Edward S. Casey (Professor für Philosophie an der State University of New York, Stony Brook) hat mit seiner vergleichenden Studie über Landschaftsmalerei und Kartografie von der Frühgeschichte bis ins 19. Jahrhundert ein insbesondere auch für Kunsthistoriker lesenswertes Buch vorgelegt, das zeigt, wie erfolgreich transdiziplinäre Untersuchungen den Fachdiskurs bereichern können. Als Phänomenologe geht er der Frage nach, was es bedeutet, Landschaft - verstanden als ein Ort, der kulturell kodiert und immer schon als Vorstellung gegeben ist - darzustellen. Seine weite, sich als äußerst sinnvoll erweisende Definition von Landschaft, die dem Buch den Titel gegeben hat, macht den Weg dafür frei, Kartografie und Malerei mit demselben Erkenntnisinteresse zu betrachten. Mit diesem Ansatz steht Casey in der Tradition von Svetlana Alpers, die bereits 1983 in "The Art of Describing" auf die Nähe von Landschaftsbildern und Kartografie im Holland des 17. Jahrhunderts hingewiesen hatte. Er geht jedoch weit über die von Alpers beobachteten Ähnlichkeiten bei den Artefakten der "holländischen Sehkultur" hinaus, indem er in Fallstudien aus verschiedenen Jahrhunderten sowohl aus der westlichen wie auch der östlichen Kultur die interagierenden Darstellungsmodi von Orten ("places") herausarbeitet.
Gegliedert ist das Buch in die beiden großen Teile Malen und Kartieren des Landes. In der Untersuchung von Landschaftsbildern erstaunt die Auswahl, die zwar von der chinesischen Malerei des 11. Jahrhunderts bis hin zur Fotografie des 19. Jahrhunderts in Amerika reicht, dabei jedoch gerade das "Goldene Jahrhundert" der holländischen Malerei vernachlässigt, auf dessen Errungenschaften nur am Rande (wie auf einen ohnehin bekannten Hintergrund) jedoch immer wieder hingewiesen wird. Stellvertretend für topografische Landschaften zeichnet Casey den Weg von primitiven amerikanischen Holztafeln des 18. Jahrhunderts (so genannte 'landskips') zu den pathetischen Werken Alfred Bierstadts nach.
An den Fotografien Carlton Watkins und den nach Skizzen gemalten und sukzessiv veränderten Bildern von Fritz Hugh Lane arbeitet er heraus, wie sich die Topografie zur Topopoesie wandelt. Gegen das apokalyptisch beziehungsweise kontemplativ Erhabene der Gemälde von Frederic Erwin Church setzt er das natürlich Erhabene von Thomas Cole ab, dem es gelinge, die Erhabenheit und Schönheit und damit auch das Subjekt der Wahrnehmung mit ihrem Objekt - also der Natur - zu verbinden, indem er den Betrachter in die Kontemplation der Natur einbeziehe.
Für die Darstellung einer Region (als einer Gruppe von zusammenhängenden Orten, die als Nachbarschaft verstanden wurde) zieht er John Constable heran, an dessen Werken er die topomnemische Qualität herausstreicht, also das Vermögen, durch die Kompilation von Erinnerungen die Essenz einer Region abzubilden, sodass hier von einer Transformation der Landschaft gesprochen werden muss.
Am erstaunlichsten für den eurozentristischen Blick sind die chinesischen Bilder des 11. Jahrhunderts, insbesondere von Kuo Hsi. Casey führt sie mit der chinesischen Kunsttheorie und Philosophie der Zeit eng, die Ordnung und Orientierung in der Welt durch das körperliche Erleben von natürlichen Orten einfordern, ein Postulat, das in den Bildern durch Aufeinanderprallen von Nähe und Ferne evoziert wird.
Die Stärke dieser Untersuchungen, deren Ergebnisse in der Verkürzung hier viel zu schematisch erscheinen müssen, liegt in dem Versuch, den Phänomenen der Landschaftsmalerei mit einer neuen Terminologie gerecht zu werden. Bedenken sind jedoch hier, wie auch im Kartografieteil, insofern anzumelden, als die historische Einbettung der Werke zwar anklingt, hinter der theoretischen Begrifflichkeit jedoch zurückbleibt.
Der zweite Teil ist von der Absicht geprägt, die repräsentativen Möglichkeiten der Kartografie darzustellen, ihre Fähigkeit, durch Abstraktion, Projektion und die Zuhilfenahme von Schrift und Piktogrammen eine Vielzahl von Informationen zu verarbeiten, die gemeinhin nicht mit der wissenschaftlichen Kartografie in Verbindung gebracht werden. Kartografie - so die These - ist ebenfalls eine Kunst, die allerdings stärker auf die körperliche Orientierung des Betrachters abzielt. An frühgeschichtlichen und indianischen, in Stein geritzten Karten führt Casey die vor der Konventionalisierung von kartografischer Projektion maßgebliche Isomorphie der Repräsentation vor. Während die bildhaften Anteile die erhabene Oberfläche darzustellen vermögen, sind es bei den Linien der Karten die Formen der natürlichen Welt.
Maler und Kartografen kämpfen mit dem gleichen Problem, nämlich die runde Erdoberfläche in ihrem Medium zu bannen. Mit Blick auf Vermeers "Allegorie der Malkunst" referiert Casey die Alperschen Thesen der Nähe von Kartografie und Topografie in Holland (leider ohne die jüngeren Arbeiten von Victor Stoichita und Daniel Arasse einzubeziehen). An den mittelalterlichen Portolankarten, deren System ganz auf den Küstenlinien beruht, zeigt er, wie praktisches Wissen der Orientierung in Karten transformiert wurde, die keinen externen Blickpunkt etablieren - und wie auch hier Wort und Bild interagieren. Asiatische Beispiele machen erneut deutlich, dass das westliche Kartieren auf inzwischen global internalisierten, aber historischen Konventionen beruht, denn nicht nur wurden in China und Japan im 3. Jahrhundert, als Ptolemäus im Westen fast schon wieder vergessen war, die Gitternetze als Orientierungssystem erörtert, sondern es wurden auch dreidimensionale Karten angefertigt. Darüber hinaus verblüfft, dass hier Karten, die bis ins 19. Jahrhundert nicht maßstabsgetreu angelegt wurden, dennoch das Gitternetz zeigen.
Welche Probleme hingegen das rigide Gittenetz der staatlich angestellten Landvermesser mit sich brachte, die - wie im 18. Jahrhundert in Nordamerika - nicht auf die natürlichen Besonderheiten, wie Flüsse, Berge und Wälder zu achten versuchten, zeigt das letzte Kapitel. Hier schildert Casey die Entwicklung vom raumnegierenden, notwendigerweise verzerrenden Gitter hin zur Kartierung der heute für das amerikanische Selbstverständnis so wichtigen Orte wie dem Yosemite Valley, das vor allem in seiner Tiefenwirkung abgebildet wird. Insgesamt sind die gewählten Beispiele insbesondere dazu geeignet, den Blick auf Karten zu weiten und zu erneuern - Trennlinien aufzuweichen, um den spezifischen Qualitäten der "Ortsrepräsentationen" gerecht zu werden, die allesamt - darauf kommt es Casey an - dazu dienen, die natürliche Welt in ihrer Vorstellung zusammenzuhalten.
Dies erörtert er am Schluss des Buches - mit Kant und Descartes - nochmals ausführlich. Das ansonsten fast ausgeblendete 17. Jahrhundert kommt spät zu seinem Recht, wenn Casey darauf abhebt, dass erst hier in Theorie und Praxis die Welt bewusst als Bild verstanden wurde.
Aufs Ganze gesehen bieten sowohl der theoretische Ansatz der Studie als auch das vorgestellte Material einen sehr vielversprechenden Ausgangspunkt, um der Diskussion über Landschaft eine neue Wendung zu geben und sie von den ausgetretenen Pfaden von Realismus und autonomer Kunst wegzuführen. In Kombination mit den Ergebnissen französischer und deutscher Forschung, die von Casey leider kaum berücksichtigt wurden, setzt sich derzeit ein neue Konzeptualisierung von Landschaft durch, die das ihr inhärente 'Weltbild' stärker akzentuiert. Angesichts dessen ist es müßig, nochmals die Kontextualisierung der Beobachtungen einzufordern, denn dies wird die Aufgabe von größeren Fallstudien sein, die sich dann auch mit der Frage auseinandersetzen sollten, welche zusätzlichen Informationen in Karten und Bildern transportiert werden, die sich nicht auf die Orte allein beziehen.
Edward S. Casey: Representing Place. Landscape Painting & Maps, USA: University of Minnesota Press 2002, 366 S., 16 farbige Tafeln, zahlr. Abb., ISBN 978-0-8166-3714-0, USD 82,05
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