Eine kritische Gesamtausgabe der erhalten gebliebenen Werke Thomas Müntzers ist ein dringendes Desiderat der Forschung. So dankenswert es auch war, dass Günther Franz auf der Grundlage von Vorarbeiten, mit denen er 1930 begonnen hatte, 1968 unter Mitarbeit von Paul Kirn Texte Müntzers überhaupt in einer modernen Ausgabe zugänglich machte, der Band "Thomas Müntzer. Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe" [1] genügte modernen Anforderungen nicht. Quellen zu Müntzers Leben nahmen in dieser Ausgabe nur einen sehr beschränkten Raum ein.
Von der nun geplanten kritischen Gesamtausgabe waren zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses dritten (bereits 1988 dem Verlag eingereichten) Bandes noch in Vorbereitung: Bd. 1: Schriften und Fragmente und Bd. 2: Briefwechsel.
Der vorliegende Band enthält eine Liste der verwendeten Sigla (7-13) und Abkürzungen (14), ein Vorwort des Herausgebers der gesamten Müntzer-Ausgabe, Helmar Junghans (15-27), eine Einleitung der Bearbeiter dieses Bandes (28-31), ein 'In memoriam' für W. Held von Enno Bünz (32), die Edition der Quellen (33-274), Register der Personen (auch moderner Autoren), Orte (275-293) und Bibelstellen (294).
Das Vorwort verzeichnet, welche Forschungsdisziplinen auf eine kritische Thomas-Müntzer-Ausgabe angewiesen sind (16-17, 22), und verbindet Hinweise zur Forschungsgeschichte mit Andeutungen zur jeweiligen zeitgenössischen Bedingtheit der Einschätzung Müntzers und deren Einfluss auf das jeweilige Müntzer-Bild (17-27). Junghans kennzeichnet die Indienstnahme Müntzers beispielsweise so: "Gesellschaftliche Konzeptionen [verwendeten] Müntzer als Symbolfigur ihrer Interessen [...]" (20).
Die Einleitung weist darauf hin, dass für diesen Band (überwiegend unpolemische) Äußerungen von Zeitgenossen Müntzers über dessen Leben und Wirken ausgewählt worden sind: "Briefe, Chroniken, Ratsprotokollnotizen, Rechnungsnotate, Quittungen" (28). In Einzelfällen kamen auch etwas spätere Zeugen zu Wort. Die Quellen stammen überwiegend aus Archiven und Bibliotheken der östlichen Bundesländer Deutschlands. Soweit sie bereits in älteren Editionen vorlagen, wurden Textkonstitution und Kommentar revidiert. Hinweise zur Einrichtung der Edition und Dankesworte schließen die Einleitung ab.
Die 176 edierten Quellen sind von den Bearbeitern durchgezählt, datiert und mit Überschriften versehen worden. Benutzer, die gezielt beispielsweise nach Aussagen bestimmter Personen oder Körperschaften über Müntzer suchen, würden es gewiss begrüßen, wenn es ein Verzeichnis dieser Überschriften gäbe. Das hätte zudem den Vorteil, dass schnell deutlich würde, wie wenige Quellen aus den Jahren 1506-1519 vorliegen. Zu jeder Quelle ist vorab aufgelistet, ob sie auf der Basis eines handschriftlichen Originals oder eines Drucks ediert worden ist, ob Faksimile-Drucke und / oder Editionen vorliegen. Textkritische Anmerkungen sind mit Buchstaben eingerichtet, "Erläuterungen zu Personen, Orten, Ereignissen und Wortbedeutungen"(30) mit Ziffern. Ferner werden Zitate nachgewiesen und Literaturhinweise gegeben. Lateinischen Texten hat Rainer Kößling eine Übersetzung beigegeben, die bei längeren Texten parallel auf der jeweils gegenüberliegenden Seite abgedruckt ist.
Freilich ist jede Übersetzung zugleich Interpretation. 'Venerabilis' (38, Z. 1) würde der Rezensent lieber mit 'ehrwürdig' als mit 'verehrt' übersetzt sehen, 'in presentia vestre dominationis' (39, Z. 8) lieber mit 'in Eurer Gegenwart, Herr' als mit 'in Gegenwart Eurer Herrschaft', weil sonst das Missverständnis allzu nahe liegt, mit 'Herrschaft' sei nicht der Generalvikar Jakob Gropper gemeint, an den die Flugschrift sich wendet, sondern der Bischof von Brandenburg. 'Sine freno rationis' (44, Z. 9) wäre vielleicht genauer mit 'ohne sich durch eine vernünftige Überlegung hemmen zu lassen' zu übertragen als mit 'rücksichtslos'.
Sehr dankenswert ist es, dass die Bearbeiter sich die Mühe gemacht haben, selbst so kniffligen Fragen nachzugehen wie der, wen der Franziskaner Bernhard Dappen wohl mit 'Rogatisten' gemeint habe (48, Z. 4). Etwas zu viel Vorkenntnis setzen sie voraus, wenn sie zwar mitteilen, welche Kathedralschule Petrus Lombardus leitete, nicht aber, in welcher Stadt (50, Anm. 33).
Da manche Quellen recht kurz sind, kommt es vor, dass Anmerkungsziffern zu verschiedenen Quellen auf derselben Seite mehrfach begegnen. Wer diese Edition zitiert, sollte darauf achten.
Die vorliegende Edition von Quellen zu Thomas Müntzer wird sich für die weitere Müntzerforschung als unentbehrliches Hilfsmittel erweisen. Um das gedruckte Buch, das unentbehrlich bleibt, auf einfache Weise durch weitere Quellen ergänzen zu können, wäre es wünschenswert, dass auch eine elektronische Fassung erschiene.
Anmerkung:
[1] Günther Franz unter Mitarb. v. Paul Kirn (Hg.): Thomas Müntzer. Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe, Gütersloh 1968.
Wieland Held (+) / Siegfried Hoyer (Bearb.): Quellen zu Thomas Müntzer (= Thomas-Müntzer-Ausgabe; Bd. 3), Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004, 294 S., ISBN 978-3-374-02180-2, EUR 44,00
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