Im Sommer 1912 feierte die Essener Fried. Krupp AG das Doppeljubiläum des hundertsten Jahrestages der Firmengründung und des hundertsten Geburtstages von Alfred Krupp, der als Sohn des eigentlichen Firmengründers Friedrich Krupp das Unternehmen aus kleinsten Anfängen an die Weltspitze geführt hatte. Es war das in seiner Art erste und größte Industriejubiläum im Kaiserreich, das durch den zweitägigen Besuch Kaiser Wilhelms II. in Essen am 8. und 9. August 1912 zusätzlichen Glanz erhielt. Klaus Tenfelde beschreibt dieses Jubiläum zunächst als Ausdruck der herausgehobenen Stellung des größten deutschen Unternehmens, des "besonderen Großunternehmens" (9), das schon seit Jahrzehnten eine "gegenseitig machtstützende Verbindung" (7) mit dem preußischen Königshaus, seit der Reichsgründung dann mit dem deutschen Kaiserhaus verband. Tenfelde belässt es nicht beim Krupp-immanenten Blick, sondern erschließt das Ereignis über den unternehmensgeschichtlichen, über den wirtschaftsgeschichtlichen Fokus hinaus der Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Kaiserreiches. Er betrachtet das Jubiläum als einen Ausdruck der Festkultur des Kaiserreiches, das Einblicke in dessen Gesellschaft und ihr Selbstverständnis ermöglicht. Anhand der umfangreichen Quellen des Krupp-Archivs und vieler Bilder, die nicht nur illustrieren, sondern als Quelle ernst genommen werden, zeigt Tenfelde, wie sich die Struktur der wilhelminischen Gesellschaft in den Feierlichkeiten abbildet.
So waren etwa die Feierlichkeiten wie die Gesellschaft insgesamt Männerveranstaltungen, die lediglich von den Damen der engsten Krupp-Familie dekoriert wurden. Militärs aus Heer und Marine stellten einen beträchtlichen Anteil der Gäste, und mit militärischer Strenge war auch der Ablauf bis ins kleinste Detail geplant und organisiert. Beim großen Festakt im Beisein des Kaisers, der im Lichthof des neuerrichteten Hauptverwaltungsgebäudes stattfand, waren von Seiten der Firma nur die leitenden Angestellten anwesend. Die Arbeiter hatten aus Anlass des Kaiserbesuches einen bezahlten arbeitsfreien Tag erhalten, ihre Teilnahme bestand darin, Hüte schwenkend das Spalier zu bilden bei der Autofahrt Wilhelms II. durch das mit Girlanden und Fahnen geschmückte Essen und bei dessen Besuch von Arbeiter- und Pensionärssiedlungen.
Für die Arbeiter hatte es wenige Tage zuvor eigene Festlichkeiten gegeben. Die bei Krupp schon seit Langem übliche Auszeichnung der Jubilare fand in diesem Jahr nicht in der Stadt, sondern auf dem Gelände der Villa Hügel, dem Wohnsitz der Krupp-Familie statt. Hier, ebenso wie bei dem Festabend für die Werksangehörigen drei Tage später, beschwor man die "Werksgemeinschaft" und pries die Arbeit als "gemeinschaftliche Pflichterfüllung" (54). Den Begriff der "Werksgemeinschaft" hebt Tenfelde hervor als ein "Konstrukt", das in der Selbstdeutung als "Kruppianer" gipfelte, die möglicherweise erstmals, jedenfalls aber ganz gezielt eingesetzt wurde (130). Die "Werksgemeinschaft" der "Kruppianer" wurde dem Klassendenken der Arbeiterbewegung entgegengesetzt. Krupp präsentierte sich als eine Gemeinschaft, die alle, vom geringsten Arbeiter bis zum Firmenchef und der Eigentümerin, verbinde, und die ihre Entsprechung in der nationalen Gemeinschaft finde. "Ein neues Weltbild zeichnete sich ab", folgert Tenfelde, "aus dem ein wichtiger Deutungsstrang in die nationalsozialistische 'Gefolgschaft' und 'Volksgemeinschaft' führen sollte - in Begriffe, mit denen ja gleichfalls das 'Klassendenken' überwunden werden sollte" (130). Es war der Versuch, nach dem Misserfolg der Sozialistengesetze und den begrenzten Erfolgen der Sozialpolitik das scheinbar unaufhaltsame Anwachsen der Arbeiterbewegung durch ein alternatives Deutungsangebot aufzuhalten, das den Arbeiter nicht länger auf seine Funktion als Arbeitskraft reduziere (133). Um dieses Deutungsangebot bei den Arbeitern auch tatsächlich zu verankern, ehrte die Firma Jubilare, feierte sich selbst und gab Gedenkmünzen der Firma aus. Für eine größere Öffentlichkeit waren die historischen und wissenschaftlichen Studien gedacht, die die Firma veranlasste: Die große Firmenfestschrift, die seit 1905 vorbereitet worden war [1], ebenso wie die Studien Richard Ehrenbergs und Hugo Racines zu den Krupp'schen Arbeiterfamilien [2] und die historischen Studien Wilhelms Berdrows, der nach 1912 die Geschichtliche Abteilung, das spätere Krupp-Archiv leitete und neben der zweibändigen Biografie Alfred Krupps eine Reihe weiterer Darstellungen von Familie und Unternehmen verfasste. [3]
Die Beschwörung der "Werksgemeinschaft" der "Kruppianer", das macht Tenfelde deutlich, sollte dem Erhalt und der Legitimierung des status quo dienen. Das Erreichte zu bewahren, es abzuschirmen gegen die Forderungen der Sozialdemokratie, benennt Tenfelde als das eine Ziel des Jubiläums. Ein Weiteres bestand darin, die Verbindung der Firma zum Kaiser, zu Einheit und Größe des Reiches zu unterstreichen. Dies sollte bekräftigt werden durch einen besonderen Höhepunkt. Er war geplant als Abschluss des kaiserlichen Besuchsprogramms, dessen formalisiertes Ritual aus Empfängen mit Reden, Besichtigungen und Festessen in dem Band nicht zuletzt anhand der abgebildeten Dokumente anschaulich wird. Ein Ritterspiel aus der Zeit Maximilians I. sollte den Fortschritt, natürlich besonders denjenigen der Waffentechnik, dazu den Kaiser und Reich glorifizieren. 314 Mitwirkende, leitende Angestellte des Unternehmens, ihre Frauen und Kinder, hatten hierfür seit Monaten geprobt. Die Handlung des Stückes war trivial, doch die Ausstattung mit Kostümen und Requisiten opulent. Eine einzige Aufführung war geplant, allein für den Kaiser und sein Gefolge. Doch dann waren der gigantische Aufwand und die monatelangen Vorbereitungen umsonst. Die Aufführung fand nicht statt, denn am Vortag hatte sich im benachbarten Bochum eines der schwersten Grubenunglücke des Ruhrgebietes ereignet und 112 Todesopfer gefordert. Der Kaiser verkürzte seinen Aufenthalt in Essen, um den Überlebenden und Hinterbliebenen der Katastrophe sein Beileid auszusprechen. Die Aufnahmen der Darsteller in ihren prächtigen historischen Gewändern, die Gustav Krupp von Bohlen und Halbach Monate später als Erinnerung und Entschädigung für die ausgefallene Aufführung anfertigen ließ, dokumentieren gemeinsam mit einem Foto von der Generalprobe dieses in seinem floskelhaften Historismus ganz und gar wilhelminische Ereignis. Es ist mithin weniger eine wirtschaftshistorische Studie im engeren Sinn, als eine zur Mentalitätsgeschichte der politischen und wirtschaftlichen Elite des Kaiserreiches. Das macht sie nicht nur für Spezialisten, sondern für einen größeren Leserkreis interessant.
Anmerkungen:
[1] Krupp 1812-1912. Zum 100-jährigen Bestehen der Firma Krupp und der Gußstahlfabrik zu Essen, hg. auf den hundertsten Geburtstag Alfred Krupps, Jena 1912.
[2] Hugo Racine: Krupp'sche Arbeiterfamilien, Naumburg 1912; Richard Ehrenberg: Krupp-Studien I - III, in: Thünen-Archiv Bd. II (1907-1909), 204-220; 220-227, Bd. III (1910/11), 1-164; Richard Ehrenberg / Hugo Racine: Krupp'sche Arbeiterfamilien. Entwicklung und Entwicklungsfaktoren von drei Generationen deutscher Arbeiter, in: Archiv für Wirtschaftsforschung 4 (1912), 1-398.
[3] Wilhelm Berdrow: Alfred Krupp, 2 Bde., Berlin 1927; ders. (Hg.): Alfred Krupps Briefe 1826-1887, Berlin 1928; ders.: Friedrich Krupp. Der Gründer der Gußstahlfabrik in Briefen und Urkunden, Berlin 1915; ders.: Die Familie Krupp in Essen von 1587 bis 1887; Essen o. J. [1931]; ders.: Alfred Krupp und sein Geschlecht. 150 Jahre Krupp-Geschichte 1787-1937, nach den Quellen der Familie und des Werkes, Berlin 1937.
Klaus Tenfelde: "Krupp bleibt doch Krupp". Ein Jahrhundertfest: Das Jubiläum der Firma Fried. Krupp AG in Essen 1912, Essen: Klartext 2005, 176 S., 178 Abb., ISBN 978-3-89861-364-4, EUR 29,95
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