200 Jahre nach den großen Säkularisationen sind zahlreiche Publikationen erschienen, die sich mit den Aufhebungen und ihren Folgen beschäftigten. Bereits in der Vergangenheit entstanden jeweils zu "runden" Jahrestagen über die Säkularisation viele Studien. Mittlerweile hat sich der Stand der Forschung stark verbessert, die Perspektiven sind neu ausgerichtet und die Urteile erheblich differenzierter geworden. Im Folgenden sollen zwei - aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus konzipierte - Publikationen über die Aufhebung der Stifte und Klöster in Bayern vorgestellt werden: Es handelt sich um eine aus lokalhistorischem Kontext heraus entwickelte und an zwei niederbayerischen Stiften orientierte Publikation sowie um einen Sammelband, der aus der Makroperspektive Bayern insgesamt in den Blick nimmt.
Das Redemptoristenkloster Gars, das Franziskanerkloster Au, die Marktgemeinde Gars und das Katholische Kreisbildungswerk Mühldorf haben sich mit der Säkularisation beschäftigt und hierzu einen wissenschaftlich aktuellen, gut bebilderten und übersichtlich angelegten Band herausgegeben, der auch ein breiteres Publikum anzusprechen vermag. Gleichsam aus der Mikroperspektive heraus betrachtet, stehen das ehemalige Augustiner-Chorherrenstift Au und das Stift Gars im Fokus. Doch nimmt der Band auch übergreifende Aspekte in den Blick. So wirft Rudolf Haderstorfer im Beitrag über "Ursachen und Folgen der Säkularisation in Bayern" die Frage auf, warum es in Bayern mit seiner reichen Stifts- und Klosterlandschaft eine radikale Säkularisation hat geben können. Sicher hatte der Reiz der kontemplativen Lebensform in der zunehmend vom Utilitarismus geprägten Gesellschaft des 18. Jahrhunderts nachgelassen, angebliche oder tatsächliche Missstände und Kritik taten ein Übriges.
Aus der Lokalperspektive heraus widmen sich die Beiträge den beiden Stiften Gars und Au vor der Säkularisation. So listet Meinrad Schroll die "Propstreihen" auf, bietet jedoch keine prosopografische Analyse der Daten hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung, Herkunft, Ausbildung und Lebensläufe der Stiftsvorsteher. Zudem geht Schroll auf die "Gebetsverbrüderungen" und die "Bruderschaften" ein. Einem speziellen Aspekt über das Abgabenwesen widmet sich derselbe Autor im Beitrag "Das Archidiakonat Gars und die Sammlung des Kirchkorns". In zwei weiteren - gut bebilderten - Artikeln nimmt sich Konrad Kern der "heiligen Felizitas und ihrer Söhne als Patrone der Klosterkirche von Au" an und weist auf die europaweite Verbreitung dieses Kultes und den ökonomischen Erfolg hin, den Wallfahrtsstätten zeitigten.
Ähnliche Beobachtungen kann Franz Wenhardt über die "Felix-Wallfahrt und Radgundis-Verehrung in Gars" machen. Interessant ist, dass nach der Säkularisation die Wallfahrt zum heiligen Felix praktisch - vor allem durch staatliche Verbote - zum Erliegen kam. Erst nach der Wiederbesiedelung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Revitalisierung der Felix-Verehrung. "Die barocke Klosteranlage in Au und die Nutzung der Gebäude nach der Säkularisation" sowie den "Bau und Ausstattung von Kloster und Kirche in Gars und die spätere Nutzung der ehemaligen Klostergebäude" nehmen die Beiträge von M. Schroll in den Blick. Da die geistlichen Institute häufig als primär mittelalterliche Institutionen angesehen wurden, denen von der Forschung eine immer stärker abnehmende Vitalität in der Frühen Neuzeit bescheinigt wurde, erscheint es wichtig, auf die Baumaßnahmen in dieser Zeit hinzuweisen, in der viele imposante Barockbauten entstanden - nicht unbedingt Zeichen des Niedergangs. Charakteristisch für das Schicksal von Kirchen nach der Säkularisation ist, dass sie später meist als Pfarrkirchen dienten. Typisch ist auch die Nutzung durch die sich im 19. und 20. Jahrhundert wieder ansiedelnden Orden.
Einen bislang in der Forschung vernachlässigten Aspekt beleuchtet Martin Kebinger in seinem Beitrag "Blühende Musiklandschaften in Altbayern im ausgehenden 18. Jh.", versetzte doch die Säkularisation dem vitalen Musikleben in den Prälatenklöstern einen empfindlichen Schlag. Gerade in den ländlichen Regionen fungierten viele Klöster als Zentren der Musikerziehung. Insbesondere war das deutsche Kirchenlied eine Spezialität "augustinischer" Musik. Anschließend nimmt sich M. Schroll "Grundherrschaft und Drittelbau - Güter- und Grundbesitz der Klöster Au und Gars" an und beschreibt, wie die Institute an die Güter gelangt und wie die Ökonomien organisiert waren. Die ersten Jahre nach der Säkularisation bedeuteten für die ehemaligen Klosteruntertanen meist keine Verbesserung ihrer Situation - fungierte nun doch der Staat als Grundherr, der im Gegensatz zu den Klöstern die Abgaben viel rigoroser einzog.
Die weiteren Aufsätze sind den Aufhebungen der beiden Stifte gewidmet. So betrachtet Josef Schuster die Aufhebung von "Au und dessen letzten Propst Florian Eichschmid" und Wolfgang Kindermann geht dem gut organisierten Ablauf der "Säkularisation des Stiftes Gars" nach. Einem interessanten Aspekt widmet sich Reinold Härtel im Beitrag "Zwischen Karriere, Krankheit und Krise - das Schicksal der Garser und Auer Chorherren nach 1803" und kann belegen, dass die meisten der Chorherren nach der Säkularisation im Pfarr- oder Schuldienst unterkamen. Informativ sind auch die präsentierten Biogramme der Stiftsherren. Franz Wenhardt widmet sich den "Büchern aus ehemals säkularisierten Klöstern in der Garser Redemptoristen-Bibliothek", in dem er an die Rettung zahlreicher Buchbestände in Klöstern erinnert, die im Laufe des 19. Jahrhunderts neu gegründet wurden. Damit weist dieser Beitrag zugleich auf den Aufsatz von Otto Weiss "Vom Augustinerchorherrenstift zum Redemptoristenkloster" hin, in dem auf die enorme Revitalisierung des klösterlichen Lebens im 19. und 20. Jahrhundert aufmerksam gemacht wird.
Anschließend gibt Silvia Freimann Einblicke in die "Konzeption der Ausstellung ZeitFlussLäufe" und führt im Katalog alle Ausstellungsstücke auf. Zuletzt informieren Clemens Prokop und Pater Anton Dimpelmaier in einem theologisch ausgerichteten Beitrag kurz über "Die säkulare Kunst als großes Glück für die Religion". Abgerundet wird der viele Einblicke bietende und sorgfältig redigierte Band durch eine Reihe gut reproduzierter Farbtafeln mit Fotos und Abbildungen. Das Werk zeigt nachdrücklich, dass nunmehr zunehmend auch auf lokalgeschichtlicher Ebene die Säkularisation, ihre Vorgeschichte und ihre Folgen, viel differenzierter betrachtet und neuere allgemeine Forschungsergebnisse stärker rezipiert werden als dies bislang oft der Fall war.
Der von Alois Schmid herausgegebene Sammelband über die "Säkularisation in Bayern. Kulturbruch oder Modernisierung?" ist aus einem Symposium erwachsen, das 2003 von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Katholischen Akademie in Bayern über die Säkularisation in Bayern durchgeführt wurde. 12 sehr instruktive und durch neue Forschungsansätze charakterisierte Beiträge informieren über Säkularisationen im Allgemeinen, über den Ablauf der Aufhebungen in Bayern wie auch über Einzelbeispiele.
In der Einleitung wirft Schmid zwei Fragen auf, die als Leitaspekte viele Beiträge des Bandes durchdringen. Zum einen: Warum wurde gerade im so katholisch geprägten Bayern - sieht man einmal vom Württemberg ab - die Säkularisation mit besonderer Rigorosität durchgeführt? Zum anderen: War die Säkularisation der notwendige Befreiungsschlag, der die Entwicklung der modernen Gesellschaft erst ermöglichte? Oder führte dieser Akt zur unwiederbringlichen Zerstörung von Kulturwerten, der als Teil des langfristigen Säkularisierungsprozesses zum Niedergang der christlich geprägten Gesellschaft beitrug? Schmid plädiert zu Recht dafür, dass ein Perspektivwechsel nötig sei, der den Blick stärker auf das 18. Jahrhundert - und damit nicht mehr allein aus der Perspektive ihrer Auflösung heraus - lenkt. Somit wird der Blick frei für die erheblichen geistlichen, kulturellen, ökonomischen und personellen Potenziale, über die die Stifte und Klöster auch vor der Säkularisation noch verfügten. [1]
Im ersten Beitrag gibt Hans Maier einen analytischen Überblick über die "Säkularisation. Schicksale eines Rechtsbegriffes im neuzeitlichen Europa". Er deutet vor allem die Entwicklung des Begriffes "Säkularisation" - vom personenrechtlichen Kern, dem Übergang vom Ordens- zum Weltpriester (er wurde säkularisiert, nicht laisiert!) zum vermögensrechtlichen - modernen - Sinn. Säkularisation war also ursprünglich ein innerkirchlicher Akt. Erst die Aufklärung verschob Begriff und Inhalt immer mehr zum Pol des Staates hin. Zu den bislang wenig beachteten Auswirkungen der Säkularisation in Deutschland gehört das bis in die Gegenwart reichende komplexe System von Trennung und Verbindung von Kirche und Staat. Doch säkularisierte sich auch der Staat selbst, der nur noch dem Wohl und nicht mehr dem Heil der Menschen dienen wollte. Für die Kirche bedeutete dies letztlich nur Positives: Sie emanzipierte sich vom Staat und verlangte das Recht der Selbstregierung zurück, gewann durch die Rückbesinnung auf die kirchlichen und theologischen Wurzeln ihrer Existenz eine neue Kraft zur Revitalisierung und missionarischen Sendung.
Die bayerischen Verhältnisse in den Blick nehmend skizziert Manfred Weitlauff die "Säkularisation in Bayern" mit den diversen Planungen, Vorbereitungen sowie dem Verlauf der Aufhebungen. Deutlich wird, dass die Enteignungen - wie bereits von Frankreich im Linksrheinischen praktiziert - vor allem der Sanierung der Staatsfinanzen und der Finanzierung militärischer Aufgaben dienen sollten. Auch im Hinblick auf die geordnete Durchführung der Klosteraufhebungen ähneln die Verhältnisse in Bayern sehr stark den rheinischen. Die Frage, ob sich die Vermögenssäkularisation für den Staat lohnte, ist wohl zu verneinen. Durch die Herrschaftssäkularisation erwuchs dem Staat allerdings eine Reihe von bedeutenden Territorialzuwächsen.
Im Anschluss geht Alois Schmid der "Säkularisationspolitik des Kurfürstentums Bayern" nach und fordert bei der Betrachtung der Ereignisse von 1803 die Beachtung der in der Frühen Neuzeit erfolgten Säkularisationen, nicht zuletzt, weil in dieser Zeit auch in den katholischen Territorien die Kirchenhoheit zu einem wichtigen Element der Landesherrschaft wurde. In einem spezielleren Beitrag "Zwischen Finanznot, Ideologie und neuer Staatsordnung" widmet sich Reinhard Stauber den "politischen Entscheidungen der Administration Montgelas auf dem Weg zur Säkularisation" und beschreibt das so genannte 15-Millionen-Gulden-Projekt von 1798/99, mit dem die Staatsfinanzen saniert werden sollten. Doch scheiterte dieses Unternehmen bereits am Widerstand der ständischen Klöster.
Im Beitrag "Montgelas und die Säkularisation der bayerischen Klöster" geht Eberhard Weis auf einen Protagonisten der bayerischen Säkularisationspolitik ein. Seine Motive waren die Abwendung des Staatsbankrotts und die Aufhebung von Klöstern als unnütz erscheinende Elemente. Nachdrücklich räumt Weis mit alten Legenden auf, den zufolge Protestanten, Juden und Ausländer die Aufkäufer des säkularisierten Kirchengutes - und somit mithin zu den Profiteuren - gezählt haben sollen. Die überwiegende Masse der Erwerber bestand - wie auch im Rheinland - aus Katholiken, sogar Geistliche steigerten mit; der Papst hatte ja letztlich im Konkordat von 1801 den Verkauf von Kirchengut als rechtens anerkannt. Einen konkreten Einzelfall, nämlich "Die Säkularisation der Benediktinerabtei Metten", beschreibt Michael Kaufmann und resümiert, dass - wie bei sehr vielen anderen Klöstern auch - in Metten keine Notwendigkeit bestand, das Kloster aus wirtschaftlichen oder disziplinären Gründen zu liquidieren.
Karl Hausberger betrachtet in seinem Beitrag "Von der Reichskirche zur 'Papstkirche'?" die kirchlich-religiösen Folgen der Säkularisation, die erst einige Generationen später deutlich hervortraten, sowie einen fundamentalen Aspekt, der bislang kaum Beachtung fand: Es handelt sich um den rasanten Aufstieg und die nachhaltige Stärkung des Papsttums im Vergleich zu den Ortskirchen. Die Säkularisation traf - es klang bereits im Aufsatz von M. Weitlauff an - vor allem den adelsständisch verankerten Episkopat und lief langfristig auf eine Stärkung Roms hinaus. Durch die Säkularisation wurde die über Jahrhunderte hin wirksame Machtbalance zwischen päpstlicher und bischöflicher Gewalt endgültig aufgehoben. Im Reich führte die im Laufe des 19. Jahrhunderts sich stärker herausbildende Minoritätsposition der Katholiken zu einer noch stärkeren Bindung an Rom. Dieser von Rom erwünschte Ultramontanisierungsprozess wurde nicht zuletzt durch die sich stärker ausbildende Laienbewegung gefördert.
In weiteren Beiträgen beschäftigen sich Wolfgang Frühwald mit der "Säkularisation als 'sprachbildende Kraft' in der Sattelzeit der Moderne" - er weist auf die Plausibilitäts- und Autoritätsverluste der Religion sowie die gleichzeitige Autonomisierung der ästhetischen Erfahrung in Geniezeit und deutscher Klassik hin - und Winfried Müller mit der Frage, ob es einen "bayerischen Sonderweg" gegeben habe. Müller vergleicht die Säkularisation im links- und rechtsrheinischen Deutschland und betont, dass die bayerische Entwicklung kein Einzelfall, sondern Teil einer deutschland- ja europaweiten Bewegung gewesen ist. In einem weiteren Beitrag fragt Werner K. Blessing nach "Verödung oder Fortschritt? Zu den gesellschaftlichen Folgen der Säkularisation" und resümiert, dass die Säkularisation Klöster und Stifte traf, "die gewiss noch nicht abgestorben waren" (365), dass jedoch auf längere Sicht ein Gewinn für den geistlichen Zweck der Kirche nicht zu übersehen ist: Von den politischen Aufgaben entlastet, konnte das 19. Jahrhundert "das kirchenfromme Zeitalter" schlechthin (349) werden. Abschließend geht Katharina Weigand auf den "`Streit um die Säkularisation. Zu den Auseinandersetzungen in Wissenschaft und Öffentlichkeit im 19. und 20. Jh." ein und weist auf die unterschiedlichen Geschichtsdarstellungen hin, deren Sicht lange Zeit durch konfessionelle und politische Verortungen der jeweiligen Betrachter geprägt beziehungsweise getrübt war. 200 Jahre nach den Ereignissen sind die Urteile nun viel ausgewogener und vor allem differenzierter.
Ein zuverlässiges Register rundet den Band ab. Kritisch sind lediglich diverse Überschneidungen beziehungsweise Wiederholungen anzumerken, die bei Sammelbänden freilich meist schwierig zu vermeiden sind. Vielleicht wären einige Artikel etwas schlanker ausgefallen und hätten noch pointierter auf die jeweilige Fragestellung hin gestaltet werden können. Beide Werke sind sorgfältig redigiert und präsentieren beeindruckende Ergebnisse neuer Forschungen. Sie zeigen die enorme Vielfalt und Nachhaltigkeit der Auswirkungen, die die Säkularisation vor 200 Jahren hatte. Gerade durch den doppelten Perspektivwechsel, den zeitlichen (Rückblicke in das 18. wie auch die Ausblicke in das 19. und 20. Jahrhundert) wie die räumlichen (Blick auf das Reich und Europa), werden alte Forschungsmeinungen obsolet und können viele und lang währende (Vor-)Urteile widerlegt werden. Die Kirche hat letztlich die Säkularisation mit "erstaunlicher Vitalität gemeistert" (Friedrich Kardinal Wetter). Der alte benediktinische Spruch "succisa virescit" bestätigt sich.
Anmerkung:
[1] Vergleiche den gleichen methodischen Ansatz für das Rheinland bei Georg Mölich / Joachim Oepen / Wolfgang Rosen (Hgg.): Klosterkultur und Säkularisation im Rheinland, 1. und 2. Auflage, Essen 2002, Einleitende Bemerkungen und passim.
ZeitFlussLäufe. Säkularisation der Klöster Au und Gars am Inn 1803 - 2003. Begleitbuch mit Katalog zur Ausstellung vom 17. Mai bis 15. Juni 2003 im Kloster Gars am Inn, Gars am Inn: Bibliothek der Redemptoristen 2003, 199 S., ISBN 978-3-923803-15-6, EUR 20,00
Alois Schmid (Hg.): Die Säkularisation in Bayern 1803. Kulturbruch oder Modernisierung? (= Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Reihe B; 23), München: C.H.Beck 2003, XIV + 398 S., ISBN 978-3-406-10664-4, EUR 22,00
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