Die vorliegende Göttinger Dissertation von 2004 untersucht das Phänomen der Untertanenliebe in deutschen Staaten um 1800 recht breit neu und will dabei die existierende Forschung weitgehend korrigieren. Die leitende These ist, dass man das Verhältnis der deutschen Bürger zu ihren Monarchen zu dieser Zeit keinesfalls eindeutig bestimmen könne. Weder habe das höfische Zeremoniell nur der Machtsicherung gedient noch habe es die Treue der Untertanen befördern können. Auch die Motivation der Bürger beim Kult um den Monarchen sei ganz unterschiedlich gewesen. Gegliedert ist die Studie in drei Teile, flankiert von einer ausführlichen Einleitung und einem zusammenfassenden Schluss. Teil 1 widmet sich dem Zeremoniell der Herrscher, Teil 2 untersucht die Untertanen und das monarchische Zeremoniell, Teil 3 schließlich nimmt den Monarchenkult der Untertanen in den Blick.
Die Einleitung weist auf ein Desiderat der Forschung hin, das Büschel bei Studien zu monarchischen Festen konstatiert: Die seien häufig als Oppositionsveranstaltungen, selten als Ehrenfeste untersucht. Die Strukturgeschichte zur Sattelzeit sehe die Monarchie um 1800 pauschal in der Krise. Untersuchungen zur Untertanenliebe fehlten daher. Diese Lücke will der Autor schließen. Seine exemplarischen Untersuchungen zu Preußen, Bayern, Weimar, Coburg und Gotha in der Zeit von 1770-1830, insgesamt Krisenjahre der Monarchie, beziehen deutsche Groß- und Kleinstaaten ein, die protestantisch und katholisch sind und daher eine besonders große Repräsentativität beanspruchen können.
Büschel stellt für die vorliegende Forschung - seine Beispiele sind die Arbeiten von Monika Wienfort und Andreas Gestrich - fest, sie folge lediglich dem sozialgeschichtlichen Interpretationsmuster, nach dem das Bürgertum seit der Aufklärung der Monarchie gegenüber kritischer geworden sei. Für ausgewogenere Analysen biete sich die Methode der Mikrogeschichte an. Dichte Beschreibungen aus der Akteursperspektive sollen die "vertikale [...] Wirkung symbolischer Politik" zeigen, ohne eine allzu "gleichförmige Rezeption von Symbolen" zu unterstellen (31). Ziel sei die Beschreibung von Wahrnehmungen und Erfahrungen zum Monarchenkult. Die methodischen Probleme der Mikrogeschichte sucht Büschel durch Einzelfallvergleiche zu kontrollieren, die zusammen eine historische Tendenz ergeben sollen. Als Quellen werden drei Gruppen herangezogen: 1. werden Archivquellen der Hofmarschallämter, Ministerien, Hofratssitzungen und Polizeiberichte zum Zeremoniell benutzt. 2. werden gedruckte Berichte und Festbeschreibungen ausgewertet, die schließlich 3. durch Ego-Dokumente ergänzt werden. So soll gezeigt werden, dass der Monarchenkult sowohl mehr als nur Mittel der Selbstdarstellung des Herrschers sei wie dass er auch nicht nur Reflex untertäniger Liebe war. Ein "differenziertes Bild der bürgerlichen Gesellschaft" entstehe nur, wenn man das Verhältnis der Bürger zu den Monarchen als kompliziert und differenziert begreife (52).
Im ersten Teil formuliert Büschel seine Kritik an der Vorstellung, das Zeremoniell sei im Sinn von Elias' 'Höfischer Gesellschaft' ein Herrschaftsinstrument, das um 1800 durch die Verbürgerlichung der Monarchie an Einfluss verliere. Selbst die neuesten Untersuchungen von Ute Daniel oder Johannes Paulmann irrten, wenn sie glaubten, die Herrscher hätten um Anerkennung ringen müssen. Darüber gäben die benutzten Quellen kaum Auskunft. Auch Barclays These von der Herrschaftsinszenierung durch erfundene Traditionen in Preußen hält der Autor für verfehlt: Das preußische Ordens- und Krönungsfest etwa zeige keine Hinweise auf eine solche Technik, da die Untertanen teilweise ausgeschlossen gewesen seien.
Am Beispiel von Huldigungen und Trauerritualen fragt Büschel danach, ob es sich um Formen symbolischer Unterwerfung gehandelt habe. Bei Huldigungen seien Staatsrecht und Praxis im Widerspruch gewesen. Der Eid der Untertanen blieb wichtig, die zeremonielle Form nicht. Auch wenn sich diese These am Beispiel Coburg nicht verallgemeinern lasse (108), ging die Obrigkeit nach Büschel nicht von einem Bedeutungsverlust der Huldigung aus. Allerdings war der Eid zeremoniell, aber auch lediglich bürokratisch möglich. Trauerrituale hatten in allen Untersuchungsstaaten eine große Bedeutung. Gegen die Forschungsmeinung, die den pompe funèbre für eine Herrschaftsinszenierung hält, die nur aus kameralistischen Gründen eingeschränkt wurde, ist die These hier, dass die Reglementierungen des Zeremoniells es als Machtinstrument untauglich machen, zumal die Untertanen gar nicht die Adressaten seien (130, 136). Der Obrigkeit sei es nur staatsrechtlich als rite de passage wichtig gewesen, nicht wegen seiner Wirkungen auf Teilnehmer. Das Zeremoniell, so schließt Teil 1, sei Teil des Staates, es diene aber nicht pauschal der Disziplinierung. Es sei Bestandteil, nicht Zweck des dynastischen Herrschaftssystems. Hier könne der Untertan seinen Monarchen wahrnehmen (141). Büschel lässt offen, ob er hierin den alleinigen Zweck des Zeremoniells sieht.
Teil 2 setzt wiederum mit einer Diskussion der neueren Forschung von Giesey bis Chartier ein, in der allgemein angenommen werde, Zeremonielle hätten Treue und Anhänglichkeit befördert und die Macht stabilisiert. Für Büschel dominieren die Meistererzählungen die Forschung gänzlich und führen zu unzureichenden Thesen (153). Der Autor plädiert für kritischen Abstand zu den normsetzenden Studien, deren Thesen er wissenschaftshistorisch erklärt, aber in zwei Punkten widerspricht: Der Glaube an die Sakralität der Monarchie sei nicht einfach verschwunden, und aus rituellen Formen könne man nicht einfach auf ihre kollektive Wirkung schließen. Die Konzentration auf die Präsentationsformen mit den entsprechenden methodischen Prämissen dominiere seit der Annales-Schule über die New History bis heute. Büschel wendet ein, selbst Quellen wie Publikumsberichte oder Ego-Dokumente ließen kaum valide Rückschlüsse auf das Verhalten des Publikums zu, es gebe "keine eindeutigen Schlüsse auf kollektive Befindlichkeiten" (201). Die Rezeption monarchischer Zeremonielle lasse sich nicht eindeutig als Begeisterung oder Ablehnung deuten. Die individuelle Lage und die Interessen der Akteure seien so heteronom, dass man nur Einzelfallrekonstruktionen anbieten könne.
Auch der dritte Teil über den Kult der Untertanen geht grundsätzlich davon aus, dass Berichte über Ehrenfeiern "denkbar ungeeignet" (246) für Rückschlüsse auf Motive der Untertanen sind. Die Interessen der Honoratioren seien sehr unterschiedlich. Die Feste zeigten die Bedeutung des Monarchenkults, nicht die Gefühle der Ausrichter. Zu viele Organisationsebenen waren beteiligt, manche Feste wurden obrigkeitlich reglementiert, manche Veranstaltungen verboten, anderes angeordnet. Trotz ganz unterschiedlicher Ansichten über die Formen der Ehrerbietung gab es aber Handlungsspielräume für die Untertanen, besonders im Vormärz. Coburg versuchte diese durch Reglementierungen einzuschränken, in Weimar wurden die Anordnungen frei bis zum offenen Widerspruch ausgelegt. Wieder glaubt der Autor, jetzt im Widerspruch zu Warburgs Pathosformeln, nicht daran, aus den Formen des Kults auf Einstellungen schließen zu können, wenngleich es Feiern gab, die pro-monarchisch aussahen - und es auch waren. Jedoch konnte der Monarchenkult sogar instrumentalisiert werden, um die Beziehung zum Herrscher neu zu verhandeln. Im Sinne des do ut des liefen manche Gaben, Geschenke und Gesten auf eine "subtile Verpflichtung" (323) des Herrschers hinaus. Anhänglichkeitsbekundungen konnten mit der Kritik verbunden sein, es fehle dem Herrscher an obligatorischer Landesvater-Liebe.
Das Fazit der Studie scheint zu sein, dass nur wenig so war, wie es sich dem Historiker auf den ersten Blick darstellt. Äußerungen von Liebe und Treue konnten Gefühlen geschuldet sein, aber auch ganz anderen Interessen folgen. Für Büschel sind nur Möglichkeiten feststellbar: "Aus der Perspektive der Geschichtsforschung muss offen bleiben, ob deutsche Untertanen um 1800 ihre Monarchen nun wirklich liebten oder dies nur vorgaben." (345) Die Bedeutung der Monarchen sei groß gewesen, aber ihre Bewertung war keineswegs pauschal positiv oder negativ. Mikrohistorisch liegt für diese Studie die Wahrheit im Einzelfall.
Büschels Arbeit überzeugt durch einen sicheren Stil, intensive Auseinandersetzung mit den Quellen und der Forschung und den leserfreundlichen, wenngleich sehr kleinteiligen Aufbau. Auch die Thesen zeichnen sich durch große Deutlichkeit aus, wenngleich sich gelegentlich das Gefühl der Überpointierung einstellt. Das liegt daran, dass mit den Methoden der Mikrogeschichte fast alle etablierten Thesen der Strukturgeschichte bestritten oder relativiert werden. Hier liegt das zentrale methodische Problem. Die Studie eröffnet neue Perspektiven, aber letztlich hat Büschel kein Gegenangebot zur Interpretation des Zeremoniells durch die Meistererzählungen. Die mikrohistorische Anlage lässt außer Einzelfallbeschreibungen keine größeren Deutungen zu, warum denn so lange an zeremoniellen Formen festgehalten wurde, wenn sie nicht kalkulierbar gewirkt haben und auch Untertanenfeiern so unterschiedlich motiviert waren. Die Einzelfälle sagen letztlich doch wenig über das Phänomen, weil alle Ergebnisse relativiert werden müssen. Zudem stehen mit den unterschiedlichen Feiern auch disparate Ereignistypen nebeneinander, die sich nicht einfach in einer Kritik zusammenfassen lassen. Der große Reiz der Masternarrative waren Geschichtsdeutungen zur longue durée. Das will diese Studie nicht bieten. Ihr großes Verdienst liegt darin, die allzu sicheren Thesen einer sich seit Jahrzehnten fortschreibenden Forschung kritisch auf ihre Ursprünge zu beziehen und sie damit zu hinterfragen.
Hubertus Büschel: Untertanenliebe. Der Kult um deutsche Monarchen 1770-1830 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 220), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, 419 S., ISBN 978-3-525-35875-7, EUR 69,00
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