sehepunkte 5 (2005), Nr. 3

Jörg Schwarz: Herrscher- und Reichstitel bei Kaisertum und Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert

Nicht von ungefähr tut man sich schwer, den Charakter des römisch-deutschen Königtums - schon das ist ja im Grunde ein Verlegenheitsbegriff - beziehungsweise des "Reiches" kurz und griffig zu benennen. Insofern sind Untersuchungen darüber, wie sich diese Institutionen verstanden haben und wie sie von den Zeitgenossen verstanden wurden, stets willkommen.

Jörg Schwarz hat sich in seiner Marburger Dissertation dieser Aufgabe angenommen und eine Studie zum mittelalterlichen Herrscher- und Reichstitel vorgelegt, deren zeitlicher Rahmen sich von der ausgehenden Salierzeit bis zum Ende des Interregnums erstreckt. Da sich die Untersuchung in erster Linie als Formengeschichte versteht, gilt Schwarz' Interesse vorrangig den erweiterten Titulaturen, also den Fällen, bei denen die Begriffe "König" und "Reich" in irgendeiner Weise spezifiziert werden. Dabei stützt er sich zum einen auf die Selbstaussagen der Herrscher in ihren Urkunden und Briefen, bezieht aber auf der anderen Seite auch in seine Analyse mit ein, ob und inwiefern das Papsttum - als die dem Kaisertum komplementäre Universalgewalt des lateinischen Abendlandes - in seinen Urkunden, Schreiben und Verlautbarungen auf die jeweiligen Innovationen beim Herrscher- und Reichstitel eingeht. Wer um den sehr disparaten Aufbereitungs- und Editionsstand der entsprechenden Quellencorpora weiß, kann ermessen, welche Mühe hinter einer solchen Arbeit steckt. Außer Acht bleiben bei der Untersuchung der Kaisertitel, dessen Entwicklungsgeschichte freilich wegen seiner frühen Normierung auch nicht weiter spektakulär ist, sowie die von Schwarz so genannten "regnalen Reichsbezeichnungen", also alle Begriffsbildungen mit regnum.

Hier seien nur die wesentlichen Ergebnisse referiert: Nachdem der um den Römernamen erweiterte Königstitel (Romanorum rex) in den Herrscherdiplomen des 11. Jahrhunderts nur ganz vereinzelt Verwendung gefunden hatte, verfestigte er sich unter Heinrich V. zwischen 1106 und 1111 zur quasi-offiziellen Kanzleinorm und löste als solche den bislang gebräuchlichen absoluten rex-Titel ab, womit der Status des Königtums als zum Kaisertum hinführend unterstrichen wurde. An der Kurie wurde dieser Sprachgebrauch 1130 vor dem Hintergrund des anakletianischen Schismas aufgegriffen - und zwar von beiden miteinander rivalisierenden Päpsten, die um die Unterstützung ihrer Ansprüche durch Lothar III. warben. Im Zuge dessen setzte sich der Titel Romanorum rex am Papsthof rasch durch und wurde dort in der Folgezeit durchgehend zur Bezeichnung des noch nicht zum Kaiser gekrönten Herrschers verwendet. Unter Innocenz III. jedoch trat eine Änderung ein: Er legte Otto IV. und später Friedrich II. den Titel rex, in Romanum / Romanorum imperatorem electus bei, wohl um damit "den päpstlichen Anteil am Prozess des Aufstiegs von der Königs- zur Kaiserwürde [...] zu untermauern" (41). Auch die Söhne des letzten Stauferkaisers - Heinrich (VII.) und Konrad IV. - wurden in den Schreiben des Papsttums nicht als Romanorum reges tituliert, während auf der anderen Seite den antistaufischen Gegenkönigen Heinrich Raspe und Wilhelm von Holland sowie den Herrschern des Interregnums ohne weiteres der römische Königstitel zuerkannt wurde.

Gegenüber dem seit den 1140er-Jahren unter maßgeblicher Federführung Wibalds von Stablo in der Herrscherkanzlei aufgekommenen Titelzusatz (et) semper augustus blieb die päpstliche Kurie über mehrere Jahrzehnte hinweg renitent. Erst unter dem Pontifikat Lucius' III. (1181-1185) fand dieser Zusatz Eingang in das Sprachreglement der Kurie, wenn man von einzelnen Belegen bei den kaiserlich gesinnten Päpsten im alexandrinischen Schisma einmal absieht. Jedoch wurde er von den Päpsten nahezu ausschließlich als Attribut des Kaisertitels verwendet. Mit Bezug zum Königstitel hat lediglich Innocenz IV. im Hinblick auf Heinrich Raspe die am staufischen Hof standardisierte Form Romanorum rex et semper augustus übernommen.

Der um den Romzusatz erweiterte Reichsbegriff (imperium Romanum) ist in den Herrscherurkunden seit der frühen Salierzeit sporadisch nachweisbar, fand aber erst ab Mitte des 12. Jahrhunderts in der herrscherlichen Kanzleisprache weitere Verbreitung - wobei wiederum Wibald Pate stand - und wurde unter Friedrich Barbarossa zum gängigen Reichstitel. Dagegen blieb der 1157 eingeführte sakrale Reichstitel (sacrum / sacratissimum imperium) in seiner Verwendung zunächst weitestgehend auf zwei Notare der Kanzlei Barbarossas beschränkt. Auch hernach spielte er in den Dokumenten der römischen Könige und Kaiser einstweilen eine nur nachgeordnete Rolle und kam erst seit den 1230er-Jahren mehr und mehr in Gebrauch, um dann in den 1240ern vor dem Hintergrund der zweiten Bannung und Absetzung Friedrichs II. zur meistverwendeten Titelform aufzusteigen. Bemerkenswert sind ferner die Beobachtungen zum dreigliedrigen Reichstitel (sacrum Romanum imperium), den die Forschung bislang erstmals zu 1254 belegt sah. Dagegen kann Schwarz nicht weniger als neun Belege (solche in Nachurkunden nicht mit eingerechnet) vor diesem Stichjahr beibringen, deren erster von 1184 datiert. Als Vorbild scheint hier die Amtsbezeichnung der kaiserlichen Skriniare in Rom gedient zu haben. Demnach wurzelt der dreigliedrige Reichstitel noch in der Stauferzeit, etablierte sich allerdings erst im Interregnum als Normtitel.

Demgegenüber hat das zeitgenössische Papsttum lange Zeit am absoluten imperium-Begriff festgehalten. Nachdem noch Gregor VII. mehrfach in phrasenhaft-konventioneller Art vom imperium Romanum gesprochen (letztmals 1077) und Urban II. diesen Terminus wenigstens einmal gebraucht hatte (zu 1094/95), begegnet der römische Reichsbegriff danach erst wieder im Schrifttum Innocenz' III. in den Jahren 1199 bis 1208. Dass er in der Zwischenzeit im Begriffsapparat der Kurie völlig fehlt, obwohl er von Seiten des Kaisertums doch relativ häufig an sie herangetragen wurde, kann man sicher nur durch eine bewusste Verweigerungshaltung erklären. Als Beweggründe hierfür kann Schwarz die prekäre politische Lage des Papsttums in seiner Auseinandersetzung mit der ausgreifenden kaiserlichen Italien- und Rompolitik auf der einen und mit der papstfeindlichen stadtrömischen Kommunalbewegung auf der andern Seite plausibel machen. Vor dieser Folie verbot es sich für die Kurie, den römischen Charakter des Imperiums hervorzuheben und somit die suggestiven Reichsbegriffe ihrer Gegner zu übernehmen. Innocenz III. hingegen musste sich in seiner Anfangszeit auf diesen konfliktreichen Politikfeldern nicht bedroht fühlen, weshalb er im fraglichen Zeitraum entsprechend freier mit dem römischen Reichsbegriff hantierte. Danach verschwindet derselbe für geraume Zeit fast völlig aus der päpstlichen Überlieferung und taucht erst unter Innocenz IV. wieder auf, vorrangig im Zusammenhang mit den unter seiner Patronage stehenden (Gegen-)Königtümern Heinrich Raspes und Wilhelms von Holland. Wie zuvor bei Innocenz III. bildete also wieder die politische Grundkonstellation des Doppelkönigtums den Hintergrund für den Gebrauch des imperium Romanum. Nach dem Tod Friedrichs II. blieb der römische Reichsbegriff an der Kurie weiter in Gebrauch: Die strukturelle Schwäche des Königtums nördlich der Alpen, die ein ernsthaftes politisches Engagement in Italien nicht mehr zuließ, machte die Floskel für die päpstliche Seite unbedenklich. 1263 fand sich Urban IV. sogar bereit, den dreigliedrigen Reichstitel zu akzeptieren; bis dahin hatten die Päpste eine Verwendung des sakralen Reichsbegriffs in ihren Schreiben penibel und kompromisslos abgelehnt.

Nicht alle Ergebnisse sind neu, die Schwarz in seiner Studie präsentiert; Gottfried Koch, Helmut Beumann und andere haben ihm zuverlässig vorgearbeitet. [1] Gleichwohl legt er eine umfassende Entwicklungsgeschichte des Herrscher- und Reichstitels im 12. und 13. Jahrhundert vor, die durch ihren Detailreichtum und ihr nuanciertes Urteil besticht. Minuziös werden die entsprechenden Belege in der herrscherlichen beziehungsweise der päpstlichen Überlieferung behandelt und vor ihrem Zeithorizont erörtert, wobei viele interessante Einzelheiten zu Tage gefördert werden. Dabei hütet sich Schwarz davor, die einzelnen Quellenbelege für seinen Argumentationsgang interpretatorisch überzustrapazieren, was die zusammenfassende Deutung nur umso solider macht.

Komplettiert wird die Darstellung durch drei umfangreiche Anhänge (265-406), die die Verwendung der erweiterten Reichstitelformen in der Herrscherkanzlei von Konrad II. bis zu Wilhelm von Holland (mit gesondertem Verzeichnis für die an die Kurie gegangenen Schreiben) beziehungsweise die Bezeichnungen für das Reich und seine Herrscher in den kurialen Dokumenten von Calixt II. bis Clemens IV. zusammenstellt (mit Druckort- und Literaturverweisen zu den jeweiligen Stücken). Ein Orts-, Personen- und Sachregister hilft den Band erschließen.


Anmerkung:

[1] Gottfried Koch: Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert (= Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte; Bd. 20), Berlin 1972; Helmut Beumann: Der deutsche König als "Romanorum rex" (= Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt; Bd. 18/2), Wiesbaden 1981; Hermann Weisert: Der Reichstitel bis 1806, in: Archiv für Diplomatik 40 (1994), 441-513. Genannt sei auch noch der "Klassiker" von Karl Zeumer: Heiliges Römisches Reich deutscher Nation. Eine Studie über den Reichstitel (= Quellen und Forschungen zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neutzeit; Bd. IV/2), Weimar 1910.

Rezension über:

Jörg Schwarz: Herrscher- und Reichstitel bei Kaisertum und Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii; 22), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, 510 S., ISBN 978-3-412-05903-3, EUR 69,00

Rezension von:
Tobias Weller
Historisches Seminar, Universität Bonn
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Weller: Rezension von: Jörg Schwarz: Herrscher- und Reichstitel bei Kaisertum und Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de/2005/03/6012.html


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