In den Jahren 1609/10 malte Peter Paul Rubens die "Anbetung der Könige" (Madrid, Prado). Für den Ständesaal im Antwerpener Rathaus bestimmt, war dies der erste große öffentliche Auftrag, den der 1608 aus Italien zurückgekehrte Künstler in seiner Heimatstadt erhielt. Später kam das Gemälde nach Spanien, wo es Rubens 1628 in Madrid wiedergesehen, erheblich erweitert und überarbeitet hat. Zu diesem prachtvollen, ambitionierten Werk, um dessen Erforschung sich vor allem Evers, Baudouin, Held und Vergara verdient gemacht haben, hat nun Hans Ost eine Monographie vorgelegt. In einem ansprechenden, reich bebilderten Band von 130 Seiten behandelt der Autor in zehn Kapiteln das Bild und seine denkwürdige Geschichte. Ost hat gewissermaßen eine "große Werkmonographie" verfasst, in der die vorwiegend ikonographische Deutung des Gegenstandes ergänzt wird durch umfangreiche historische und biographische Informationen. Der thematische Leitfaden dieser ausgreifenden Darstellung, die manches weitere Material behandelt, ist Rubens' diplomatische Tätigkeit, die auf einen dauerhaften Frieden zwischen den geteilten Niederlanden und - dafür unerlässlich - eine Verständigung zwischen den Großmächten Spanien und England zielte.
Detailliert behandelt der Autor die Entstehungsgeschichte der "Anbetung", die offenbar noch 1608, unmittelbar nach Rubens' Rückkehr aus Italien, vom Magistrat in Hinblick auf die geplanten Waffenstillstandsverhandlungen bestellt wurde. Diese fanden im Januar und Februar 1609 in Antwerpen statt und wurden von den Repräsentanten Spaniens und der geteilten Niederlande erfolgreich abgeschlossen. Rubens' ursprünglich 256 x 381 cm messendes Bild wird zum Zeitpunkt der Verhandlungen noch nicht vollendet gewesen sein, doch zweifellos wurde es in Hinsicht auf dieses Ereignis bestellt, das Antwerpen mit dem 12-jährigen Waffenstillstand eine Phase der Konsolidierung und Prosperität bescherte. Nach seiner Fertigstellung wurde es in der "Statenkamer", dem größten Saal im Rathaus, aufgehängt. Dort hing auch Abraham Janssens allegorisches Gemälde "Die Schelde und Antwerpen" (Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten), welches den Flussgott Scaldis zeigt, von dem die Antverpia die Früchte des Handels entgegennimmt. So bekundete es die Hoffnung, dass im Zuge des mit den Generalstaaten geschlossenen Waffenstillstandes die Mündung der Schelde, der Lebensader des Antwerpener Handels, wieder geöffnet würde. Als Darstellung weltlicher Mächte, die Christus, dem Friedensfürsten, aus fernen Ländern kostbare Gaben darbringen, bekundete auch Rubens' Gemälde die politisch-ökonomischen Hoffnungen der Handelsmetropole. Held hat 1980 darauf hingewiesen, dass bereits vor dem Rathausbrand im Jahre 1571 eine "Anbetung der Könige" in der Rentmeesterskammer hing, also in dem Raum der städtischen Finanzverwaltung. Er nahm an, dass die Antwerpener Kaufleute sogar für den Auftrag des Rubens-Bildes verantwortlich waren, denn als dieses 1612 wieder abgenommen und dem spanischen Botschafter Rodrigo Calderón zum Geschenk gemacht wurde, widersprach allein der Vorsteher der Kaufmannsgilde. Dessen Einwand aber wurde mit dem Argument entkräftet, dass man mit diesem diplomatischen Geschenk das Stapelrecht für Gewürze und andere aus Spanien kommende Güter erwarten könne.
Tatsächlich versprach der mit Rubens' Bild reich beschenkte Calderón, sich stets beim König für die Belange der Stadt einzusetzen. Zurück in Spanien aber fiel er als Günstling des Herzogs von Lerma 1618 in Ungnade und wurde 1621 enthauptet. Die "Anbetung der Könige" wurde daraufhin von Philipp IV. erworben. Rubens hat das Bild, dessen ursprüngliche Komposition eine Ölskizze (Groningen, Museum) und eine Schülerkopie bezeugen (Polesden Lacey, Sammlung Norris), bei seinem zweiten Spanienaufenthalt 1628/29 in Madrid wiedergesehen und auf das kolossale Format von 346 x 488 cm erweitert. Dabei verewigte er sich auf der rechten Seite in einem Selbstporträt zu Pferde, das ihn mit allen Zeichen seines Standes in seiner Funktion als Diplomat und Friedensstifter zeigt.
Sämtliche Passagen des vorliegenden Buches bezeugen die profunde Kennerschaft des Kölner Emeritus. Besonders anregend ist das Kapitel "Gemalte Kunsttheorie". Rubens hat in seinem Gemälde an Werke von Michelangelo, Correggio, Tintoretto, Veronese und Caravaggio angeknüpft und zudem mit dem Motiv eines Knaben, der ein Feuer in einem Metallgefäß anbläst, eine antike Ekphrasis zitiert. Plinius d.Ä. hatte über den Maler Antiphilos von Alexandrien geschrieben: "Antiphilos wird gelobt wegen eines Knaben, der Feuer anbläst, [...] und ebenso wegen einer Spinnstube, in der alle Frauen emsig mit ihrer Tagesarbeit beschäftigt sind". Rubens muss diese, auch von van Mander zitierte Textstelle gekannt haben, zumal schon Jacopo und Francesco Bassano in ihrer "Vision Joachims" (England, Privatbesitz) im Vordergrund die beiden bei Plinius erwähnten Motive dargestellt hatten. In Rubens' Gemälde erscheint am linken oberen Bildrand ein antikes Netzmauerwerk, ein "opus reticulatum", und daneben ein Okulus, in dem ein Spinnennetz gespannt ist. In geistvoller Anknüpfung an Plinius' Lob der von Antiphilos gemalten Spinnstube spielte der Künstler damit auf den Mythos der Arachne an und verwies zugleich auf sein 'ingenium', auf seine göttliche Begabung. Denn in einem seiner "Epistulae morales" hatte Seneca über die unnachahmliche Kunstfertigkeit der Spinne geschrieben: "Solche Kunst ist angeboren, nicht gelernt. Daher ist kein Tier geschickter als das andere; du wirst bemerken, dass alle Spinnweben gleich sind." Im Sinne dieses "nascitur ars ista, non discitur" hat Rubens neben das einfache Netzmauerwerk das kunstvolle Spinnennetz gesetzt und mit diesem Motiv betont, dass sein mit den berühmten Werken der Antike wetteiferndes Gemälde Ertrag seines überragenden Talentes sei.
Ebenso überzeugend gelingt Ost der Nachweis, dass das Motiv der Kolossalsäule auf einem hohen Postament, das Rubens 1628/29 nachträglich über der heiligen Familie eingefügt hat, nicht nur als bloße Pathosformel oder als Symbol des Alten Bundes zu verstehen ist, sondern sich auf die einzige unversehrt erhaltene Säule der seinerzeit als Friedenstempel angesehenen Maxentius-Basilika bezieht. Diese wurde 1613 vor der Santa Maria Maggiore aufgestellt und mit einer Madonnenstatue von dem mit Rubens befreundeten Bildhauer Guglielmo Bertelot bekrönt. Beim Guss dieser Statue war das Metall einiger Kanonen der Engelsburg verwendet worden, und die Inschrift auf dem Säulenstuhl besagt, dass sie die Mutter Christi, des Fürsten des wahren Friedens, repräsentiere. Überzeugend folgert Ost, dass Rubens, als er 1628/29 als Unterhändler der spanisch-englischen Friedensverhandlungen in Madrid weilte, die Säule des 'templum pacis' einfügte, um den irenischen Gehalt seines Gemäldes zu unterstreichen. Ob die somit als Marien- und Friedenssymbol fungierende Säule zudem auch noch die Tugend der 'constantia' repräsentiert und auf das Selbstbildnis des Künstlers zu beziehen ist, auf den nach Ost auch das neben ihr auf Wolkenbändern aufscheinende Abendrot verweise, das rebusartig seinen Namen (rubens, Adv. = rot, rot leuchtend) vergegenwärtige, mag hier dahingestellt bleiben.
Auch zu den weiteren behandelten Kunstwerken vermag Ost manche weiterführende Hinweise zu geben. Einiges davon bleibt freilich Spekulation. Kühn wirkt die Annahme, der erhaltene originale Rahmen von Theodor van Thuldens um 1640 entstandener "Allegorie der Stadt Antwerpen und ihres zukünftigen Wohlstandes" (La Valetta/Malta, National Museum of Fine Arts), die ebenfalls im Ständesaal hing, sei identisch mit dem kostbaren Rahmen, der einst Rubens' Werk schmückte. Ost nimmt an, Calderón habe diesen des leichteren Transports wegen 1612 in Antwerpen zurückgelassen. Doch immerhin charterte der spanische Botschafter ein großes Frachtschiff, um Möbel und Kunstwerke nach Spanien mitnehmen zu können. Trotz der nicht unerheblichen Differenz der Formate der Erstfassung des Rubensschen Werks und von van Thuldens Gemälde hält Ost an der These von ihrem identischen Rahmen fest, ohne aber diesen abzubilden und eingehender zu behandeln.
Wenig überzeugend ist auch die Annahme, dass Rubens in der "Anbetung" nicht nur sich selbst, sondern auch seine Söhne Albert und Nicolaas dargestellt habe. Als diese identifiziert Ost die Figuren zweier Pagen. Eine von ihnen hatte, wie der 'modello' und die Schülerkopie zeigen, ursprünglich die Züge eines älteren bärtigen Mannes. Rubens hat sie überarbeitet und ihr die Physiognomie eines Knaben mit welligem braunem Haar verliehen. Dass dieses Gesicht einige Ähnlichkeit mit Nicolaas Rubens, insbesondere mit dem Porträt der Kreidezeichnung in der Albertina besitzt, ist nicht zu leugnen, obwohl es nicht dessen auffällige Stupsnase aufweist. Nicht nachvollziehen lässt sich hingegen die Identifizierung des Pagen am rechten Bildrand, der ein Pferd mit sich führt, mit Rubens' älterem Sohn Albert. Diese, wie Ost selbst darlegt, formelhafte, wohl unmittelbar durch Tizian angeregte Figur weist mit den verbürgten Bildnissen von Albert, dem Doppelbildnis der Söhne in Vaduz und der sein Antlitz zeigenden Vorzeichnung, beim besten Willen keine nennenswerte Ähnlichkeit auf. Man liest die entsprechende Passage unwillkürlich mehrmals, um sich zu vergewissern, welche Figur denn nun gemeint ist. Aber es geht tatsächlich um jenen Pagen, der so dunkles, schwarzes Haar hat, dass schon ein Blick auf seinen Schopf und seine dichten Augenbrauen den Gedanken zunichte macht, dies sei ein Kind von Rubens und Isabella Brant. Obwohl Ost großen Aufwand betreibt und einiges Vergleichsmaterial heranzieht, um seine Identifizierung der Rubens-Söhne zu stützen, bleibt diese eine kühne These in einem dichten, anregenden Buch, das einen fortgeschrittenen Forschungsstand bündig zusammenfasst und auf scharfsinnige Weise an einigen Punkten erweitert, an anderen freilich auch Fragen offen lässt.
Hans Ost: Malerei und Friedensdiplomatie. Peter Paul Rubens' "Anbetung der Könige" im Museo del Prado zu Madrid, Köln: Venator & Hanstein 2003, 133 S., 47 Abb., ISBN 978-3-9807147-4-7, EUR 15,80
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.