Neugier ist für die Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte ein ebenso zentraler wie problematischer Begriff. Denn er deutet nicht nur auf die Antriebe menschlichen Wissenserwerbs als Teil der eigenen Praxis, sondern auch auf deren diskursive Formatierungen im Lauf der Geschichte. In dieses begriffsgeschichtliche Dickicht wurden in jüngerer Zeit aus geistes- und kulturwissenschaftlicher Perspektive wieder einige Schneisen geschlagen. Ein Sammelband von Klaus Krüger fügt diesen Ansätzen vier weitere Beiträge hinzu, deren Gemeinsamkeit in der Kontrastierung mit Hans Blumenbergs diagnostizierter Wendemarke von der sündhaften zur legitimen theoretischen Neugier der Frühen Neuzeit besteht. Weithin gilt dieser Wandel als akzeptiertes Übergangsmodell. Unproblematisch war diese Feststellung freilich nie. So halten sich die Beiträge in Krügers Sammelband mit Gewissheiten auch sorgsam zurück und nehmen gar eine Phase von über zweihundert Jahren aus unterschiedlichen Disziplinen in den Blick, um ein durchaus differenziertes Panorama des wissenschaftlich-ästhetischen Weltzugangs zu zeichnen. Dass dies bei nur vier Aufsätzen freilich fragmentarisch bleiben muss, liegt auf der Hand.
Der Kunsthistoriker Jeffrey F. Hamburger geht der Frage nach, ob der Umbruch vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit als ein "linguistic" oder "pictorial turn" beschrieben werden könne, und ordnet Neugier im Mittelalter in den Diskurs um die Erkenntnisfähigkeit und den Erkenntniswillen des Menschen im Hinblick auf die Wesenheit Gottes ein. Dabei skizziert er den Gang, den Visualität als Erkenntnisform im Rahmen der spekulativen und mystischen Literatur allmählich zu einem materiellen Zugang zu Gott erklärte und verklärte. Bilder wurden dann beispielsweise bei Gertrude von Helfta in Berufung auf Hugo von St. Viktor zum adorierten Gegenstand als Verweis nicht auf Schöpfung sondern auf die Mysterien des Glaubens und die Wesenheit Gottes als Trinität. Gegen diese sakrale Aufladung des Bildes, die das Werk ins Zentrum der Verehrung zu rücken begann, wandten sich Reformatoren, insbesondere Luther, nicht nur aus einer Präferenz des Wortes gegenüber den Bildern. Sie brachen letztlich mit der theologischen Korrespondenz von Bild und Glaubensmysterien. Kunst mochte Natur spiegeln, sollte dann aber in erster Linie auf die Qualität des Künstlers verweisen.
Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive geht Christian Kiening der Frage nach der Ordnung der Fremde nach, wie sie in Reiseberichten aus Brasilien während des 16. Jahrhundert allmählich entwickelt wurde. Er stellt den Versuch fest, die neuen Entdeckungen wie indigene Kulturen noch zu Beginn der Entdeckungsreisen in tradierte Bilder einzufügen und weniger das Neue als das Zusätzliche, besser nicht als "gänzlich unerwartetes, sondern als ungesehenes" (67) zu präsentieren. Seien die frühen Reiseberichte noch von der Gegensätzlichkeit der alten und neuen Welt geprägt gewesen, habe sich allmählich aus ganz unterschiedlichen konkreten Situationen heraus ein Reportagestil entwickelt, der zunächst das Fremde in traditionellen Kategorien zu fassen gesucht habe, bis sich schließlich Ansätze herausgebildet hätten, das Fremde als ein "System eigener Ordnung" zu begreifen. Die Suche nach eigenen Ordnungsrastern ist ein entscheidender, wenngleich protowissenschaftlicher Schritt hin zur Suche nach der Eigenlogik des Neuen und damit zu dem, was als theoretische Neugier eine moderne Entfaltung gewinnen konnte.
Niklaus Largier, ebenfalls Literaturwissenschaftler, zeichnet die Rezeption des Diogenes-Bildes nach, das nach der spätantiken und der mittelalterlichen Rezeption im 16. Jahrhundert, speziell bei Giordano Bruno, nunmehr eine epistomologische Neuorientierung erfährt. Dies führt er beispielhaft vor an der Anekdote der Begegnung des Kynikers Diogenes mit Alexander dem Großen und dem daraus resultierenden Wunsch, der Potentat möge aus der Sonne treten. Dabei stellt Largier weniger die noch von Hans Blumenberg notierte Identifikation Brunos mit Diogenes heraus, sondern vielmehr Brunos Adaption des interventionistischen Gestus des Diogenes, der gegen die Starrheit der tradierten Doxa ein kynisches 'Aber' setzte. Diesen Gestus beobachtet Largier indes nicht erst im 16., sondern in Ansätzen bereits im 14. und 15. Jahrhundert und problematisiert damit einmal mehr die chronologische Lokalisierung des wissenschaftsgeschichtlichen Wandels. Grundsätzlich aber sieht Largier in diesem Gestus eine innovative Selbstsicht des Philosophen, wie sie bei Bruno als peregrine Weltoffenheit und damit Welterfahrungsbereitschaft formuliert wird. Als diese figuriert die Emblematik des Lichts in der erwähnten Anekdote, die den Sehsinn, die Visualität, alternativ gegen den Formalismus der Schrift setzt.
Lorraine Daston gruppiert Neugier mit dem Begriff des Staunens zu einem gemeinsamen Untersuchungsgegenstand als kognitive Leidenschaften, wie sie es bereits zusammen mit Katharine Park in ihrem viel beachteten Buch unternommen hat. Während die Neugier in der scholastischen Naturphilosophie und Naturgeschichte der bekannten Verurteilung anheim gefallen war, galt das Staunen als durchaus akzeptable Zugangsweise zur Schöpfung. Im frühen 17. Jahrhundert sieht Daston mit dem Wertewandel im Neugierdiskurs einen erkenntnislogischen Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeitslenkung und Erkenntnisinteresse etabliert. Letzteres habe sich im Gegensatz zur Scholastik nicht an Universalia sondern vielmehr an den Mirabilia und Ausnahmeerscheinungen festgemacht. Staunen und Neugier sind dann direkt aufeinander bezogen: "Das Staunen fing die Aufmerksamkeit, die Neugierde fesselte sie" (163).
Doch die von Jeffrey F. Hamburger für das Mittelalter angeführte Kritik am mangelnden Nutzwert der Erkenntnis fand sich, so Daston, auch weiterhin im Neugierdiskurs wieder. Und so führte diese Auseinandersetzung allmählich wieder zu einem Erkenntnisgegenstand, der in der Naturtheologie das Wirken Gottes suchte und von den spektakulären Monstergeschichten, denen Daston ja schon länger nachgeht, zu universaleren Gegenständen wechselte.
Ihr Beitrag beschließt den Sammelband nicht nur editorisch sondern auch inhaltlich, zeigt er doch, dass die Geschichte der theoretischen Neugier von der an ihr haftenden Kritik der Nützlichkeit und den erlaubten Grenzen des Wissens nicht zu trennen ist. Insofern ist dieses Feld der Wissenschaftsgeschichte auch für aktuelle wissenschaftsethische Diskussionen, in denen die Grenzen des Wissens zwischen den Polen von technischer und ethischer Machbarkeit verhandelt wird, durchaus von Relevanz.
Demgegenüber bleibt der systematische Zusammenhang der Beiträge ein wenig blass. Neugier fungiert hier bisweilen als heuristisches Motiv, das es erlauben soll, zahlreiche recht disparate Geschichten um Wissenserwerb und Wissenskommunikation zu verknüpfen. Insofern aber gerät der mediale Aspekt der Neugier nicht nur als editorisches Band, sondern auch im jeweils zeitgenössischen Diskurs eher beiläufig in den Blick. Und in der Tat legen alle Beiträge einen entsprechenden Zugang nahe, der jedoch kaum wirklich durchgearbeitet wird.
Ob es der sich wandelnde Bildbegriff im Text von Hamburger oder die Lichtmetapher in Largiers Beitrag ist, ob es sich um die Bild-Text-Kombinationen bei Kieninger und deren Authentizitätsfrage handelt oder um Neugier als Leitmedium einer wissenschaftsethischen Auseinandersetzung wie in den Beispielen von Daston - hier wurden Argumente verspielt. An dieser Stelle hätten die vier Beiträge einen eigenständigen medientheoretischen Aspekt zumindest in Ansätzen formulieren können, der vielleicht fruchtbarer gewesen wäre als der schon aufgrund zahlenmäßiger Unterlegenheit aussichtslose Versuch, die weitläufigen Diskursfelder der Curiositas zu umzingeln.
Klaus Krüger (Hg.): Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit (= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft; Bd. 15), Göttingen: Wallstein 2002, 180 S., ISBN 978-3-89244-522-7, EUR 17,00
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