Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der nunmehr bestehenden Möglichkeit, sich frei zu äußern, hatte Robert Traba den Mut, mit der in Allenstein herausgegebenen Zeitschrift Borussia den Bereich deutsch-polnischer Wechselseitigkeit in Polen offensiv, ungeschnörkelt und bewusst weit ab von Konventionen anzugehen, mit allen daraus in Deutschland und Polen erwachsenden Konsequenzen. Dass er das bis heute durchsteht, belegt das vorliegende Heft, in dem in gewisser Weise eine kritische Bestandsaufnahme dessen vorgenommen wird, was wir deutsch-polnischen Dialog und Streitgespräch über die Vergangenheit nennen. Das Heft bietet somit nicht nur einen Aufriss von Problemlagen, sondern hier werden Befindlichkeiten formuliert.
Der Band will sich damit auseinandersetzen, was Historiker in den vergangenen zwölf Jahren als professionellen wissenschaftlichen Ertrag erbracht haben, und der Herausgeber beantwortet die im Titel gestellte Frage im Vorwort gleich selbst, wenn er als Hauptthese feststellt, dass es sich schon nicht mehr nur um einen Dialog, sondern zunehmend um eine Diskussion zwischen zwei Seiten handelt, deren Vertreter sich durch Kompetenz und Professionalität auszeichnen und sich nicht durch nationale Zugehörigkeit definieren.
Das Heft ist in drei Teile gegliedert. Der erste enthält Beiträge zu Veränderungen in der deutschen und der polnischen Geschichtsschreibung, wobei hier die Autoren fast durchgängig über den vorgegebenen Zeitraum der letzten zwölf Jahre hinausgehen. Der zweite Abschnitt wendet sich der Regionalgeschichte zu, und der dritte Teil enthält eine Umfrage, an der sich 15 deutsche und polnische Historiker beteiligt haben und ihre Einschätzungen zum Stand der Geschichtsschreibung zu den deutsch-polnischen Beziehungen einerseits und der wissenschaftlichen Zusammenarbeit andererseits abgeben.
Die Beiträge sind in Länge und Gehalt sehr unterschiedlich geraten. Zum Auftakt liefert Włodzimierz Borodziej einen historiographischen Überblick, der den Weg von der Überwindung nationaler Monologe und stetiger Reproduzierung von Feindbildern hin zu einer zunehmend kooperativen Erforschung des Zusammenlebens von Deutschen und Polen in einem gemeinsamen Geschichtsraum nachzeichnet . Darüber hinaus geht es um die offensive Inangriffnahme von Themen, die von polnischer Seite bisher ausgeblendet wurden, um sie nicht denen zu überlassen, die von Feindbildern leben. Borodziej weist schließlich in aller gewünschten Deutlichkeit auf die Grenzen generativer Verständigung über noch erlebte Geschichte hin und sieht die Hauptaufgabe eben nicht mehr in der Versöhnung, sondern darin, zur historischen Wahrheit in ihrer Komplexität und Vielfarbigkeit zu gelangen.
Nach der Lektüre des ersten Beitrags wird der Leser schnell Gefallen am dritten Abschnitt finden. Hier wird vielfach Tacheles geredet, und eher unterschwellig wahrgenommene Problemlagen werden offen dargelegt, wenn etwa Józef Borzyszkowski die Schwäche wissenschaftlicher Kritik auf beiden Seiten beklagt oder Roman Czaja für die mittelalterliche Geschichte im deutsch-polnischen Dialog keine wesentlichen qualitativen Veränderungen und vor allem keine Entwicklung neuer Fragestellungen sieht. Überhaupt sind die polnischen Meinungsäußerungen kritischer angelegt als die deutschen. Alle Beiträge zusammen jedoch sind ein Fundus an durchdachten Themenvorschlägen und methodischen Hinweisen und lesen sich wie ein Strategiepapier. Schade, dass sich kein Beitrag aus Sicht eines Vertreters der Geschichtswissenschaft in der ehemaligen DDR findet. Eine augenscheinliche Aufgeregtheit über den Rückgang des gegenseitigen Interesses dämpfen schließlich Michael G. Müller, wenn dieser darin eine Art positiver Normalisierung sieht, und Klaus Zernack, der feststellt, dass die Geschichte Polens und die der deutsch-polnischen Beziehungen sich hin zu mehr europäischer Normalität öffnen.
Unterm Strich macht der Band, und dadurch stellt er ganz sicher einen Markstein dar, die großen Aufgabenstellungen deutlich, die vor deutschen und polnischen Historikern liegen, und zeigt auf, wie schwierig es ist, den von Borodziej formulierten Postulaten zu entsprechen. Es wird aber auch klar, und das spiegelt sich nicht nur im Beitrag von Jörg Hackmann und der Replik von Janusz Jasiński [1] wieder, wie empfindlich der Gegenstand der Betrachtung ist und wie groß nach wie vor die Gefahr des Missverständnisses. Borzyszkowski sieht im deutsch-polnischen Dialog noch zu viele Emotionen, zu viel Naivität, und Rex Rexheuser greift väterlich in die Debatte ein, wenn er darauf hinweist, dass der Weg der Betrachtung der deutsch-polnischen Beziehungen jenseits nationaler Denkmuster richtig ist und schon ein gutes Stück gegangen wurde, aber gleichsam nichts garantiere, da die Einflüsse des Nationalen auf unser Urteil nie mit voller Sicherheit identifiziert werden können.
Hier wurde eine gute Idee interessant umgesetzt. Die Lektüre ist sehr zu empfehlen, der gesamte Band ist markant. Um so bedauerlicher ist es, dass man von einer recht eingeschränkten Rezeption des Heftes sowohl in Deutschland als auch in Polen ausgehen muss.
Anmerkung:
[1] Vgl. Janusz Jasiński: Kilka uwag o artykule Jörga Hackmanna "Potrzeby zmiany" [Einige Bemerkungen zum Artikel "Notwendigkeiten zur Veränderung" von Jörg Hackmann], in: Komunikaty Mazursko-Warmińskie 2001, H. 2, S. 277-281.
Robert Traba (ed.): Tylko dialog? Polsko-niemieckie rozmowy o wspólnej historii. Dialog oder mehr? Deutsch-polnische Gespräche über die gemeinsame Geschichte (= Borussia. Kultura, Historia, Literatura; 27), Olsztyn: Wspólnota Kulturowa "Borussia" 2002, 131 S., ISSN 0867-6402
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