Die Wettiner sind wieder da. Nachdem die bedeutendste Dynastie in der Mitte des alten Reiches in der bundesdeutschen Forschung der Nachkriegszeit nahezu vergessen war, wendet sich die Aufmerksamkeit nicht nur der Landesgeschichte seit einigen Jahren wieder verstärkt dem sächsisch-thüringischen Raum zu. Jörg Rogges Buch ist deshalb nur zu begrüßen. Es stellt die erste wissenschaftlich fundierte Gesamtdarstellung der Geschichte der Wettiner vom 11.-16. Jahrhundert seit Karlheinz Blaschkes sächsischer Landesgeschichte im Mittelalter dar. [1] Das Werk wendet sich an ein breites Lesepublikum, darf aber auch im Fach auf großes Interesse rechnen. Denn Rogge, der mit eigenen Arbeiten, vor allem mit seiner 2002 erschienenen Habilitationsschrift einen wesentlichen Beitrag zur neueren Wettiner-Forschung geleistet hat [2], sucht deren Erkenntnisse in seiner Überblicksdarstellung erstmals zu bündeln und in den größeren Kontext der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte der Dynastie einzubetten. [3]
In acht Kapiteln schildert Rogge den Aufstieg der Wettiner bis ins ausgehende 16. Jahrhundert. Wichtige Stationen dieser Entwicklung sind zunächst die frühe Herrschaftsbildung der Familie im Saale-Mulde-Raum und die Erlangung der Markgrafschaft Meißen im Jahr 1089 sowie die Etablierung der wettinischen Markgrafen des 12. Jahrhunderts im Kreis der ranghöchsten Fürsten der Stauferzeit (13-27, 29-58). Das dritte Kapitel fasst höchst unterschiedliche Entwicklungsschritte zusammen (59-92): vom folgenreichen Erwerb Thüringens in der Mitte des 13. Jahrhunderts über die nachfolgende innerdynastische Krise, die die Wettiner fast die Herrschaft gekostet hätte, bis zum Rückerwerb Meißens und Thüringens durch Markgraf Friedrich I. (1307-1323).
In den folgenden beiden Kapiteln (93-121, 123-154) zeichnet Rogge die politischen Entwicklungslinien vom frühen 14. Jahrhundert bis zur Verleihung der sächsischen Kurwürde 1423 an Markgraf Friedrich IV. (1381-1428) nach: Intensivierung der Herrschaft nach innen, territoriale Teilungen bei Wahrung der dynastischen Einheit und eine vorsichtige, erfolgreiche Politik gegenüber dem Hausmachtkönigtum insbesondere der Luxemburger sind die hervorstechenden Charakteristika dieser Phase. Kapitel 6 ist dem 15. Jahrhundert gewidmet (155-184): Der Aufstieg der Wettiner zu Herzögen und Kurfürsten von Sachsen und der Ausbau ihrer Hegemonialstellung im mitteldeutschen Raum prägten diese Jahrzehnte ebenso wie der tief greifende innerdynastische Konflikt im so genannten Sächsischen Bruderkrieg (1446-1451) und die erneute, nun allerdings folgenreichere Teilung der Herrschaft 1485 zwischen den regierenden Brüdern, Kurfürst Ernst (1464-1486) und Herzog Albrecht (1464-1500).
Die letzten beiden Kapitel des Buches (185-206, 207-241) verfolgen die weitere politische Geschichte nur noch in der albertinischen Linie des Hauses Wettin, das sich spätestens mit der Niederlage des gegen Kaiser Karl V. zu Felde ziehenden ernestinischen Kurfürsten Johann Friedrich I. (1532-1554) in der Schlacht von Mühlberg (1547) und der Übertragung der Kurwürde an dessen kaisertreuen Vetter Moritz von Sachsen entzweite. Während die Ernestiner in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts rasch an Bedeutung verloren, legten die Albertiner unter den Kurfürsten Moritz (1541/47-1553) und August (1553-1586) die Grundlagen für den Ausbau des kursächsischen Staates der Neuzeit.
Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt deutlich im Spätmittelalter. Zwei Drittel des Textes gelten der Zeit vom frühen 14. Jahrhundert bis zum späten 16. Jahrhundert. Hier liegen auch die Stärken der Darstellung. Sehr überzeugend und gut verständlich werden die politischen und strukturgeschichtlichen Entwicklungslinien der wettinischen Herrschaft nachgezeichnet. Daneben werden zentrale kulturgeschichtliche Aspekte wie das höfische Leben, fürstliche Repräsentation und Memoria sowie die innerdynastische Kommunikation beleuchtet. Für Letzteres kann Rogge auf die Ergebnisse seiner eigenen Untersuchungen zurückgreifen und sehr anschaulich zeigen, wie es den Wettinern über lange Zeit gelungen ist, die Herrschaft zwar zu teilen, die dynastische Einheit aber zu wahren.
Kritisch nachzufragen wäre nur an einigen wenigen Punkten des Buches. Die Darstellung, nach der Kaiser Heinrich VI. (1190-1197), der hier durchweg nur als König bezeichnet wird (46-49), im Jahr 1196 die Zustimmung der Kurfürsten zu seinem Erbreichsplan zu gewinnen suchte (48), ist zu korrigieren: Kurfürsten gab es im ausgehenden 12. Jahrhundert noch nicht. Die von dem hessischen Landeschronisten Wigand Gerstenberg an der Wende zum 16. Jahrhundert nacherzählten Höhe- und Wendepunkte des thüringisch-hessischen Erbfolgekrieges (1247-1264) sind mit umsichtigerer Quellenkritik zu behandeln, als das bisher geschehen ist. Der Chronist bearbeitete seine Vorlagen aus dem 14. und 15. Jahrhundert sehr bewusst und erweiterte sie in entscheidenden Punkten. Deshalb greift die Interpretation Rogges, der an Gerstenbergs Berichte über die Erbfolgestreitigkeiten zwischen dem wettinischen Markgrafen Heinrich dem Erlauchten (1221-1288) und seiner ludowingischen Cousine Sophie von Brabant um die Mitte des 13. Jahrhunderts weit reichende Schlussfolgerungen knüpft, zu kurz (66-67). Inwiefern in Gerstenbergs tendenziöser, durchaus antiwettinisch gefärbter Schilderung "unterschiedliche Muster der Weltwahrnehmung" (66) zu Tage treten, die Rogge Markgraf Heinrich und Herzogin Sophie zuschreibt, wäre vielmehr im Hinblick auf den Chronisten selbst zu diskutieren.
Aus der Perspektive der modernen sächsischen Landesgeschichte fragend, widmet sich Rogge vor allem den Markgrafen von Meißen und ihrem Herrschaftsraum zwischen Saale und Elbe. Thüringen, dessen Bedeutung für die Wettiner traditionell gerne unterschätzt wird, hätte man insgesamt stärker gewichten können. Rogge würdigt zwar ausführlicher auch die Regentschaften der thüringischen Wettiner Balthasar (1349/82-1406), Friedrich (1406-1440) und Wilhelm III. (1445-1482). Ab der Leipziger Teilung von 1485 mündet die Schilderung jedoch in eine Geschichte Sachsens und seiner albertinischen Fürsten ein. Das letzte Kapitel des Buches konzentriert sich schließlich ganz auf die "forcierte Staatsbildung" (207) in Kursachsen unter den beiden Brüdern Moritz und August und schließt mit dem Tod des Letzteren 1586. Die sonst für den Abschluss von Darstellungen der politischen Geschichte des Hauses Wettin im Mittelalter bevorzugten Zäsuren - die Leipziger Teilung von 1485 oder der Verlust der Kurwürde Johann Friedrichs I. im Jahr 1547 - werden hier mit guten Gründen konterkariert, allerdings aus albertinisch-sächsischem Blickwinkel.
Der Anhang enthält Anmerkungen, die ausgewählte Belegstellen aus den Quellen und der Literatur nennen (246-247), und eine übersichtliche Stammtafel (248-249), die indes nur die regierenden Markgrafen, Landgrafen, Herzöge und Kurfürsten aus wettinischem Haus berücksichtigt (zu korrigieren: Dietrich der Bedrängte wird erst 1198, nicht 1197 Markgraf von Meißen; Landgraf Balthasar stirbt 1406, nicht 1408; sein Sohn Friedrich tritt 1406/07 das Erbe an, nicht 1408). Eine Karte des sächsisch-thüringischen Raumes fehlt leider. Dafür bietet der Anhang ein Glossar, das über 50 Begriffe aus der mittelalterlichen Rechts-, Verfassungs- und Kirchengeschichte jeweils knapp erläutert (250-255). Die anschließende Auswahlbibliografie (256-271) nennt neben den wichtigsten Quellen- und Regestenwerken (hier hätte man sich für die Reinhardsbrunner Chronik die Nennung der maßgeblichen MGH-Edition von 1896 statt der veralteten Ausgabe von 1854 gewünscht) sowie übergreifenden Darstellungen die jeweils einschlägige Fachliteratur zu jedem Kapitel. Auf ein Orts- und Personenregister wurde verzichtet.
Die wenigen, marginalen Kritikpunkte, die hier anzumerken waren, fallen für eine Beurteilung des Werkes insgesamt nicht ins Gewicht. Rogge ist zweifellos eine sehr überzeugende, gut lesbare Gesamtdarstellung gelungen, die jeder, der sich künftig mit der Geschichte der Wettiner im Mittelalter beschäftigt, dankbar zur Hand nehmen wird.
Anmerkungen:
[1] Karlheinz Blaschke: Geschichte Sachsens im Mittelalter, Berlin 1990.
[2] Jörg Rogge: Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel. Das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters; 49). Stuttgart 2002; s. hierzu die Rezension von Mathias Kälble, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 2 [15.02.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/02/3393.html.
[3] Vgl. hierzu zuletzt die zusammenfassenden Beiträge in: Werner Paravicini (Hg.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, 2 Bde., bearb. von Jan Hirschbiegel und Jörg Wettlaufer (= Residenzenforschung; 15/1-2), Ostfildern 2003, hier Bd. 1, 19-27 (Albertiner), 61-70 (Ernestiner), 213-218 (Wettin).
Jörg Rogge: Die Wettiner. Aufstieg einer Dynastie im Mittelalter, Ostfildern: Thorbecke 2005, 271 S., ISBN 978-3-7995-0151-4, EUR 24,90
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