Joachim Fest zitiert in der Vorbemerkung seines neuen Buches ein arabisches Sprichwort, das die "drei Hochgenüsse des Daseins" beschreibt und zugleich die Ambition des Autors andeutet: das von schönen Frauen hergerichtete Bad in den Gemächern eines Märchenpalastes, die Hochzeitsnacht mit einer bezaubernden Prinzessin und - als vollkommenste aller Seligkeiten - das Gespräch mit Freunden, das nur leider allzu rasch dem Vergessen anheim falle. Fest will diesen Prozess durch die Dokumentation der Begegnungen mit Freunden hinauszögern, die ihm besonders wichtig waren und deshalb in seinen Augen aufbewahrenswert sind.
Entstanden ist daraus ein überaus lesenswertes Buch, das zum Widerspruch reizt, vor allem aber Joachim Fest ein weiteres Mal ganz auf der Höhe seines einzigartigen schriftstellerischen Vermögens zeigt. Skizziert und zum Sprechen gebracht werden fünfzehn Zeitgenossen: Hannah Arendt beispielsweise, Sebastian Haffner und Golo Mann, Wolf Jobst Siedler und Hugh R. Trevor-Roper, Joachim Kaiser und - welche Überraschung - Ulrike Meinhof, die mit Fest zusammentraf, bevor sie der bürgerlichen Welt den Krieg erklärte und in den terroristischen Untergrund ging. Jeder der fünfzehn Essays steht für sich, in der Summe ergeben sie aber das Porträt einer Gruppe, die - mit nur wenigen Ausnahmen - einer Generation angehört, die der Soziologe Helmut Schelsky die "skeptische" genannt hat. [1]
Ihm persönlich, so Fest, sei tiefe Skepsis bereits von seinem Deutschlehrer als "Lebensdevise" (8) mitgegeben worden; die anderen mögen sie im 'Dritten Reich' erlernt haben. Charakteristisch für diese Generation war ferner die fast instinktive Abneigung gegen jedes Mitläufertum, außerdem die Verachtung für die Launen des Zeitgeistes und schließlich die fundamentalistische Ablehnung allen "Ideologiewesens". Man habe im Nationalsozialismus seine Lektionen gelernt und sei geheilt, so Fest, der deshalb auch nur allergisch reagieren konnte, als in den Sechzigerjahren marxistisches Gedankengut eine Renaissance erlebte und zahlreiche intellektuelle Herolde fand. Fest und seine Gesprächspartner sahen hier nur große Verderber am Werk, die noch nicht einmal im Nachhinein mit Gnade rechnen dürfen. "68", so scheint es, markiert einen tiefen Bruch für die meisten Skeptiker um Fest - ein Befund, der sich auch für zahlreiche andere Vertreter der "skeptischen Generation" ergeben hat. Sie fürchteten um den Bestand der Demokratie, sahen ein zweites "33" heraufziehen und zogen sich schließlich auf einen verstaubten Konservativismus zurück, dessen kulturpessimistischer Einschlag nicht zu übersehen ist. Viele verloren damit auch den Anschluss an das Zeitgeschehen und die Politik, die freilich auch zuvor schon im Schatten eines demonstrativen weltabgewandten Kunstsnobismus gestanden hatte; dieser wurde nun noch stärker hervorgekehrt und gegen eine Welt behauptet, die angeblich seit langem dem Verfall entgegendämmert.
Mit nicht wenigen seiner nahen und fernen Freunde ist Fest ins Gespräch gekommen, als er in den Sechzigerjahren an seiner Hitler-Biografie zu schreiben begann. Hitler ist überhaupt, so scheint es, das Lebensthema der Gruppe, die Fest im Buch um sich versammelt hat. Der Satan der Zeitgeschichte und seine Spießgesellen sind in fast allen Porträts präsent - allerdings merkwürdig schemenhaft, als Verkörperung des Bösen und nie konkret, sodass ihre Vergegenwärtigung dem heutigen Leser kaum mehr etwas sagt. Fest und die Seinen sind historisch geworden: Was damals kühn war und aufklärerisch, wirkt zwanzig, dreißig Jahre danach wie blind, weil keines der heißen Eisen angepackt wird - weder der Holocaust, noch die Euthanasiemorde und auch nicht die Verbrechen der Wehrmacht, die heute die Debatte bestimmen. Man hatte, so scheint es, genug gesehen und gelitten und wollte (und musste) sich die Schrecken des 'Dritten Reiches' und dessen unermessliche Opfer im Zwiegespräch und unter Freunden auch ein Stück vom Leibe halten. Innerer Zwang zur Verdrängung könnte man dieses Verhaltensmuster sogar nennen, wenn nicht auch starke Elemente politischen Kalküls im Spiel gewesen wären, die sich aus der Sorge um die eigene Nation speisten, deren Fortbestand angesichts der Dauerpräsentation deutscher Schuld und Schande doch sehr in Frage zu stehen schien, wie Fest und manche seiner Freunde meinten. Die Zeitgeschichte, so Golo Mann, sei doch lediglich das "Protokoll von Verbrechen im eigenen Haus". Er hasse sie eigentlich, wisse aber natürlich auch, dass sie aus erzieherischen Gründen nicht vernachlässigt werden dürfe (237). Mordgesellen seien immer nur Mordgesellen, da dürfe man nicht lange "herumdoktern". Manchmal sei das "bloße Schweigen angezeigt und vollauf genug". (239).
Aus solchen Verhaltensmustern erklärt sich auch der gereizte Ton, mit dem ein Siedler, ein Johannes Groß, aber auch Fest selbst auf die seit 1945 währende, von Scham, Entsetzen und Betroffenheit zeugende Beschäftigung der Deutschen mit ihrer 'braunen' Vergangenheit reagierten. Obwohl sie selbst, wenn auch betont nüchtern, daran beteiligt waren, vermochten sie in den diversen Formen der Vergangenheitsbewältigung nur verlogene, "rituell gewordene Reuebekenntnisse" zu sehen. Sie fertigten deshalb etwa den Journalisten Dieter Gütt auf eine unüberbietbar verächtliche Weise ab, als er ihnen lange nach 1945 berichtete, dass er noch immer an der NS-Vergangenheit seines Vaters (er war Staatssekretär im Reichsinnenministerium gewesen) litt. "Was immer Gütt sagte", so Fest, "war fraglos das Ergebnis jahrelanger Gedankenquälerei und zeugte von dem unheilbaren Bruch mitten durch seine Person. Und doch fanden wir, es wirke unterdessen abgebetet, weil auch die Glaubwürdigkeit selbst der Verzweiflung [...] ihre Halbwertszeit hat" (126f.).
Ein Thema für sich ist Fests Verhältnis zu den Historikern, die doch eigentlich als verlässliche Zulieferer für seinen feinen Veredelungsbetrieb in einem gewissen Ansehen stehen müssten. Nichts davon! Seit seinen von der Zunft angeblich nie angemessen gewürdigten Welterfolgen lässt Fest kaum eine Gelegenheit verstreichen, ihnen ins Stammbuch zu schreiben, wie fantasielos und gedankenarm sie sind und wie sehr es mit dem Schreiben hapert. In seinem neuen Buch wird diese schöne Gewohnheit an manchen Stellen fast schon zur Obsession, die die Realität verdunkelt und den Autor in die Sphären absurder Komik führt. In Siedlers Verlagsprogrammen, so Fest voller Lob für den Freund, sei irgendwann jeder Historikername von Rang aufgetaucht. "Das war weit weniger selbstverständlich, als es auf den ersten Blick anmutet. Denn es musste gegen das akademische Vorurteil durchgesetzt werden, wonach der wissenschaftliche Ruf eines Geschichtswerks mit dessen buchhändlerischem Erfolg abnimmt: Je höher die Auflage, desto geringer der Rang einer Veröffentlichung. Zwar denkt kein Historiker diese Auffassung folgerichtig zu Ende und weist das höchste Prestige der Arbeit zu, die unveröffentlicht im Schreibtisch verschlossen bleibt. [...] Womöglich war es Siedlers bedeutendste und bleibende verlegerische Leistung, dass er zahlreiche Historiker aus dem selbstzufriedenen Dasein in ihren Papiertürmen geholt und zur Öffentlichkeit überredet hat" (145f.). Die Rede ist von Michael Stürmer und Hagen Schulze, von Hans-Peter Schwarz und Christian Meier. Waren sie wirklich graue Mäuse in lichtlosen Ecken, ehe Siedler sie entdeckte, und haben sie wirklich erst dank seiner Entwicklungshilfe die Sprache gefunden? Fest scheint das zu glauben und hält deshalb auch unbeirrt an seinem alten Motto fest, das auch nach den vielen Jahren im Gebrauch nichts von seiner entlarvenden Unsinnigkeit verloren hat: Immer Fest druff!
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu Franz-Werner Kersting, Helmut Schelskys "Skeptische Generation" von 1957. Zur Publikations- und Wirkungsgeschichte eines Standardwerkes, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 50 (2002), 465-495.
Joachim Fest: Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde, 3. Aufl., Reinbek: Rowohlt Verlag 2004, 384 S., 15 Fotos, ISBN 978-3-498-02088-0, EUR 19,90
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.