Die Agrarpolitik der Deutschnationalen Volkspartei unter dem Vorsitz Alfred Hugenbergs seit 1928 ist eng mit der Geschichte der Auflösung der Weimarer Republik verknüpft. Zudem schlug das Herz der DNVP stets in den ländlichen Regionen des deutschen Ostens, die ihr bis zuletzt auch die besten Wahlergebnisse bescherten. So bedeutet Andreas Müllers Studie einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer - immer noch ausstehenden - Gesamtgeschichte der Deutschnationalen. Die Untersuchung zeigt, wie die Partei im Zusammenspiel mit agrarischen (aber auch industriellen) Interessenverbänden ihre Linie in landwirtschaftlichen Fragen fand und wie die Agrarpolitik unter dem wachsenden Einfluss Hugenbergs immer mehr ein Mittel zum Zweck wurde: Sie sollte die Kompetenz des Parteiführers demonstrieren und gleichzeitig die Legitimation der Republik untergraben.
Die Dissertation zeichnet das Bild eines kühl kalkulierenden Hugenberg, der die deutschnationalen Regierungsbeteiligungen missbilligt und bis 1927 zum Führer der radikalen Systemfeinde in der Partei aufsteigt. Als die DNVP in der Agrarkrise die uneingeschränkte Unterstützung des Reichslandbunds (RLB) verliert und die Reichstagswahl von 1928 zur deprimierenden Niederlage gerät, kann Hugenberg die Gruppe der agrarischen Gefolgsleute des Parteivorsitzenden Westarp spalten und sich selbst an die Spitze der DNVP setzen (wobei Müller diesen Vorgang etwas kurz abhandelt).
Hugenberg entwickelt im Frühjahr 1929 ein neues Agrarprogramm, an dem er die gemäßigten Kräfte nicht mehr mitarbeiten lässt. Von nun an gehört zur Doktrin der Partei die Überzeugung, der Krise der Landwirtschaft sei nicht mit einzelnen Reformmaßnahmen, sondern nur durch einen Sturz des politischen Systems beizukommen. Da der RLB nach wie vor als wichtigste Stütze der DNVP zur Gewinnung von Wählern auf dem Lande benötigt wird, bringt seine Einbindung in die parlamentarisch arbeitende "Grüne Front" Hugenberg in arge Verlegenheit. Er antwortet mit der Sammlung der "Nationalen Opposition" im Volksbegehren gegen den Young-Plan. Doch die Heterogenität der unterschiedlichen Strömungen in der Partei tritt seit Ende 1929 in mehreren Abspaltungswellen immer deutlicher zu Tage. Zuletzt verabschiedet sich Mitte 1930 der Reichslandbund aus der DNVP, als Hugenberg nicht mehr bereit ist, das agrarische Notprogramm der Regierung Brüning zu unterstützen.
Die Abspaltung der Gemäßigten kommt Hugenberg, der immer noch "Block statt Brei" predigt, nicht einmal ungelegen. Überdies nimmt er den Kampf um die Organisation des RLB auf und stürzt zuletzt seinen deutschnationalen Widersacher Martin Schiele - zugleich Landwirtschaftsminister im Kabinett Brüning - vom Präsidentenstuhl des Berufsverbandes. Bei der Reichstagswahl vom September 1930 muss die DNVP freilich die großflächige Abwanderung ländlicher Stammwähler zur NSDAP hinnehmen, die mit einem noch radikaleren Programm an das Landvolk herantritt. Zudem verfügen die Nationalsozialisten mit dem "Agrarpolitischen Apparat" über die leistungsfähigere Organisation auf dem Land. Die DNVP selbst erweist sich dagegen in ihren traditionellen Hochburgen in der Provinz zunehmend als unflexibel, überaltert und finanziell ausgeblutet. Deshalb sind auch alle agrarpolitischen Initiativen Hugenbergs (Tributabgabe, Entschuldungsplan, Ostreise) von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die DNVP verfällt in eine "agrarpolitische Lähmung" (302), die sich im fehlenden Interesse an parlamentarischer Arbeit auf diesem Sektor niederschlägt. Hugenberg hat nur noch den Triumph der "Nationalen Opposition" über die Republik im Sinn, das Schicksal seiner eigenen Partei rückt demgegenüber in den Hintergrund.
Teile der Industrie, die der DNVP regelmäßig Finanzmittel zur Verfügung stellen, versuchen 1932 mehrmals, Hugenberg zum Rücktritt zu bewegen, um eine breite bürgerliche Sammlung zu ermöglichen. Doch rettet ihn die unablässige Aufeinanderfolge von Wahlen, die einen Wechsel im Vorsitz immer wieder ungelegen erscheinen lässt, sowie die Tatsache, dass er stets selbst genügend Geld beschaffen kann, um seine Partei gerade noch über Wasser zu halten. Zeitigt Hugenbergs Umarmungstaktik gegenüber der NSDAP bei der (Rück-)Eroberung des Reichslandbundes kurzfristig noch Erfolge, so muss sie spätestens dann ihren Bankrott erklären, als es dem rechten Lager nicht gelingt, einen gemeinsamen Kandidaten für die Reichspräsidentenwahl 1932 zu finden. Danach deckt der Zulauf für Hitler auf dem flachen Land die fortgeschrittene Desintegration der DNVP überdeutlich auf. Die Partei hat sich dermaßen in die Isolation manövriert, dass sie nicht einmal mehr auf die Bildung des Kabinetts von Papen Einfluss gewinnt, obwohl diesem drei DNVP-Mitglieder angehören.
Konsequenterweise geht Müllers Arbeit für das Jahr 1932 kaum noch auf die Agrarpolitik der Partei selbst ein, sondern konzentriert sich darauf, die Entwicklung der DNVP im Umfeld der Wahlen zu untersuchen. Auch sonst gibt es inhaltlich wenig an der Studie auszusetzen. Man würde sich zwar wünschen, dass bei wichtigen Stationen der DNVP-Geschichte (wie der Wahl Hugenbergs zum Vorsitzenden oder dem Sturz Schieles im RLB) die eigene Analyse des Autors einen breiteren Raum gewönne und dass er sich nicht so oft nur auf die Tagebucheinträge von Reinhold Quaatz verließe (etwa Anmerkung 632 und 723), aber diese Punkte fallen gegenüber den formalen Mängeln kaum ins Gewicht. Hier ist dem Verfasser anzukreiden, auf eine sorgfältige Schlussredaktion verzichtet zu haben. Abzulesen ist das vor allem an den vielen orthografischen Fehlern; zudem kommt die gesamte Arbeit ohne Worttrennungen aus, sodass das Schriftbild durch große Zwischenräume oft sehr unregelmäßig wirkt (104, 105, 217).
Die in den Anmerkungen abgekürzt aufgeführten Werke finden sich gelegentlich nicht im Literaturverzeichnis (darunter Brachers "Auflösung der Weimarer Republik" und Hiller von Gaertringens Aufsatz über die DNVP in dem einschlägigen Sammelband über "Das Ende der Parteien 1933") oder sind durch falsche Autorennamen verunstaltet (besonders peinlich: fast durchgehend "Merckenich" statt "Merkenich", obwohl diese Untersuchung über den agrarischen Lobbyismus im Reichslandbund von zentraler Bedeutung für Müller ist). Nachlässigkeit schimmert ferner durch, wenn Luitpold Weilnböck im Nachlass-Verzeichnis den Vornamen "Leopold" erhält oder wenn bei der Aufzählung der Namen der DNVP-Abgeordneten im Preußischen Landtag von 1928 etliche nicht korrekt wiedergegeben sind (etwa Golden statt Goldau, von Stüzner statt von Stünzner, von Tiling statt von Tilling). Das hätte sich vermeiden lassen, wenn Müller an Stelle einer Tageszeitung das Handbuch des Landtags als Quelle benutzt hätte. Parlamentshandbücher kommen in der Arbeit aber ebenso wenig vor wie etwa die große Quellensammlung "Politik und Wirtschaft in der Krise 1930-1932", obwohl viele der zitierten Schriftstücke dort bequem greifbar wären.
Insgesamt ist Müllers Dissertation eine zweifellos gut mit Quellen unterfütterte Arbeit zu einem wichtigen Thema der Endphase der Weimarer Republik, das bisher nur aus anderen Richtungen beleuchtet wurde. Ihr Wert leidet aber doch sehr unter ihren formalen Mängeln.
Andreas Müller: "Fällt der Bauer, stürzt der Staat". Deutschnationale Agrarpolitik 1928-1933, München: Utz Verlag 2003, 445 S., ISBN 978-3-8316-0225-4, EUR 44,00
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