sehepunkte 5 (2005), Nr. 5

Arne Karsten / Volker Reinhardt: Kardinäle, Künstler, Kurtisanen

Die mediale Inszenierung des Leidens und Sterbens Johannes Pauls II. sowie die Wahl und die Amtseinführung seines Nachfolgers vermochten für kurze Zeit die italienische Hauptstadt wieder in jenes teatro del mondo zu verwandeln, das das päpstliche Rom einst gewesen war. Weltweit versammelte sich ein Milliardenpublikum, das sich über alle Religions- und Konfessionsgrenzen hinweg zusammensetzte, vor den Bildschirmen und war gebannt von den Geschehnissen in der Ewigen Stadt. Für drei Wochen im April transformierte sich das heute so säkulare Rom damit wieder in das Rom der Päpste, in ein sich transzendierendes Welttheater. Doch so eindrucksvoll die Bilder auch sein mochten, so blass waren die Worte der Kommentatoren. Sie vermochten kaum, dieses Stück, das uns vor der prächtigen Kulisse des Peterdomes gegeben wurde, zu erklären und das heilige Geschehen zu dechiffrieren. Nach der mehrwöchigen Dauerberichterstattung auf fast allen Kanälen blieb der Zuschauer vielleicht gut unterhalten, aber doch letztendlich reichlich uninformiert und insbesondere ungebildet zurück - aber den Anspruch der Bildung wagt heute ohnehin niemand mehr ernsthaft vom Fernsehen einzufordern.

Dass jedoch Unterhaltung und Bildung kein unüberbrückbarer Graben trennt, sondern sie sich bestens zu ergänzen vermögen, zeigt das von Volker Reinhardt und Arne Karsten vorgelegte Buch "Kardinäle, Künstler, Kurtisanen. Wahre Geschichten aus dem päpstlichen Rom". Es umfasst insgesamt 19 Erzählungen aus dem frühneuzeitlichen Rom, jener Epoche, in der die Ewige Stadt noch als teatro del mondo galt, und dies nicht nur bei Sedisvakanz und Konklave wie heute. Dieses Theater verfügte über mehrere Bühnen. Zwar war die des päpstlichen Hofes sicherlich die prächtigste, aber bei weitem nicht die einzige. Einige der teils längst vergessenen Stücke, die auf den verschiedenen Haupt- und Nebenbühnen gegeben wurden, haben nun die beiden ausgewiesenen Romkenner Reinhardt und Karsten rekonstruiert und dem geneigten Publikum vorgelegt.

Gegliedert in sechs Komplexe (Die große Politik, Familienbande und Familienkonflikte, Karrieren und Abstürze, Künstlerleben, Kultur und Konflikte, Die Welt des kleinen Mannes), wird in den Erzählungen von den mächtigen Schicksalsschlägen und kleinen Hoffnungen, von Päpsten und Kardinälen, von Mördern und Metzgern, von roten Hüten und abgeschlagenen Köpfen, von starken Frauen und tyrannischen Vätern, von herrischen Künstlern und großen Gelehrten, von Straßenschlachten und Botschaftsbesetzungen, von Verkehrsproblemen und Hungersnöten berichtet. Hierbei gelingt es den beiden Autoren gleichsam en passant, das päpstliche Rom der Frühen Neuzeit in all seiner Pracht, aber auch seinen Grautönen und schwarzen Abgründen wiedererstehen zu lassen.

Bei den Akteuren trifft man auf noch heute wohl bekannte Personen. Michelangelo erscheint als Greis und Tyrann, der sich als eigenwilliges Genie um künstlerische und gesellschaftliche Normen nicht sonderlich kümmert. Bellarmin und Galileo streiten über ihr unterschiedliches Natur- und Weltbild und kommen dennoch nicht zu einem intellektuellen Gedankenaustausch. Bernini schikaniert seine Künstlerkollegen bei der Ausstattung von St. Peter, und die machtpolitischen Ambitionen und Ranküne der diversen Mitglieder des Borgia-Clans beginnen ihre blutigen Spuren zu ziehen.

Aber auch in der Gegenwart zumeist vergessene Akteure erscheinen wieder im Rampenlicht. Am Beispiel von Innozenz XI. Odescalchi, dem Sanierer des chronisch bankrotten Kirchenstaates, erhält der Leser eine ausgezeichnete Einführung in das römische Finanzsystem und nebenbei die Erkenntnis, dass das (stets vergebliche) Warten auf einen Wirtschaftsboom, der alles richten soll, nicht nur heute in Deutschland, sondern auch im Rom des 17. Jahrhunderts viel zu lange als Allheilmittel angesehen wurde. Der Tagedieb Papst Gregor XIII. reformiert 1582 den Kalender und setzt sich mit Margrets Thatchers Tina-Prinzip ("there is no alternative") über alle Widerstände hinweg, und sukzessive folgt dieser katholischen Reform auch das ganze protestantische Europa - nur die aufrechten Mönche vom Berg Athos haben sich bis heute nicht überzeugen lassen.

Schließlich betreten auch seinerzeit kaum bekannte Personen die Bühne. So verwandelt sich das teatro del mondo zum Theater des Grauens, als die beiden Wurstmacher, die ihre berühmten Norcianer Würstchen mit Menschenfleisch verfeinert haben, grausam hingerichtet werden, und im Vatikan tobt ein Bilderkrieg mit Venedig, weil ein fleißiger Archivar die Bildunterschriften auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft und manche historische Ungenauigkeit zu Tage gefördert hat.

Nicht Alltagsgeschichten haben Karsten und Reinhardt zusammengetragen, sondern historische Novellen, die von sich "ereignete[n] unerhörte[n] Begebenheit[en]" (so die klassische Novellendefinition Goethes) handeln. Diese sind zumeist glänzend erzählt und auf der Höhe der Forschung, womit sich das Buch gleichermaßen an Romspezialisten wie an die zahlreichen Romliebhaber wendet. Abgerundet wird das Buch von 20 (Schwarz-Weiß-)Abbildungen, einer knappen, kommentierten Bibliografie und Quellenangaben zu jeder Novelle, einer Karte Italiens um 1640, einer Papstliste sowie einer kommentierten Auswahlbibliografie für das 16. und 17. Jahrhundert. Bleibt zu hoffen, dass die "Kardinäle, Künstler, Kurtisanen" so manchem zukünftigen Journalisten in die Hände fallen, damit wir bei der nächsten Sedisvakanz nicht erneut lediglich "aus Rom unterhalten" - wie sich ein ZDF-Reporter unfreiwillig, aber zutreffend versprach -, sondern informiert und vielleicht sogar etwas gebildet werden.

Rezension über:

Arne Karsten / Volker Reinhardt: Kardinäle, Künstler, Kurtisanen. Wahre Geschichten aus dem päpstlichen Rom, Darmstadt: Primus Verlag 2004, 207 S., 21 Abb., ISBN 978-3-89678-511-4, EUR 24,90

Rezension von:
Tobias Mörschel
Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Mörschel: Rezension von: Arne Karsten / Volker Reinhardt: Kardinäle, Künstler, Kurtisanen. Wahre Geschichten aus dem päpstlichen Rom, Darmstadt: Primus Verlag 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 5 [15.05.2005], URL: https://www.sehepunkte.de/2005/05/7167.html


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