekt oder Verleger) die Stichfolgen den Höfen gewidmet sind, die Bauer bereits 1993 als zeremonielle Höfe klassifiziert, das heißt Höfe, denen die Repräsentation wichtiger ist als andere Aspekte. [1]
Die panegyrischen Stichserien sind als Sekundärphänomene eines höfischen Baubetriebes einzustufen, für den ehrgeizige Projekte ebenso bezeichnend sind wie ein mögliches Scheitern, ausgelöst durch unerwartete politische Ereignisse wie einen Regierungswechsel oder eine Finanzkrise. Ein vergleichbares Phänomen ist auch für die frühen, in diesem Zusammenhang jedoch nicht behandelten Serien von unpublizierten Architekturaufnahmen zu konstatieren. Sie werden zwar in Auftrag gegeben, gelangen aber mit wenigen Ausnahmen - zumeist aus politischen Gründen - letztlich nicht in den Druck. [2] Die Stichserien können sich als eigenständige Publikationsgattung seit der Mitte des 17. Jahrhunderts international etablieren. Sie sind Gegenstand einer fürstlichen und adeligen (Selbst-)Darstellung. Als Bilder von Schlossarchitektur konstruieren sie eine ideale Wahrnehmung der Schlossanlagen und stellen die höfische Architektur (Schloss und Garten) so dar, wie sie gesehen werden sollte (13), interpretieren also ihren Gegenstand.
Der Umgang der Autorin mit dem Begriff "Pracht" ist problematisch, da sie ihn zu unreflektiert verwendet. Sie interpretiert den unterschiedlichen Umfang, die verschiedenen Blattformate und Formen der Architekturwiedergabe als eine Fortsetzung der innerhöfischen Konkurrenz, also als eine Foliantenkonkurrenz auf dem Gebiet der Architektur. Die einfache Parallelisierung der Fragen "Wer baut prächtiger?" und "Wer publiziert seine Bauten aufwendiger?" (12, 312), greift zu kurz. Denn im Bereich der gebauten Architektur lässt sich "Pracht" abstrakt definieren, ohne dass damit zwingend eine Aussage über die Opulenz beziehungsweise den Aufwand der Architektur und des Zierrats verbunden sein muss. Eine Definition für Pracht im Bereich der Stichserien wird von der Autorin nicht vorgelegt. Eine Parallelisierung ist aber auch auf Grund der unterschiedlichen Auftraggeber nicht zulässig. Bei der Analyse der Stichfolgen kommt die Autorin zu dem Ergebnis, dass eine Vielzahl der Publikationen, nicht vom Fürsten selbst initiiert werden, sondern von Verleger oder Architekten (241). Nicht von ungefähr wird bereits im Titel der Dissertation zuerst von der Darstellung und erst danach von der Selbstdarstellung gesprochen.
Aus dem unreflektierten Gebrauch des Begriffes "Pracht" resultieren einige Unschärfen. In manchen Kapiteln wird der Eindruck erweckt, die Publikationen werden auf Wunsch des jeweiligen Bauherren verfasst (vergleiche zum Beispiel das Kapitel über den Heidelberger Schlossgarten (37ff). Das Werk ist dem Kurfürsten nur gewidmet, auch tritt er damit nicht selbst an die internationale Öffentlichkeit (40)). Wenn er nicht in Erscheinung tritt, sei er aber zumindest in den Entstehungsprozess in irgendeiner Form involviert. Dieser ist aber nicht immer zweifelsfrei zu klären. So ersetzt aus juristischer Sicht zum Beispiel eine stillschweigende Billigung des Fürsten weder die Zustimmung noch die Genehmigung. Trotzdem sind die Stichfolgen ein Medium höfischer Repräsentation, bei dem allerdings die Bauherren weder die Initiative noch den Entwurf immer selbst steuern.
Der zweite Teil der Arbeit analysiert das äußerst diffiziles Geflecht von Personen, die von der Publikation der Bilddokumentation profitieren. Für den Bauherren übernimmt die Architekturstichfolge neben dem gebauten Schloss, Festberichten und Hofkalendern eine Memorialfunktion, die von einem antiken Geschichtsbegriff geleitet ist (242f). Die zeitliche und lokale Beschränkung wird für die Ewigkeit konserviert, für Abwesende partizipierbar und über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht. Obwohl es sich um ein exklusives Medium und um höfische Kunst handelt, können die Stichfolgen jedoch nicht als Auftragskunst im engeren Sinn bezeichnet werden.
Der Anstoß zur Publikation kam häufig von Verlegern und Architekten. Wesentliche Aspekte für den Architekten sind hierbei, dass die Publikation den eigenen Entwürfen Exempelcharakter verleiht, sie einen Architekturersatz darstellen können für die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht gebauten Werke. So wird zumindest die "prima idea" überliefert und damit das eigene Können auch ohne bauliche Ausführung unter Beweis gestellt. Die Architekturstichserie ist eine Möglichkeit des Praktizierens, die dem Bauen in Stein ergänzend zur Seite gestellt wird (260ff). Als Dedikationsgegenstand eignet sich die Stichserie insbesondere zur Imagepflege, aber auch um ein Patronagesystem aufzubauen oder zu festigen.
Werden Architekturstichserien im Auftrag des Bauherren publiziert, so konnte er durch die Auflagenhöhe den Kreis des Publikums und die Rezeptionsform der Stiche mitbestimmen. Nutzt hingegen ein Architekt oder Verleger das Medium, dann besteht offenbar bereits ein öffentliches Interesse. Bei den vom Verlag publizierten Stichserien werden nur Belegexemplare an den Fürsten abgegeben, der somit keinen Einfluss mehr auf die Wahrnehmung hat. Der andere Teil wird zum Kauf angeboten. Theoretisch steht das Medium damit jedem offen, muss sich aber praktisch auf eine kleine zahlungskräftige Gruppe beschränken. Diese Exklusivität erhält ihre Rückkoppelung in dem Umstand, dass die Architekturstichwerke in fürstlichen Galerien, Bibliotheken oder Kunstkammern ausgestellt und dadurch zum Repräsentationsobjekt werden. Darüber hinaus erfüllen sie auch weiterhin eine wichtige Funktion als Reisebegleiter oder Reiseersatz.
Der Verdienst der Arbeit liegt unzweifelhaft in der Zusammenführung der Stiche und damit verbunden der Erstellung eines Kataloges, der Zuschreibung von Stichen und der Klärung von Entstehungszusammenhängen. Es ist zu hoffen, dass sie einen Anstoß zur Bearbeitung von und Auseinandersetzung mit anderen höfischen Bauaufgaben oder der verstärkt um 1700 erscheinenden Publikationen der freien Städte darstellt.
Anmerkungen:
[1] Volker Bauer: Die höfische Gesellschaft in Deutschland von der Mitte des 17. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Versuch einer Typologie, Tübingen 1993, Seite 78.
[2] Stellvertretend sei hier nur auf das bekannteste Beispiel verwiesen. Die vom Kartografen W. Dillich im Auftrag des Kurfürsten Moritz von Hessen-Kassel angefertigten Architekturzeichnungen wurden publiziert von Edmund Ernst Stängel: Wilhelm Dilichs Landtafeln hessischer Ämter zwischen Rhein und Weser. Nach den Originalen in der Landesbibliothek in Kassel, im Staatsarchiv zu Marburg und im Landgräflichen Archiv zu Philippsruhe, Marburg 1927
Michaela Völkel: Das Bild vom Schloss. Darstellung und Selbstdarstellung deutscher Höfe (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 92), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2001, 400 S., 77 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-06332-7, EUR 51,00
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