Der Betrieb war in der DDR zentraler Ort nicht nur des Arbeitslebens im engeren Sinn, sondern umfassende sozialpolitische Instanz sowie Terrain kulturpolitischer Initiative. Während der DDR-Betrieb in der wissenschaftlichen Literatur vermehrt Aufmerksamkeit erfahren hat, blieb die Kulturarbeit im Betrieb bislang unterbelichtet. Diese Forschungslücke versucht Annette Schuhmann mit ihrer bei Ralph Jessen und Peter Hübner angefertigten Dissertation zu füllen. Sie gliedert ihre auf archivalischen und gedruckten Quellen basierende Studie in fünf, in ihrem Umfang und auch in ihrer Bedeutung sehr unterschiedlich gewichtete Kapitel. Ein mit drei Seiten äußerst knapp bemessener Schluss rundet die Studie ab.
Die Autorin informiert in der Einleitung über das Anliegen und den Aufbau der Studie, den Forschungsstand und die Quellenlage. Eigentümlicherweise verzichtet sie jedoch auf die Formulierung von Thesen und Fragestellungen. Auch eine Auseinandersetzung mit dem Begriff "Kultur" und seiner Bedeutung im Zusammenhang mit der Thematik vermisst der Rezensent. Stattdessen präsentiert Schuhmann im Vorgriff auf die folgenden Kapitel bereits grundlegende Ergebnisse ihrer Arbeit. Eine zentrale These lässt sich aus ihrem von Ralph Jessen und Richard Bessel geprägten Gesamtansatz ("Grenzen der Diktatur") filtern. In diesem Rahmen ist Schuhmann nicht nur bestrebt, den "Eigensinn" der Betriebsarbeiter den zentral gelenkten Vorgaben und Kampagnen gegenüberzustellen. Im Konkurrenz- und Kompetenzgeflecht von SED, staatlicher Kulturbürokratie, Betriebsleitungen und FDGB-Kulturabteilung versucht sie Handlungsspielräume aufzuspüren. Sie gelangt zum Ergebnis, dass der FDGB neben seiner Rolle als politischer Transmissionsriemen der SED in der Kulturpolitik als eigenständiger Akteur aufgetreten sei. Überzeugend erhärtet wird dieser Befund jedoch nicht. Das von Schuhmann im weiteren Verlauf der Arbeit präsentierte Beispiel, der "Nachterstedter Brief" von 1955, eignet sich nur eingeschränkt als Beleg. Dieser vom FDGB inszenierte "Brief" von Arbeitern, der die Schriftsteller der DDR zu verstärkter literarischer Aktivität im Sinne des "Neuen Menschen" aufrief, orientierte sich am sowjetischen Vorbild; diese Kampagne stand für die Vorbildfunktion der Sowjetunion auf die "Kulturpolitik der SED in der Mitte der fünfziger Jahre", wie Schuhmann selbst resümiert (212). Dass die kulturpolitischen Aktivitäten des FDGB nicht an der Partei vorbei realisiert wurden, steht außer Zweifel, dass die Partei nicht alles kontrollieren konnte ebenso - insofern sind die "Grenzen der Diktatur" systemimmanent.
Das erste Kapitel zur "Kulturarbeit des FDGB von 1946 bis 1970" stellt den Kern der Studie dar. Hier informiert Schuhmann über die grundlegenden Probleme und die Zäsuren der gewerkschaftlichen Kulturarbeit in den Betrieben. Am Anfang stehen traditionelle Bezüge zur Arbeiterbewegung vor 1933 und die Einflüsse des sowjetischen Vorbildes. Störend wirken die wenig differenzierten Verweise auf die Arbeiterkulturbewegung vor 1933. Feststellungen, dass sich das Grundmotiv des 1920 verstorbenen sozialdemokratischen Gewerkschaftsführers Carl Legien in kultureller Hinsicht nicht sonderlich von jenen der SED-Führung in den frühen 1950er-Jahren unterschieden habe, zeugen nicht gerade von vertiefter Kenntnis der Arbeiterkulturgeschichte.
Nach einer ersten wenig koordinierten Phase der Kulturarbeit trat mit dem 3. FDGB-Kongress 1950 eine Wandlung ein: Auf dem Programm stand nun kulturelle Massenarbeit mit dem Ziel ideologischer Erziehungsarbeit und der "kulturellen" Unterfütterung von Produktionskampagnen und Arbeitsdisziplin. Das Scheitern dieser Art ideologischer Kulturkampagne legt Schuhmann überzeugend dar. Sie arbeitet anschaulich den faktischen Wandel der Kulturarbeit heraus, der nicht auf politisch veränderten Konzepten oder gar auf Ansätzen von Demokratisierung basierte, sondern in pragmatischer Weise Kompromisse im Hinblick auf die Freizeit- und Kulturinteressen der Belegschaften schloss. Eine wesentliche Zäsur in dieser Entwicklung ist die ab 1959 beginnende Einrichtung der "Brigaden sozialistischer Arbeit". Die Kopplung der Prämienzuweisung an die drei verpflichtenden Kategorien der Brigadearbeit (Planerfüllung, Qualifizierung, Kultur) trug zusätzlich zu einer "Verflachung" bei. Wo der Kegelabend zur Kulturveranstaltung deklariert wurde und die Verkehrsschulung zur Qualifizierungsmaßnahme, wurden ideologische Vorgaben zur Makulatur. Eine weitere Zäsur stellt das ab Beginn der 1960er-Jahre propagierte "Neue Ökonomische System der Planung und Leitung" dar. Die den Betrieben nun zugeschriebene stärkere Eigenverantwortlichkeit auch in finanziellen Dingen führte teilweise zu einem Rückzug der Betriebe aus der von ihnen finanzierten, von der Gewerkschaft getragenen Kulturarbeit. In den Sechzigerjahren wirkte sich zudem ein verändertes Freizeitverhalten (Fernsehen, verstärkte Motorisierung) negativ auf die gewerkschaftlichen Kulturangebote aus.
Die folgenden Kapitel untermauern im Grunde die Aussagen des ersten Kapitels, was eine gewisse Redundanz zur Folge hat, denn immer wieder werden nun die Probleme der mangelnden Akzeptanz an der Basis und das Erfordernis, auf die Bedürfnisse der Belegschaften zu reagieren, thematisiert. Kapitel 2 widmet sich der Verwaltung und der Kaderauslese im Bereich der Kulturarbeit. Hier zeigen sich die Probleme, die der FDGB und die DDR-Verwaltungen generell hatten: hohe Fluktuation, geringe und wenig zielgerichtete, weil ideologisch ausgerichtete Qualifikation. Erst ab den 1960er-Jahren treten Professionalisierung und höhere Qualifikationsmerkmale auf. In Kapitel 3 wird die Entwicklung der "Kulturhäuser" behandelt. Auch hier wird wiederum der Widerspruch zwischen zentralen Vorgaben und den Bedürfnissen an der Basis deutlich. Kapitel 4 befasst sich mit den Bereichen Literatur, Theater, Kino. Anhand konkreter Beispiele wird das Scheitern des ideologisch intendierten Ansatzes illustriert. Während der kampagnenartig promotete "fortschrittliche" Dokumentarfilm "Lied der Ströme" sang- und klanglos in der Versenkung verschwand, erfreute sich seichte - im Westen produzierte - Unterhaltung ("Moselfahrt aus Liebeskummer", BRD 1953) großer Beliebtheit.
Im fünften Kapitel referiert Schuhmann die Ergebnisse soziologischer Arbeiten in der DDR, die auf Meinungsforschung zum Kultur- und Freizeitverhalten basierten. Das Ergebnis - nicht verwunderlich: "ein hohes Maß an Resistenz der Industriearbeiter gegenüber den Erziehungsbemühungen des FDGB." (279 ff.)
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die ideologisch geprägten Kampagnen von Misserfolgen geprägt waren. Faktisch musste, auch wenn der Anspruch ideologischer Erziehungsarbeit aufrecht erhalten wurde, auf die Bedürfnisse der Adressaten eingegangen werden. Das bedeutete Zugeständnisse in Richtung Unterhaltung und Freizeitgestaltung ohne ideologische Überfrachtung - dies als ein Teil sozialer Befriedung, die in den 1970er-Jahren in den Rahmen sozialpolitischer Sicherungspolitik eingebettet war. Welche Rolle gewerkschaftliche respektive betriebliche Kulturpolitik dann bis zum Ende der DDR spielte, bleibt einer weiteren Forschungsarbeit vorbehalten.
Annette Schuhmann: Kulturarbeit im sozialistischen Betrieb. Gewerkschaftliche Erziehungspraxis in der SBZ/DDR 1946 bis 1970 (= Zeithistorische Studien; Bd. 36), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, 318 S., ISBN 978-3-412-02706-3, EUR 39,90
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