Mit der CD-ROM Ausgabe des "Lexikons der Renaissance, herausgegeben von Günter Gurst, Siegfried Hoyer, Ernst Ullmann und Christa Zimmermann" (Druckausgabe: Leipzig, Bibliographisches Institut 1989) als Band 41 der "Digitale(n) Bibliothek", wird der erfreuliche Trend zur Digitalisierung von Standardwerken fortgesetzt. Ein Autorenteam - vornehmlich aus Leipzig, Dresden, Jena und Berlin - hat rund 6 000 Artikel zusammengetragen, die sich auf die als "Übergangsperiode" (10) bezeichnete europäische Renaissance beziehen. Die biografischen, thematischen und sachbezogenen Artikel beschäftigen sich - wie im Vorwort bemerkt, allerdings ohne eingehendere Klärung, was Renaissance sei - mit dem 14. bis 16. Jahrhundert, schwerpunktmäßig mit Süd-, Mittel- und Westeuropa.
Installation und Benutzung verlaufen problemlos komfortabel. Grundsätzlich arbeitet man auf einem zweigeteilten Bildschirm, dessen eine Hälfte das Navigationsfenster (Register-, Themen-, Tabellen-, Such-, Arbeitsbefehls- und Filtermaske) und die andere die jeweilig ausgesuchte Seite darstellen. Abbildungen und Textpassagen sind exportierbar in andere Anwendungen und auch druckfähig. Eigene Markierungen, Notizen, Kommentare und Ordnungsverfahren für Datensätze sind möglich.
Die CD-ROM übernimmt die Struktur der gedruckten Ausgabe, indem eine eigens für die digitale Edition verfasste Einleitung vorangestellt wird. Das Vorwort der Druckausgabe, Benutzerhinweise, Lautschrift- und Abkürzungsverzeichnis sowie Autorensignaturen gehen den Artikeln voraus. Am Ende steht ein systematischer Literaturkatalog. Kartenmaterial findet sich nur unter dem Stichwort "Europa": Zum 15. und 16. Jahrhundert wird je eine, eingeschränkt sinnvolle politische Europakarte präsentiert.
Die einzelnen Artikel bieten im Wesentlichen kurze Einführungstexte, die bei Personen und Realien knapper ausfallen als bei thematischen Artikeln. Werkausgaben werden angefügt und Abbildungen sind aufrufbar. Allerdings wird auf Literaturangaben verzichtet. Verweise werden restriktiv gehandhabt und durch Hyperlinks verwirklicht. Unter geografischen Artikeln wie "England" oder "Spanien" verbergen sich Abhandlungen über die Geschichte traditionell gefasster Einheiten von etwa 1300 bis etwa 1600: Vor einem sozioökonomischen Hintergrund werden die politische Entwicklung und die für die Renaissance spezifischen kulturellen Phänomene knapp beschrieben.
Zunächst zur Grundfrage der Auswahl und des Schwerpunkts von Artikeln, worüber stets gestritten werden kann. Zu ökonomischen Strukturen gibt es reichlich Dokumentation: Bedeutende Kaufmannsfamilien werden genannt (Alberti, Bardi, Fugger, Strozzi, Welser und andere), ebenso herausragende Kaufmannbankiers wie Jacques Cœur oder Francesco Datini. Selbst ein Felice Brancacci kommt vor, allerdings ohne Verweis auf die Brancacci-Kapelle. Zu "Merchant Adventurers" und "Wechsel" stößt man auf Kurzartikel, wohingegen zu Bankwesen, Bankiers oder Kaufmannbankiers keine Einträge zu verzeichnen sind.
Erfreulich ist, dass sich zur Geschichte der europäischen Expansion manches entdecken lässt. Allerdings erschöpfen sich die Hinweise in der Nennung diverser Konquistadoren, einem fragwürdigen Artikel zu "Kolonialbergbau" und dem Lemma "Amerika" (wobei verschwiegen wird, woher der Name "Amerika" kommt). "Afrika" ist vertreten, China, Indien oder Japan aber nicht. Zum Osmanischen Reich oder zur kulturellen Blüte am Bosporus Mitte des 16. Jahrhunderts wird kein Wort verloren, während man "Devşirme" (= Knabenlese; ohne Verweis auf die Janitscharen) oder "Türkensitten" trifft. Das "Judentum" hat keinen eigenen Eintrag, Juden werden nur aus christlicher Perspektive als "conversos", "Marranen" oder "Sephardim" dargestellt, wiewohl einzelne jüdische Gelehrte und vereinzelte Sachbegriffe wie das kompilierte Regelwerk "Schulchan Aruch" präsentiert werden.
Mit Blick auf eines der interessantesten Phänomene der Kultur der Renaissance endet die Suche erfolglos: Nur unter "Mäzen" liest man einen unspezifischen Kurzeintrag (oder findet Mäzen als häufige biografische Kategorisierung), doch zu Patronage, Kunstpatronage, Auftraggeber - auch thematisch gesucht - findet sich rein gar nichts. Zur höfischen Kultur (nur "höfisches Theater") ist auch kein Artikel vorhanden, ebenso wenig zu Fürst. Um einige Einzelfälle der Kunstpatronage konkret anzutreffen, muss man die Beiträge zu herausragenden Künstlern konsultieren, da die Artikel zu bedeutenden Renaissance-Zentren wie Ferrara oder Mailand im Gegensatz zu den Artikeln "Krakau", "Florenz" oder "Rom" (es fehlen Neapel, Brügge, Brüssel, Antwerpen, Gent) nur ein paar Allgemeinheiten zur politischen Entwicklung bieten. Auch etliche Fürstenfamilien wie Montefeltro, Este, Sforza oder Könige wie Heinrich VIII., Elisabeth von England oder Alfonso V. de Aragón "il Magnanimo" (!) werden fast nur als Akteure der politischen Geschichte begriffen. Die Päpste, die als nepotistische Politiker und Kunstauftraggeber erscheinen, werden, wie die polnischen Könige Sigismund I. und Sigismund II. August, in ihren Artikeln auch als Kunstpatrone charakterisiert (Albrecht V. und Wilhelm V. von Bayern sind keine Artikel gewidmet).
Das Thema der Kommunikation hat keinen eigenen Artikel. Zum womöglich besonderen kommunikativen Stil der Renaissance erfährt man nur etwas unter "neulateinischer Literatur", wo - anders als unter "Brief --> Epistolographie" - ein Zusammenhang aus brieflicher Kommunikation und allgemeineren Kommunikationsformen hergestellt wird. Der Beitrag zur "Briefzeitung" kommt ohne den Begriff des Novellanten aus, immerhin wird etwa auf die Fuggerzeitungen verwiesen. "Post" hingegen taucht als ein eigenes Lemma auf, unter "Taxis" liest man mehr zum Thema. "Flugschrift", "Buchdruck", "Holzschnitt" und "Druckgraphik" (ausnahmsweise mit Worterklärung) haben eigene Kurzeinträge. Erfreulich lohnend ist die Suche zu den Themenbereichen Theater und Musik. Die für die Renaissance so markante Entwicklung der Diplomatie wird in diesem Lexikon nicht nachvollziehbar. "Diplomat" existiert nur als allgemeine Zuschreibung für Personen, das Grundlagenbuch von Garrett Mattingly wird von der Bibliografie verschwiegen.
Qualitativ sind zahlreiche Artikel als mitunter problematisch anzusehen. Unter dem Lemma "condottiere" etwa werden, ohne den Begriff selbst zu klären, bloße Klischees reproduziert. Andere Artikel wie derjenige zu "Augsburg" sind von nachgerade verfälschender Kürze. Leider begegnen zudem haarsträubende inhaltliche Fehlleistungen. Nur zwei Beispiele: Der Eintrag "Angelico, Fra" (184) verzeichnet den mehr als erstaunlichen Vorgang, dass das Kloster San Marco "[...] 1436 von Cosimo de' Medici den Dominikanern zugewiesen wurde". Ein Privatmann kann kein Kloster umwidmend zuweisen... Oder der Leserschaft wird grober Unfug zugemutet: Lucrezia Borgia "[...] war die unehel. Tochter von B., Cesare, eventuell aus dessen Verbindung mit Vannozza Catanei, und die Schwester von B. 2. [Borgia, 2. Cesare]" (626). Selbst wenn dieses Verwandtschaftsverhältnis zwischen Lucrezia und Cesare (zugleich Vater und Bruder) theoretisch konstruierbar sein sollte, ist dieses Konstrukt der Forschung doch verborgen geblieben...
Die angebliche Überarbeitung der Leipziger Druckedition des "Lexikons der Renaissance" hat indes kaum stattgefunden. Zwar wurden einige Text- oder Werkausgaben, die nach 1989 erschienen sind, neu hinzugefügt (die jüngsten zwei sind von 1993). Allerdings helfen etliche der angegebenen Editionen kaum weiter: Wer sollte Vespasiano da Bisticcis "Lebensbeschreibungen", die der Autor des entsprechenden Artikels selbst als "eine wertvolle Dokumentation zur Geschichte von Kunst, Literatur und Politik des 15. Jh." (4614) bewertet, in Form der Ausgabe "Vite, 3 Bde., Bologna 1892/93" konsultieren wollen, da man bequem auf die aktuelle Textausgabe (von Aulo Greco, 1970-76) und die deutsche Übersetzung (von Bernd Roeck, 1995) zurückgreifen kann? Die Bibliografie selbst hat keine Überarbeitung erfahren: Das jüngste Werk ist von 1988, die Standardwerke von John Hale oder Peter Burke zur Renaissance sind dem Autorenteam offenbar unbekannt.
Für eine abschließende Bewertung der CD-ROM-Ausgabe des zurückhaltend modifizierten "Lexikons der Renaissance" sind zwei Erwägungen angebracht: Zum einen muss man feststellen, dass ein Vergleichsstück, das von John Hale herausgegebene "Dictionary of the Italian Renaissance" (London 1981), mit rund 750 Artikeln etwas schmächtig ausfällt. Die ebenfalls als kurze Einführungsartikel gehaltenen Erläuterungen fallen auch nicht rundum qualitativ hochwertiger aus, selbst wenn sie insgesamt zuzüglich jeweiliger bibliografischer Basisangaben sorgfältiger gearbeitet sind. Weder vom Umfang noch qualitativ kann das "Lexikon der Renaissance" mit dem "Lexikon des Mittelalters" (8 Bände: München, Zürich 1977-1997) konkurrieren. Zum zweiten wirft sich die Frage auf, an wen sich das "Lexikon der Renaissance" in Form der CD-ROM wendet. Wenn der beachtliche und achtenswerte Aufwand zur Erarbeitung eines Lexikon derart geringen Ertrag bringt, will der Rezensent die CD-ROM zum Preis von über € 30 ungerne als Studienmittel empfehlen.
Günter Gurst / Siegfried Hoyer / Ernst Ullmann u.a. (Hgg.): Lexikon der Renaissance (= Digitale Bibliothek; Bd. 41), Berlin: Directmedia Publishing 2000, CD-Rom, ISBN 978-3-89853-141-2, EUR 35,28
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