Mit dem jüngst erschienenen siebten Band ist das von Hermann Bauer (†) und Bernhard Rupprecht initiierte "Corpus der Barocken Deckenmalerei in Deutschland" (CPD) seinem höchst ambitionierten Ziel wiederum ein Stück näher gerückt, eine wissenschaftliche Dokumentation aller erhaltenen Deckenbilder, die in Deutschland im Zeitraum vom 17. Jahrhundert bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden sind, zu erstellen. Allein vier Bände konnten in beneidenswert schneller Folge zwischen 1995 und 2001 erscheinen, alle im Hirmer-Verlag, welcher das Projekt nach den ersten drei im Süddeutschen Buchverlag publizierten Bänden verlegerisch betreut. Frank Büttner ist seit dem fünften Band ebenfalls als Herausgeber vertreten.
Seit Beginn der Finanzierung des Projekts im Sommer 1966 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft widmen sich alle der nunmehr sieben vorliegenden Bände dem Freistaat Bayern und Regierungsbezirk Oberbayern, somit also dem reichsten Gebiet an barocker Deckenmalerei. Der hier anzuzeigende Band rückt den heutigen Landkreis Erding, der sich weitgehend mit dem früheren Gericht Erding und dem kleinen Gericht Dorfen im ehemaligen Rentamt Landshut in Niederbayern deckt, ins Zentrum. Fast ohne Einschränkung überzeugen auch in diesem Band die Farb- und Schwarz-Weiß-Abbildungen, die erstmals vollständig die Deckenmalereien reproduzieren. Die hervorragenden Aufnahmen des 1997 gestorbenen Wolf-Christian von der Mülbe, der für das Projekt eigens ein spezielles Verfahren erarbeitete, werden glücklicherweise das Corpus noch lange begleiten; einen Großteil der nicht minder qualitätsvollen Aufnahmen lieferte Achim Bunz, der bereits am fünften Band mitgearbeitet hatte.
Kongenial zu den hervorragenden Fotos liegen wiederum fundierte Texte von Anna Bauer-Wild und Cordula Böhm vor, die im Rahmen des bewährten Corpus-Aufbaus nüchtern und kenntnisreich informieren. Seinem gewohnt übersichtlichen, nahezu technokratischen Schema entsprechend (das bis zu Ergänzungen wie "EB1-3, EBa-d" in den Bildunterschriften reicht), ist dieser Aufbau schnell referiert: Zunächst wird das betreffende Objekt mit Angaben zum Patrozinium, Weihetitel und zur architektonischen Gestaltung des Bauwerks kurz charakterisiert. Es folgen historische Hinweise zum Auftraggeber, mitunter zu Finanzierung und Durchführung des Auftrags (gegebenenfalls mit zitierten Archivalien), dann meist kurz gehaltene Bemerkungen zu Entstehungszeit und zum Autor der Deckengemälde, wobei immer deutlich zwischen Zuweisung und historisch verbürgter Benennung des Malers (Angabe von Signaturen, schriftliche Belege) getrennt wird. Der technologische Befund, die Angaben zur Maltechnik, zum (oft beklagenswerten) Erhaltungszustand und zu Restaurierungen sind nicht minder ein zentrales Anliegen wie die ausführliche Beschreibung der Deckenbilder, die nicht primär einem formalanalytischen Erkenntnisinteresse folgt, sondern eine präzise ikonographische Benennung der einzelnen Figuren und Szenen offeriert, selten dabei ein mutmaßliches Gesamtprogramm herausarbeitet. Oft erläutern Planskizzen den Bestand; nicht immer liegt leider eine Gesamtansicht des Kirchenraumes vor, selten (mangels Material) Entwurfsskizzen der ausführenden Künstler. Quellen- und Literaturangaben, die von Archivalien bis zu Zeitschriftenartikeln reichen, bilden jeweils den Abschluss der einzelnen Beiträge. Das nach Orten, Künstlern, Ikonographie, Emblemen und Lemmata aufgeteilte Register liefert schließlich ein nochmals unverzichtbares Arbeitsinstrumentarium.
Was das Corpus nicht bietet, nicht bieten kann und nicht bieten sollte, ist die Analyse und vergleichende Durchdringung des minuziös und in bestechend positivistischer Manier präsentierten Materials. Der Nutzer/Leser kennt bereits dieses beim CBD besonders ausgeprägte Verfahren der Unmittelbarkeit: Keine verschnörkelten Einführungen, keine historischen Eingrenzungen, kein Verweis auf die Existenz oder Nicht-Existenz einer "Erdinger" Schule; nichts, was den objektiven Nutzungseffekt beeinträchtigen könnte. So ist der Leser dankbar für jeden Hinweis auf eine Charakterisierung dieser ihm bisher kaum geläufigen Kunstlandschaft (weniger als ein Viertel der bearbeiteten Kirchen wurde bisher in einschlägigen Kunstführern überhaupt erwähnt). Ein kurzer Abschnitt in dem eine Seite umfassenden Vorwort führt nur äußerst knapp ein; die lakonischen Sätze "Das Erdinger Land war in erster Linie Bauernland" und "Erding war ein Land der Wallfahrten und Wallfahrtskirchen" umreißen indessen das Geschehen hervorragend, werfen indirekt Licht auf Rezipienten-, Auftraggeber- und schließlich Künstlerkreise, welche in den 42 einzelnen Beiträgen dann nachgezeichnet werden können. Diesem Band gebührt allein schon deshalb größter Respekt, weil sich eine weit differenziertere Meinung bilden kann, als es der Tenor der bisherigen überaus unscharfen Urteile über die Kunst dieser Region zuließ, wonach beispielsweise die Ausstattung von Maria Thalheim "eine der glücklichen, freudigen Darbietungen des volksverbundenen bayerischen Barock" verkörpere.
Das Corpus lässt nicht viel Raum für derart nostalgisches Schwelgen, und der Landkreis Erding bietet zudem auch ungewohnt wenig Grund: Es gibt keine Höhepunkte, keine die vorherigen Bände seitenfüllend prägenden "Hauptkirchen" wie in Fürstenfeldbruck oder Freising, keinen Schwerpunkt wie eine Bischofsstadt, die auch ein künstlerischer Kristallisationspunkt hätte sein können, Kräfte bündelte und in die Provinz ausstrahlen ließe. Altenerding, Heilig Blut, Hohenpolding, Maria Thalheim, Schwindkirchen, Tegernbach oder Wörth gehören, gemäß der künstlerischen Qualität und ikonographischen Komplexität, noch zu den ausführlicher bearbeiteten Objekten. Doch im Ganzen bestechen die Kirchen des Landkreises Erding auf Grund der Homogenität ihrer künstlerischen Mittelmäßigkeit und des eher einer "Volkskultur" nahen ikonographisch-ikonologischen Gehalts.
Es begegnen keine großen Namen, kein Matthäus Günther, kein Asam, kein Bergmüller, kein Zimmermann (zumindest nicht auf der Höhe seines Schaffens); die Qualität der Altäre überragt, wie die Innenraumaufnahmen zeigen, oft bei weitem die der Deckenmalereien. Freilich erfahren wir nur mittelbar etwas über die Gründe für diesen blinden Fleck bezüglich der Monumentalmalerei innerhalb der bayerischen Hochkunstlandschaft. Egid Quirin Asams Ausmalung des Chores der Wallfahrtskirche Dorfen hat sich nicht erhalten. Eine Ausnahme bildet das im 18. Jahrhundert unter kurfürstlicher Verwaltung stehende Schwindkirchen mit der Ausstattung Johann Christian Winks von 1784, doch der karge Eintrag unter "Auftraggeber" deutet die Widerstände an, die das Projekt offenbar beinahe verhindert hätten. Stattdessen sind die Protagonisten im Gericht Erding Franz Albert Aiglstorffer und sein Sohn Franz Joseph, Johann Martin Heigl (ein unverkennbarer Schüler Johann Baptist Zimmermanns), Nikolaus Gottfried Stuber oder Johann Joseph Anton Huber (Nachfolger Günthers als Akademiedirektor in Augsburg). Mag es auch der Corpusphilosophie widersprechen: ein paar Informationen zu den einzelnen Künstlern, Werkstattzusammenhänge et cetera wären dankbar aufgenommen worden; eine genauere Einordnung beispielsweise der beiden Aiglstorffer (sie waren schließlich die Meistbeschäftigten der Region) wäre zu einem frühen oder gar gesonderten Zeitpunkt sehr hilfreich gewesen; erst bei Oberbierbach (238) erfahren wir mehr über Vater und Sohn als Schöpfer umfangreicher Freskenzyklen im Gebiet des alten Gerichts Erding.
Man kann auch in diesem Band des CBD wieder vieles entdecken: bildliche Zeugnisse kurioser Verschränkungsversuche von Schein- und Bühnenarchitektur wie in den Deckenmalereien von Franz Xaver Zellner in Kirchberg und Steinkirchen; eine auf größtmögliche Anschaulichkeit zielende Bildrhetorik mit ihrer eigentümlichen Durchdringung von Emblem- und Historienmalerei; nicht zuletzt die frühesten erhaltenen und bisher unbekannten Arbeiten der Brüder Zimmermann: In der Pfarr- und Wallfahrtskirche Sankt Wolfgang aus der Erzdiözese München und Freising begegnet der junge Johann Baptist (1700, Fresken und Stuck); vorher hat der Siebzehnjährige wohl in Isen innerhalb eines Trupps des Wessobrunners Christoph Schäffler (seines Stiefvaters) mitgearbeitet sowie auch sein Bruder, der damals dreizehnjährige Dominikus.
Mit dem CBD halten wir - hochaktuell im Wandel von einer Kunst- zur Bildwissenschaft - unbestritten ein Musterbeispiel der Corpus-Produktion auf Grund seiner objektivierten und empirisch fundierten Betrachtungs- und Darlegungsmethoden in den Händen. Doch eines würde man sich als Nutzer und Leser zur besseren Überschaubarkeit gerade bei einem Neuland erobernden Band noch wünschen: im tabellarischen (?) Überblick über die Chronologie der einzelnen Werke, der Auftraggeber, Rezipienten, der Künstler und so fort informiert zu werden.
Hermann Bauer / Frank Büttner / Bernhard Rupprecht (Hgg.): Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland. Band 7: Freistaat Bayern - Regierungsbezirk Oberbayern, Landkreis Erding. Bearbeitet von Anna Bauer-Wild und Cordula Böhm, München: Hirmer 2001, 344 S., 550 Abb., ISBN 978-3-7774-7830-2, EUR 200,00
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