In seinen einleitenden Bemerkungen zur Zielsetzung und Methode seiner Arbeit weist der Verfasser mit Recht darauf hin, dass die "Literatur zum Thema Germanen" inzwischen uferlos geworden ist. Umso mehr sind Fleiß, Energie und Übersicht Krierers bei der Sammlung und Auswertung eines überaus umfangreichen und weit verstreuten Quellenmaterials zu bewundern. Er hat faktisch alle bekannten Germanenbilder der Antike erfasst.
Im Mittelpunkt seiner Untersuchungen stehen zwar archäologische Interpretationen, doch beschränkt er sich nicht auf diese Thematik, sondern ordnet die archäologischen Funde jeweils in ihren größeren historischen Kontext ein. In diesem Rahmen untersucht er zunächst die allgemeine Barbarentopik, die er bis in die Anfänge entsprechender Darstellungen in der griechischen Kunst zurückverfolgt. Er verdeutlicht, dass ein Bild der Germanen in römischer Sicht gleichsam aus verschiedenen Teilbildern bestand (31) und ursprünglich stark durch ältere Vorstellungen der Römer vom nördlichen Barbaren geprägt war. Es handelte sich im Unterschied zu den Skythenbildnissen der griechischen Vasenmalerei zumeist um ein Feindbild, das sich am Gallierbild orientierte, dessen Entwicklung wiederum vom hellenistischen Galaterbild abgeleitet werden kann. Zu beachten ist, dass Krierer den Barbarenbegriff, der nach Joseph Vogt eine Art "Parole der antiken Kultur" wurde, ohne wertende Konnotation verwenden möchte (90).
Seine detaillierten Erläuterungen zum antiken Gallierbild und zur römischen Germanenikonografie fundiert Krierer durch relativ ausführliche "Vorbemerkungen" (45-60), in denen er die historischen und ethnografischen Voraussetzungen der Typologie der Abbildungen bis zum Gallischen Krieg Caesars erörtert sowie Erfahrungen der Römer mit "Nordvölkern" bis in die Zeit des Augustus skizziert. Er vermutet, dass die römischen militärischen Operationen des zweiten Jahrzehntes vor Christus entscheidend für das "zukünftige Germanenfeindbild" waren und hierbei die clades Lolliana den Ausschlag gegeben hat (48).
Von besonderem Interesse sind die zentralen Kapitel (64-98), in denen die Entwicklung und Chronologie des römischen Germanenbildes von der Zeit Caesars und des Augustus bis etwa 200 n. Chr. sowie der römische Barbaren- und Germanenbegriff ausführlich behandelt werden. Die Interpretationen der Bildnisse erfolgen auch hier stets in Verbindung mit der Darstellung der wichtigsten Phasen der römisch-germanischen Beziehungen in der genannten Zeit. Krierer erläutert hier überzeugend seine Hauptthese, dass die Entstehung eines römischen Germanenbildes im engeren Sinne in die mittlere Zeit des Prinzipats des Augustus zu datieren ist.
In der Beurteilung der Gründe für den Beginn der römischen Offensiven 12 v. Chr. ist Krierer mit Recht sehr vorsichtig. Er lässt es offen, ob die clades Lolliana das auslösende Moment war, und ist der Auffassung, dass der Vorstoß des Drusus über den Rhein damals nicht von langer Hand vorbereitet wurde. Sicherlich war zu dieser Zeit keine Eroberung Germaniens geplant. Auf die strittige Frage, ob Augustus überhaupt die Konstituierung einer "Provinz" Germania plante, geht Krierer indes nicht näher ein, und die weiteren Ausführungen zur römischen Germanenpolitik von Tiberius bis Mark Aurel bleiben recht skizzenhaft. Seinem primär archäologischen Interesse entsprechend thematisiert Krierer in den folgenden Kapiteln vielmehr die Häufigkeit der Germanenbildnisse in der Zeit Domitians und der Markomannenkriege Mark Aurels.
Ausführlich beschäftigt er sich ferner mit den überraschenden Funden der Bronzekessel von Musow und Czarnówko (Scharnhorst, Ostpommern). Im Mittelpunkt steht hierbei der Kessel von Musow mit seinen ethnisch sicher bestimmbaren Germanenbildern in Form von Köpfchen als Henkelattaschen. Krierer datiert die Bildnisse in die Zeit der Markomannenkriege aufgrund des ikonografischen Befundes. Das Problem der Datierung der Bildnisse am Kessel von Czarnówko lässt er offen, möchte aber nicht ausschließen, dass das dortige Grab in der Spätphase der Abwanderung der Goten / Gutonen von der unteren Weichsel in Richtung zum Schwarzen Meer angelegt wurde.
Bemerkenswert sind noch Krierers Vergleich der Germanendarstellungen auf Triumphsäulen des Traian und des Mark Aurel in Rom, ein Überblick über verschiedene Denkmälertypen mit Germanenbildern sowie eine Stellungnahme des Verfassers zur Frage der "Klientelverhältnisse Roms mit Germanen". Hierzu muss freilich angemerkt werden, dass es problematisch ist, in diesem Zusammenhang den Klientelbegriff zu verwenden, der bekanntlich ursprünglich ein innerrömisches Beziehungsgeflecht bezeichnete und nicht ohne weiteres auf höchst unterschiedliche außenpolitische Abhängigkeitsverhältnisse übertragen werden kann, wenn kein eindeutig zu fixierender Klientelstatus zu erkennen ist.
Ein Katalog aller behandelten Zeugnisse und eine lückenlose Dokumentation in Form von Abbildungen im Text und auf Tafeln ermöglichen es dem Leser, die Interpretationen des Verfassers stets nachzuvollziehen, und das umfangreiche Literaturverzeichnis beweist eindrucksvoll die breite Basis seiner Untersuchung. Leider erfüllt das präsentierte Bildmaterial nicht alle Wünsche.
Karl Reinhard Krierer: Antike Germanenbilder. Hrsg. v. Jürgen Borchhardt und Friedrich Krinzinger (= Archäologische Forschungen; Bd. 11), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2004, 259 S., 49 Tafeln, ISBN 978-3-7001-3239-4, EUR 98,90
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