Die Kultur- und Sozialgeschichte der deutschen Höfe in der Frühen Neuzeit hat in den vergangenen Jahren verstärkt die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden, die insbesondere Impulse der Frauen- und Geschlechterforschung aufnahm. So konnte vor allem in Ausstellungsprojekten zur höfischen Kultur [1] ein sehr vielschichtiges Bild von Handlungsräumen und Lebenswirklichkeiten hochadliger Frauen entworfen werden. Die Einbeziehung der materiellen Überlieferung eröffnet dabei auch für Historikerinnen und Historiker neue Perspektiven.
Den zentralen Bezugspunkt des vorliegenden Sammelbandes, der eine interdisziplinäre Tagung im Mai 2001 an der Kunsthochschule Kassel dokumentiert, bildete eine besonders häufig überlieferte Realie: das höfische Porträt. Die Herausgeberinnen Gabriele Baumbach und Cordula Bischoff skizzieren in ihrer Einleitung den Stellenwert dieser Bildgattung für die Erforschung der Hofkultur. Das Porträt stellt ein in vieler Hinsicht besonders bedeutungsvolles Repräsentationsmedium für den Hochadel dar. Die vielfältigen Funktionen und Nutzungszusammenhänge etwa im höfischen Zeremoniell, aber auch die Stellvertreterfunktion und der Memoria-Wert der Darstellungen sind bisher nur unzureichend erforscht worden. Die Beiträge des Bandes nähern sich dem Porträt aus kunsthistorischer, historischer, musikwissenschaftlicher und literaturwissenschaftlicher Perspektive und beziehen dabei auch Personendarstellungen im übertragenen Sinne ein. Die umfangreiche, von Nina Trauth zusammengestellte Auswahlbibliografie lädt dazu ein, das Thema weiter zu vertiefen.
In ihrem einführenden Beitrag entwirft Heide Wunder den historischen Rahmen für die folgenden Darstellungen. In der politischen Geschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts ist die Bedeutung von Frauen - vor allem in kleineren Territorien - erst in jüngerer Zeit wieder entdeckt worden. Heute geht die Forschung von einem umfassenderen Dynastiebegriff aus und untersucht die zentrale Funktion von Frauen in der vertikalen wie in der horizontalen Erweiterung der dynastischen Präsenz in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Dies umfasst auch ihren Anteil an der politischen Stabilisierung der fürstlichen Herrschaft.
Dass in diesem Zusammenhang auch dem Porträt eine wichtige Bedeutung zukommt, wird an vielen Stellen des Tagungsbandes deutlich. So verortet Berthold Hinz das Gemälde "Maria de' Medici vor Jülich" von Peter Paul Rubens im Kontext der geschichtlichen Vorgänge um die Erbfolge in Jülich-Kleve-Berg nach 1609 und des belasteten Verhältnisses der Medici-Prinzessin zu ihrem Ehemann. Die Darstellung der französischen Regentin hoch zu Ross ist dabei ein neues Bildthema, zu dem sich (männliche) Vorbilder in der eigenen Familie finden ließen. Nachdem Maria de' Medici als Königin eine Männerdomäne gleichsam usurpiert hatte, ließ sie sich Jahre nach den dramatischen Ereignissen auch im Bildnis Königen gleich setzen.
Eine besondere Art der "Rollenverteilung" innerhalb des Adels scheint der Gestaltung eines großen Teils der polnisch-litauischen Sargporträts zugrunde zu liegen, die Sophia Kemlein untersucht. Männer sind dabei in traditioneller Kleidung nach osmanisch-tatarischen Vorbildern auf den ersten Blick als Angehörige der sarmatischen Elite zu erkennen. Dagegen werden Frauen seit dem 17. Jahrhundert in französischer Mode dargestellt. Zwar erfüllten sie im System des polnischen Adels mit der Fortsetzung des Geschlechts eine wichtige Aufgabe. Doch weil sie selbst außerhalb eines Systems standen, das keine "Sarmatinnen" kannte, konnten sie stärker als ihre Männer andere Kultureinflüsse aufnehmen und damit zur Anbindung des polnischen Adels an den Westen beitragen.
Die orientalischen Maskeraden im Porträt der Markgräfin Franziska Sibylla Augusta von Baden-Baden (1675-1733) analysiert Nina Trauth im Hinblick auf ihre Funktion und Inszenierung. Es handelt sich dabei weniger um die Wiedergabe bestimmter Feste, sondern um Rollenporträts und damit um die Selbstdarstellung in Maskerade im höfischen Kontext. Die Inszenierung kultureller Andersartigkeit wurde mit der Geschlechterproblematik verschränkt: "Maskerade verkleidet nicht, sondern trägt zur Konstitution von Identität bei" (99).
Eine "Alternative der Selbstdarstellung" ist mit Maria Antonia Walpurgis von Sachsen (1724-1780) verbunden, die die Oper "Talestri" für den Hof komponierte, den Text dazu schrieb, bei der Aufführung die Hauptrolle der Amazonenkönigin übernahm und damit gleichsam ein dreifaches Selbstporträt schuf. Christine Fischer stellt heraus, dass es durchaus ungewöhnlich war, wie sich Maria Antonia als ehrgeizige Politikerin in einer Opernfigur präsentierte. Fischer ordnet den selbstbewussten Entwurf in die biografische Situation der Kurprinzessin ein, die während der Abwesenheit ihres Schwiegervaters an Stelle ihres behinderten Ehemannes Regierungsverantwortung trug. Mit der Oper formulierte sie ein neues aufklärerisches Regierungsleitbild und ihre politischen Ambitionen.
Dem Wechselspiel von Selbstverständnis und bildlicher Repräsentation bei Sophie von Hannover (1630-1716) und ihrer Urenkelin Wilhelmine von Bayreuth (1709-1758) geht Heide Talkenberger nach. Sie wertet die von beiden Frauen verfassten Memoiren als Texte der "Selbstverständigung" aus, die Aufschluss über Selbstbild und Rollenverständnis als Tochter, Ehefrau, Mutter und Landesherrin geben, und setzt diese Erkenntnisse in Beziehung zu je einem Bild. Damit vergleicht sie einen internen, nicht für die Öffentlichkeit gedachten Text mit einem auf öffentliche Repräsentation angelegten Medium.
Helga Meise versteht das Porträt in Anlehnung an Michel Foucault als "Dispositiv" und untersucht drei literarische Texte: Kaspar Stielers Lustspiel "Der Vermeinte Prinz" (1665), die literarischen Porträtsammlungen zweier Salonnières (1640/50) sowie das "Frauenzimmer Lexikon" von Amaranthes (1715). Meise kommt zu dem Schluss, dass das Porträt - auch im übertragenen Sinn - zwischen 1640 und 1715 in besonderer Weise dazu geeignet war, die "Rollen, die das weibliche Geschlecht in der Gesellschaft übernehmen soll, zur Diskussion zu stellen" (177).
Das Phänomen der Frauenporträtgalerien wird an Beispielen aus Preußen und Hessen dargestellt. Michael Wenzel sieht in den Porträtzusammenstellungen der preußischen Königinnen Sophie Charlotte (1668-1705) und Sophie Dorothea (1687-1757) Dokumente des Selbstverständnisses der hocharistokratischen Frau um 1700. Die englische Galerie der Sophie Charlotte belegt unter anderem den internationalen Austausch von Frauenbildnissen und weist sie als Teil eines europäischen Netzwerkes aus. Sophie Dorothea umgab sich dagegen mit Darstellungen ihrer weiblichen Vertrauten und Inhaberinnen von Hofämtern. Ihre Sammeltätigkeit ist als Teil einer oppositionellen Politik gegenüber ihrem Mann zu deuten und korrespondiert zugleich mit der eher preußisch zurückgezogenen Lebensweise des Hofes in ihrer Zeit.
Einen männlichen Auftraggeber hatte die Schönheiten- und Ahnengalerie Johann Heinrich Tischbeins des Älteren in Wilhelmsthal. Wie Gabriele Baumbach herausstellt, schuf sich Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel (1682-1760) mit den Porträts einen imaginären Hofstaat, der symbolisch den weiblichen Hofstaat ersetzte, den es seit dem Tod von Frau und Tochter nicht mehr gab. Baumbach analysiert die Darstellungsmodi und Kompositionsprinzipien der Porträts und belegt, dass an die Stelle des barocken Standesporträts allmählich Bildnisse traten, die hoch gestellte Damen bei standesgemäßem Zeitvertreib zeigten.
Häufig scheinen bildliche Quellen bestimmte Sachverhalte einfach widerzuspiegeln. Demgegenüber zeigt Cordula Bischoff eindrücklich, dass ein spezifischer Typ des Frauenporträts zu einem Zeitpunkt entstand, als die Ausübung der darauf dargestellten Tätigkeit nicht mehr zum konstitutiven Selbstverständnis der Fürstinnen gehörte. Um 1700 bewies eine stickende Fürstin ihre Kompetenz im Bereich der Innenausstattung, denn Stickerei war eine Technik, die zur standesgemäßen Repräsentation in Innenräumen beitrug. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts verlor das Sticken in diesem Sinn real an Bedeutung. In den Darstellungen von Fürstinnen wird es nun aber häufig abgebildet. Denn es ging mit der stärkeren Trennung von Amt und Person auch darum, den Charakter der Fürstin als Privatperson herauszustellen. Hier orientierte man sich am Bild der bürgerlichen Hausfrau und fand Vorbilder in französischen Genredarstellungen und der englischen Porträtkunst. Der neue Bildnistyp der handarbeitenden Fürstin korrespondierte dabei mit dem frühaufklärerischen Habitus der Dargestellten.
Die Beiträge zeigen, dass die materielle Überlieferung der Fürstenhöfe weit mehr ist als ein 'Fundus', mit dem aus schriftlichen Quellen gewonnene Erkenntnisse illustriert werden können - wie dies von Historikerinnen und Historikern mitunter praktiziert wurde. Vielmehr wurde hier mit Porträts (in verschiedenen Formen) ein Quellenbestand eigener Qualität gewürdigt, dessen Auswertung neue Aufschlüsse über den Stellenwert und die Handlungsmöglichkeiten von adligen Frauen und die Funktionsweise der Hofkultur ermöglicht.
Anmerkung:
[1] Onder den Oranje boom. Niederländische Kunst und Kultur im 17. und 18. Jahrhundert an deutschen Fürstenhöfen. Katalogband zur Ausstellung in Krefeld, Oranienbaum und Apeldoorn, München 1999 [http://www.sfn.uni-muenchen.de/rezensionen/inform/2000/rez181.htm]; Sophie Charlotte und ihr Schloss. Ein Musenhof des Barock in Brandenburg-Preußen, München 1999.
Gabriele Baumbach / Cordula Bischoff (Hgg.): Frau und Bildnis 1600 - 1750. Barocke Repräsentationskultur an europäischen Fürstenhöfen (= Kasseler Semesterbücher. Studia Cassellana; Bd. 12), Kassel: kassel university press 2003, 320 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-933146-95-3, EUR 34,00
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