Differenziert fiel das Urteil Friedrich Gedickes 1789 aus, als er im Auftrag des preußischen Königs die Lage an den außerpreußischen deutschen Universitäten erkundete. Differenzierter jedenfalls als das einer Reihe von Zeitgenossen und der älteren Historiographie, die bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts einseitig die Rückständigkeit der katholischen Universitäten im Alten Reich betonte und Aufklärung zur rein protestantischen Angelegenheit erklärte. Zwar hielt es auch Gedicke für ausgemacht, dass die katholischen weit hinter den protestantischen Universitäten stünden. Gleichwohl registrierte er, dass die katholische Seite ihre Rückständigkeit erkannt hatte und mit Ernst an Reformen arbeitete. Gedicke hatte vor allem das Beispiel der im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts gründlich reformierten Mainzer Universität vor Augen. Hinzufügen könnte man dem etwa die 1786 erfolgte kurkölnische Neugründung in Bonn oder die bereits früh unter dem Einfluss des Hallenser Modells reformierte Universität in Würzburg.
Obgleich gerade im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts noch Forschungsdesiderate auszumachen sind und nicht alle katholischen Universitäten im Reich gleichermaßen untersucht sind, konnte seit den 1950er Jahren das protestantische Vorurteil der Rückständigkeit der katholischen Universitäten am Ende des 18. Jahrhunderts entscheidend relativiert werden.[1]
Mit Jörg Schweigards bei Axel Kuhn in Stuttgart entstandener Dissertation liegt nun eine Studie vor, die eines der verbliebenen Desiderate berührt. Sie verbindet universitätsgeschichtliche Fragestellungen mit einem Ansatz aus der politischen Ideengeschichte und macht es sich zur Aufgabe, die Auswirkungen von Aufklärung und Französischer Revolution auf das geistige Klima katholischer deutscher Hochschulen zu untersuchen.
Mit Mainz, Heidelberg und Würzburg stellt Schweigard zwar nur drei Universitäten in den Mittelpunkt, verfolgt aber gleichwohl das Ziel, zu repräsentativen Aussagen über die Gesamtsituation an den katholischen Universitäten in Deutschland zu kommen. Im Fokus hat er nicht das Alte Reich, vielmehr geht Schweigard von 14 katholischen Universitäten aus, die zur Zeit der Französischen Revolution im Staatsgebiet der heutigen Bundesrepublik existierten (17-18). Erwachsen schon aus diesem Anachronismus Probleme, so ist auch die Methode wenig geeignet, das Postulat der Repräsentativität zu erfüllen.
Zwar betont Schweigard, seiner Auswahl einen Kriterienkatalog zugrunde gelegt zu haben, der neben der jeweils vorherrschenden "geistigen Haltung", auch das "städtische Umfeld", die "Entfernung zu Frankreich" und zum Kriegsgeschehen seit 1792 umfasst (18), allerdings beschreibt er in drei Großkapiteln, die einer Einführung folgen, jeweils nur die Situation an den einzelnen Universitäten. Im abschließenden Vergleich fehlt die Einbindung an den größeren universitätsgeschichtlichen Kontext.
Sieht man von dem nicht erfüllten Repräsentativitätsanspruch ab, der angesichts der Zersplitterung des Reiches auch nur schwer zu leisten ist, so wäre die Beschreibung der Politisierung von Professoren und Studenten im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Mainz, Heidelberg und Würzburg an sich schon interessant genug. Nicht immer frei von Problemen ist jedoch die Durchführung. Dies beginnt bei den Begriffen. Zurecht stellt Schweigard die Fragen: Was ist Aufklärung? Was ist Politisierung? Im Bewusstsein, keine erschöpfende Definition dafür finden zu können, fasst er Aufklärung lediglich als Synonym für "neue, 'progressive' geistige Strömungen". Ein Aufklärer sei dem Fortschritt verpflichtet und habe sich gegen Vertreter des Alten im theologischen wie weltanschaulichen Bereich abgegrenzt (21). Mit Jörn Garber könnte man sagen, hier erscheint Aufklärung als "diffuser Richtungsbegriff".
Etwas klarer, aber von geringem heuristischen Wert ist sein Politisierungsbegriff. Schweigard versteht darunter einerseits "jegliche belegbaren politischen Positionen" von Professoren und Studenten. Andererseits geht er von unterschiedlichen Graden der Politisierung aus: Erstens von einer politisierten, aktiv Partei ergreifenden und gegenüber dem Ancien Régime oppositionellen Haltung. Zweitens von einer reformerischen Grundhaltung, die gesellschaftliche Verbesserungen innerhalb des Systems anstrebte. Darüber hinaus kennt er den "unpolitischen" Aufklärer, der Aufklärung lediglich als wissenschaftlichen Fortschritt betrachtet habe sowie eine "orthodoxe" Seite beharrender Kräfte, die beide offenbar als politisiert zu gelten haben (22-23). Problematisch ist ein solcher Politisierungsbegriff vor allem deshalb, weil er es nicht erlaubt, die dynamischen Elemente des zunächst neutral zu denkenden Prozesses der Politisierung darstellbar zu machen. Die Analyse verharrt einerseits auf der Feststellung, dass viele Aufklärer bereits vor der Französischen Revolution politisiert waren, wobei aufgeklärte Gesellschaften, der Geheimbund der Illuminaten und Lesegesellschaften eine wichtige Rolle spielten. Andererseits wird vor allem anhand von Stammbüchern gezeigt, dass Studenten den Ideen der Französischen Revolution gegenüber insgesamt aufgeschlossener waren als Professoren.
Die Rolle des Naturrechts, und speziell des jüngeren Naturrechts, wird vor allem anhand der Kantrezeption erwähnt, eine adäquate Thematisierung der spezifischen Konfigurationen der kontraktualistischen Denktradition, die sich im Kontext der Französischen Revolution ergaben, unterbleibt jedoch.[2] So wird das Püttersche System der Interpretation der Reichsverfassung, das drei Studentengenerationen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und viele der von Schweigard untersuchten Professoren prägte, lediglich als "rationalistische Staatsauffassung" (246) etikettiert, in seinen Grundzügen jedoch nicht erfasst. Dies führt manchmal zu problematischen Einschätzungen: etwa wenn der Heidelberger Professor Georg Friedrich Zentner sich 1792 gegen seine Denunziation als Revolutionär damit verteidigt, dass er keine anderen Grundsätze lehre als die in der Staatsverfassung und den Reichsgesetzen gegründeten. Schweigard hält dies für eine Verteidigungsstrategie. Zentner habe seine "Position als bereits zum Allgemeingut gehörig" (248) ausweisen wollen, um sich inhaltlich schwer angreifbar zu machen. Tatsächlich war seine Position, nach der die Rechte von Untertanen und Regenten als gleich heilig galten, Allgemeingut. Sie wurde nicht nur den katholischen, sondern auch den evangelischen Juristen im Rahmen der reichstaatsrechtlichen Ausbildung vermittelt, für die das Püttersche System prägend war. Die Institutionen, die diese Rechte sicherten, waren bekanntlich die Reichsgerichte, der Reichshofrat in Wien und das von Kaiser, Kurfürsten und Reichskreisen gemeinschaftlich konstituierte Reichskammergericht in Wetzlar.
Während mit der fehlenden Berücksichtigung der Ebene des Reiches in der ideengeschichtlichen Analyse ein weiteres Problem angesprochen ist, gelangt Schweigard zu interessanten Ergebnissen hinsichtlich der Verbindungen von Studenten an den Universitäten Heidelberg und Würzburg, die bis nach Jena und Marburg und im Falle Würzburgs sogar nach Gießen, Marburg, Tübingen und zu den "Wetzlarer Freunden" in die Reichskammergerichtsstadt reichten (vor allem 439-446). Diese oppositionellen Verbindungen wertet Schweigard als entscheidend für die Politisierung der Studenten, den Einfluss der Professoren veranschlagt er mit Ausnahme von Mainz als gering. Ob die Mainzer Republik, die damit ein weiteres Mal thematisiert ist, trotz ihres Scheiterns ein nachhaltiges Symbol für die politischen Ideale der Studenten blieb, mag dahingestellt bleiben (504). Wichtiger scheint der Aspekt der politischen Sozialisierung in den aufgeklärten Gesellschaften zu sein. Leider bleiben die Folgen des dort eingeübten Denkens und damit die langfristigen Wirkungen der Politisierung, die in der Rheinbundzeit und während der Zeit des deutschen Bundes spürbar wurden, außerhalb der Betrachtung.
Man hätte sich eine differenziertere Analyse sowie eine Interpretation der Ergebnisse im größeren Kontext von Fragestellungen gewünscht, die dem Charakter der Umbruchszeit zwischen der Französischen Revolution und dem 19. Jahrhundert auf den Grund gegangen wäre. Gleichwohl bereichert Schweigards Dissertation die Erforschung der Zeit um 1800 insgesamt vor allem deshalb, weil sie eine Fülle von Quellen aus unterschiedlichen Archiven versammelt und mit Quellenzitaten nicht spart.
Anmerkungen:
[1] Notker Hammerstein: Aufklärung und katholisches Reich. Untersuchungen zur Universitätsreform und Politik katholischer Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Berlin 1977. Derselbe (Hg.): Universitäten und Aufklärung, Göttingen 1995. Harm Klueting (Hg.): Katholische Aufklärung - Aufklärung im Katholischen Deutschland, Hamburg 1993. Winfried Müller: Die Aufklärung, München 2002.
[2] Hier scheint die Forschung unzureichend erfasst. Folgende zentrale Arbeiten sind überhaupt nicht berücksichtigt: Hans Maier: Die Lehre der Politik an den deutschen Universitäten vornehmlich vom 16.-18. Jahrhundert, in: D. Oberndörfer (Hg.): Wissenschaftliche Politik, Freiburg 1962, S. 59-116. Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600-1800, München 1988. Otto Dann / Diethelm Klippel (Hg.): Naturrecht - Spätaufklärung - Revolution, Hamburg 1995.
Jörg Schweigard: Aufklärung und Revolutionsbegeisterung. Die katholischen Universitäten in Mainz, Heidelberg und Würzburg im Zeitalter der Französischen Revolution (1789-1792/93-1803) (= Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle 'Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850'; Vol. 29), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2000, 559 S., ISBN 978-3-631-37645-4, EUR 75,70
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