Die im Frühjahr 2003 an der Universität Augsburg eingereichte und im Rahmen des Graduiertenkollegs "Wissensfelder der Neuzeit" erarbeitete Dissertation untersucht die Entwicklung stadtkölnischer Laienbruderschaften vom Spätmittelalter bis zur Frühen Neuzeit unter dem Aspekt der Konfessionalisierung.
Nach einführenden Überlegungen zu Fragestellung, Forschungsstand, Quellenlage und Terminologie wird ein Überblick über Kölner Laienbruderschaften bis zur Gründung der ersten Marianischen Kongregation gegeben, gefolgt von einem Kapitel zu den kirchlichen und politischen Rahmenbedingungen. Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels steht die typologische Untersuchung Kölner Laienbruderschaften im 17. Jahrhundert verbunden mit Ausführungen zu den Bruderschaften im quantitativen Überblick, Marianischen Kongregationen der Jesuiten, geistlichen Bruderschaftsbildungen im Gefolge der Jesuiten, Laiengründungen, sowie Antagonismen, Interferenzen und übergreifenden Tendenzen in der Mitgliederrekrutierung laikaler und klerikaler Fraternitäten. Den Abschluss bildet ein Resümee zu Kölner Laienbruderschaften im Zeitalter der Konfessionalisierung.
Die Verfasserin wendet sich einleitend ausdrücklich gegen die Forschungsmeinung, frühneuzeitliche, spiritualisierte und in die kirchliche Hierarchie eingebundene Bruderschaften seien zu Trägern und Multiplikatoren der katholischen Konfessionalisierung geworden, somit an die Stelle spätmittelalterlicher Laienbruderschaften mit konvivialen, karitativen, religiösen und sozialen Funktionen getreten. Folglich konzentriert sie sich auf die Frage: "Waren Bruderschaften in erster Linie Ausdruck einer katholischen Reformbewegung, eine Krisenbewältigungsstrategie oder aber vormoderne Orte der Geselligkeit? (94)
Ihre Untersuchungsobjekte sind Bruderschaften der katholisch gebliebenen Reichsstadt Köln - in ihren Mauern beherbergte sie ein lebendiges, spätmittelalterliches Bruderschaftswesen sowie frühe Marianische Kongregationen und kann damit beste Voraussetzungen für einen Vergleich zwischen der spätmittelalterlichen und der frühneuzeitlichen Situation bieten. Köln hatte mit über 123 im 17. Jahrhundert nachgewiesenen Laienfraternitäten zudem eine Spitzenstellung im Reich inne. Womöglich 90% aller männlichen Kölner Einwohner (etwa 13.400 erwachsene männliche Laien) müssen nach Schätzung der Verfasserin in mindestens einer Fraternität eingeschrieben gewesen sein (381), was nicht zuletzt auf einen Boom von bruderschaftlichen Gründungen und Wiedererrichtungen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Folge jesuitischer Initiativen zurückzuführen ist.
Im Zentrum der fundiert geschriebenen Untersuchung stehen drei Themenkomplexe: Welche religiösen und sozialen Normen wurden in den unterschiedlichen Bruderschaftstypen durch die Statuten propagiert? Wie versuchte man diese unter den eingeschriebenen Mitgliedern, aber auch über die Grenzen der Fraternität hinaus zu vermitteln? Welche soziale Reichweite und Akzeptanz fanden die unterschiedlichen Bruderschaftstypen in der Kölner Bevölkerung?
Die Verfasserin unterscheidet zu diesem Zweck idealtypisch "traditionelle Bruderschaften", d. h. in spätmittelalterlicher Tradition von Laien selbst verwaltete, häufig multifunktionale Zusammenschlüsse, von "reformkatholischen Fraternitäten", die von Geistlichen initiiert und geleitet, auf religiöse Ziele im Sinne der katholischen Reform ausgerichtet waren. Diese reformkatholischen Vereinigungen folgten einem neuen Bruderschaftskonzept und beschritten zugleich neuartige Wege, ihren Mitgliedern dieses Ideal zu vermitteln. Alle geistlichen Neugründungen versuchten, ihre Bruderschaftsangehörigen in erster Linie zu einem christ-katholischen Leben anzuleiten und griffen zu diesem Zweck in deren alltägliche Lebensgestaltung ein - durch die Anweisung täglicher Lieder und Gebete, das Tragen religiöser Insignien, häufigen Empfang der Sakramente, gemeinsame Treffen und die Zuweisung eines Beichtvaters. Darüber hinaus versuchten sie auf die gesamte städtische Gesellschaft einzuwirken und beanspruchten mit ihren Prozessionen und Publikationen größeren öffentlichen Raum für sich - weit über Grenzen der Kirchspiele hinaus. Die Bemühungen einiger nachtridentinischer Gründungen zur Gewinnung möglichst vieler Mitglieder führten zwar zur Einschränkung traditioneller sozialer Bruderschaftsfunktionen wie Geselligkeit, Repräsentation und Integration, waren aber teilweise so erfolgreich, dass die Attraktivität des Konzeptes damit belegt war.
Alte wie neue Bruderschaften dienten jedoch als "sozialer Kitt" der ständisch gegliederten Kölner Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Bruderschaften eigneten sich als Mittel gesellschaftlicher Integration besonders gut, da sie im Unterschied zu Gaffeln, Ämtern und Zünften freiwillige Assoziationen waren und die Möglichkeit boten, sich regelmäßig in einer größeren Gruppe gesellig zusammenzufinden. Sie banden zudem soziale Gruppen ein, die in der politischen Verfassung der Stadt kein Mitspracherecht hatten.
Abschließend verfolgt die Autorin die Fragestellung, welche Erklärungsmuster und Deutungsmöglichkeiten der bruderschaftlichen Entwicklung das Konfessionalisierungsparadigma zu bieten vermag. So kann es beispielsweise den Gründungsboom reformkatholischer Fraternitäten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wie auch die neuartige Gestalt dieser Vereinigungen in ihrem erzieherischen Anspruch, in ihrer Aufwertung des Sakramentenempfangs und in ihrem Willen, über die Bruderschaft hinaus auf die städtische Gemeinschaft einzuwirken im Geflecht der kirchlich kontrollierenden und zentralisierenden Bestrebungen erklären. Das Fortbestehen zahlreicher traditioneller Vereinigungen mit ihren religiösen und sozialen Funktionen, "nicht nur als historischer Rest oder als Randphänomen, sondern als starke Tradition" wird von diesem Deutungsmuster allerdings nicht zufrieden stellend erfasst.
Die gut strukturierte und auf breiter Kenntnis der Forschungsliteratur basierende Monographie nutzt die umfangreichen, in den dreibändigen Quellen zur Geschichte der Kölner Laienbruderschaften vom 12. Jahrhundert bis 1562/63 vorgelegten Arbeiten von Klaus Militzer, beruht jedoch auch auf eigenen Archivstudien. Ergänzt wird die Dissertation durch eine Prosopographie der Bürgermeister, Ratsherren und Syndici in Kölner Laienbruderschaften, erarbeitet auf der Grundlage überlieferter Mitgliederverzeichnisse und -aufzeichnungen.
Rebekka von Mallinckrodt: Struktur und kollektiver Eigensinn. Kölner Laienbruderschaften im Zeitalter der Konfessionalisierung (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 209), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, 513 S., 6 Abb., 7 Karten, 15 Tabellen, ISBN 978-3-525-35861-0, EUR 69,00
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