Der Staufer Friedrich II. (1194-1250) galt schon den Zeitgenossen als "stupor mundi", als Staunen der Welt, wobei im Begriff "stupor" nicht nur Ehrerbietung, sondern durchaus auch Furcht mitschwingt. Begeisterung ebenso wie Ablehnung, beides wissenschaftlich fundiert oder ideologisch verzerrt, haben seitdem die Beurteilung des letzten Stauferkaisers begleitet, und dies bis in unsere Tage. Eine zusammenfassende Gesamtschau auf mehr als 750 Jahre Rezeption jener mittelalterlichen Herrschergestalt, die als "Verwandler der Welt", "Endkaiser", "erster moderner Mensch auf dem Thron" (so der berühmte und missverstandene Ausspruch Jacob Burckhardts) oder eben als "feuriger Herr des Anfangs" (Kantorowicz) beurteilt worden ist, ist jedoch bis jetzt ein Desiderat der Forschung gewesen.
Die an der Universität Kiel vorgelegte Dissertation von Marcus Thomsen schließt nun in dankenswerter Weise diese Lücke. Der Verfasser geht dabei chronologisch, nach Epochenabschnitten, vor und beschränkt sich weitestgehend auf die deutschsprachige Literatur (abgesehen natürlich vom lateinisch geprägten Mittelalter). Die Fragestellungen - Autor und Adressat der Rezeptionsquelle, Rezeptionszeugnis selbst sowie zeitgeschichtlicher Kontext (26) - sind in der Einleitung klar strukturiert wiedergegeben und werden über die einzelnen Epochenabschnitte eingehalten. Ob plakative Überschriften, etwa gleich zu Anfang ("Ein Hitler des 13. Jahrhunderts?", 9), manchen Leser nicht eher abschrecken, sei dahingestellt.
Im ersten Teil (29-92) behandelt Thomsen die Rezeption Friedrichs II. vom 13. bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert. Neben der Behandlung der berühmten "falschen Friedriche" (46-49) und der Kyffhäuser-Problematik (57-61; sie wird für das 19. Jahrhundert noch einmal aufgegriffen, 98-101, 154-156) sei vor allem auf die Geschichtsschreibung der Reformationszeit aufmerksam gemacht (78-85), da die Friedrich-Rezeption dieser Zeit selbst dem Fachhistoriker weitgehend unbekannt sein dürfte und zudem hier erstmals deutlich der Konnex zwischen Urteil und zeitgeschichtlichem Kontext aufscheint: Von reformatorischer Seite etwa wurde eines der zentralen Themen in der Auseinandersetzung mit Friedrich II. - der Kampf mit den Päpsten - eindeutig zu Gunsten des Kaisers ausgelegt, Friedrich sogar als "Kirchenreformer" oder als "Protestant" verstanden. Hier wird die eigentlich triviale Erkenntnis, dass Rezeptionsgeschichte nicht ohne die Aufnahme und kritische Bewertung der jeweiligen zeitlichen Umstände auskommt, besonders deutlich.
Mehr als zwei Drittel von Thomsens Arbeit sind den vergangenen 200 Jahren gewidmet; dieses scheinbare Ungleichgewicht liegt in der Natur der Sache begründet, da die Instrumentalisierung des Staufers eigentlich erst im 19. und 20. Jahrhundert deutlich zu Tage tritt. Grundsätzlich positiv ist für die folgenden Abschnitte festzustellen, dass sich Thomsen nicht nur auf die (wissenschaftliche) Historiografie beschränkt, sondern auch populärwissenschaftliche und literarische Äußerungen einbezieht, ja sogar das Friedrich-Bild in den Schulbüchern untersucht. Mögen diese Äußerungen dem universitären und fachhistorischen Betrieb womöglich wenig nützlich sein, so zeigen sie doch die mal mehr, mal weniger prägnant ausgebildete Bewusstmachung nicht nur Friedrichs II., sondern der gesamten mittelalterlichen Epoche "im Volk".
Der zweite, ein wenig langatmige Teil (93-148) behandelt die Rezeption im frühen 19. Jahrhundert, also der napoleonischen Zeit, jener des Vormärz' und der Romantik: Neu aufkeimende Mittelalterbegeisterung, die allerdings weniger Friedrich II. betraf als eher grundsätzlich die Staufer - siehe auch die neue Kyffhäuser-Rezeption um Barbarossa (98-101) -, stand der beginnenden harschen Kritik an der Vernachlässigung des Deutschen Reiches durch den letzten Stauferkaiser gegenüber. Diese verschärfte sich dann im Zuge der kleindeutschen / großdeutschen Auseinandersetzungen, die im berühmten Sybel-Ficker-Streit ihren Höhepunkt fand (162-165, im Teil zur Rezeptionsgeschichte um 1900, 149-210). Erstaunlich für das 19. Jahrhundert ist in jedem Fall die Koexistenz von kritikloser Befürwortung der Friderizianischen Politik (Raumers "Geschichte der Hohenstaufen", 111-115) und deren vollständiger Verurteilung (Schlossers "Weltgeschichte", 127-129; Raumer und Schlosser seien hier nur exemplarisch herausgehoben) in der gelehrten Welt - die ja auch Politik machte: Die Nationalversammlung bestand bekanntlich zu einem nicht unbedeutenden Teil aus Historikern!
Eine wesentliche Zäsur in der Friedrich-Beurteilung erfolgte dann, beginnend bei den zwar eher beiläufigen, dafür umso prägenderen Aussagen von Nietzsche über George durch Kantorowicz, an dessen Biografie auch heute niemand vorbeikommt, der sich mit Friedrich II. beschäftigen will. Thomsen kann hier nichts wesentlich Neues bieten (229-237), was aber nicht verwundert, denn die Literatur zur Kantorowicz-Rezeption ist Legion (siehe das ausführliche Literaturverzeichnis bei Thomsen). Nichtsdestotrotz sind Entstehung und vor allem Wirkungsgeschichte von Kantorowicz' Biografie vorbildlich aufgearbeitet, bis hin zu dessen verbitterten Kommentaren anlässlich der Neuauflage seines Werkes 1963 (295 f.).
Im vierten Teil (211-286) behandelt der Autor die Zeit von 1918 bis 1945 und zeigt auf, wie ambivalent die Beurteilung - und politische Inanspruchnahme - des Staufers durch die jeweiligen Machthaber war: Zwar ließ sich im "Dritten Reich" die "Ostpolitik" des Kaisers, also die bevorzugte Behandlung des Deutschen Ordens, hervorragend als Propagandamittel für die Erschließung neuen Lebensraumes im Osten instrumentalisieren, gleichwohl tat man sich bei Friedrichs toleranter Haltung gegenüber den Juden deutlich schwerer - und überging sie deshalb meist auch (259-270).
Für die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (287-315) konstatiert der Autor ein Abebben exaltierter Bewunderung bzw. Kritik und die Rückkehr zum rein wissenschaftlichen Alltag. Von einer "Versachlichung" des Friedrich-Bildes zu sprechen (304) ist in diesem Zusammenhang zutreffend. Mit Staunen liest man jedoch, dass in der Unterrichtszeitschrift "Geschichte lernen" neue Aspekte des Friedrich-Bildes aufgearbeitet werden, nämlich dessen multikulturelle, vor allem aber orientalisch geprägte Interessen (311 f.): Ob hier neue Gesichtspunkte, welche die heutige Zeit im Konflikt Islam - westliche Welt prägen, aufgearbeitet werden sollen, wird nicht ganz deutlich; zu wünschen ist eine solche anachronistische Vereinnahmung des Staufers jedenfalls nicht.
Thomsens Arbeit wird mit einem sehr kurz gefassten Ausblick auf die beiden Jubiläumsjahre 1994 und 2000 abgerundet (314 f.). Hier wäre es allerdings wünschenswert gewesen, auch die italienische Rezeption zumindest ansatzweise zu behandeln, denn - wie der Autor richtig bemerkt - diese beiden Ereignisse gingen in Deutschland nahezu unter, ganz im Gegensatz zu Italien. Zusammenfassende Schlussbetrachtungen beenden die Rezeptionsgeschichte zu Friedrich II. (317-321). Es sind vier Abbildungen beigegeben.
Was insgesamt sehr positiv bei Thomsens Arbeit auffällt, sind der strikt deskriptive Tenor und die zahlreichen Zitate aus den jeweils behandelten Arbeiten; damit bleibt der Charakter beschreibender - und weniger wertender - Rezeptionsgeschichte bewahrt. Was jedoch vermisst wird, ist ein Personenregister; vielleicht wäre sogar ein zusätzliches Autorenregister sinnvoll gewesen. Beispielsweise ist es höchst bemerkenswert, dass die Bewertung Friedrichs II. in manchen Epochen eng verwoben ist mit Petrus de Vinea, seinem engen Vertrauten und wohl höchsten Funktionär, der den Staufer 1249 verraten sollte. Zur Untersuchung etwa eines solchen Spezialfalles wäre es aufgrund mangelnder, das Werk erschließender Register notwendig, die gesamte Arbeit durchzuarbeiten, was für Einzelfragen nun doch zu aufwändig ist. Die Verwendbarkeit des insgesamt ansprechenden und gelungenen Buches ist dadurch geschmälert.
Marcus Thomsen: "Ein feuriger Herr des Anfangs ...". Kaiser Friedrich II. in der Auffassung der Nachwelt (= Kieler Historische Studien; Bd. 42), Ostfildern: Thorbecke 2005, 367 S., ISBN 978-3-7995-5942-3, EUR 48,00
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