Das eigentliche Thema der Kieler Dissertation erscheint - wie heute allgemein üblich - im Untertitel: Gegenstand sind die zwischen 1879 und 1911 entstandenen Sakralbauten des Hamburger Architekten Hugo Groothoff, der in Norddeutschland 23 Kirchen, sechs Kapellen und eine Synagoge realisieren konnte. Die bislang vorgelegten Monografien über Kirchenbaumeister des norddeutschen bzw. Berliner Historismus beschränken sich zumeist auf die prominenten Vertreter wie Friedrich Adler, Christoph Hehl und Johannes Otzen. Ein Verdienst der Autorin besteht daher in der Entscheidung für einen weitgehend vergessenen Kirchenarchitekten dieser Zeit.
Die Arbeit gliedert sich in einen theoretisch-historischen Teil, den Hauptteil zu Person und Werk Groothoffs und den Katalog. Der theoretische Teil orientiert sich eng an den einleitenden Kapiteln der 1989 erschienenen Dissertation von Elisabeth Spitzbart-Maier über die Kirchenbauten Martin Elsässers [1], von denen die Autorin die Gliederung wie auch Einzelbeispiele übernimmt. Das Kapitel zur Liturgiegeschichte versucht einen Abriss zu geben von der Aufklärung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Mit wenigen Textseiten ist dieser jedoch zu knapp gefasst, um einen Einblick in den komplexen Themenbereich bieten zu können. Eine Unterscheidung der verschiedenen protestantischen Glaubensrichtungen unterbleibt ebenso wie eine Differenzierung des geografischen und historischen Zusammenhanges. So ist das 1779 als Vorbild empfohlene antike Amphitheater mit Kanzelaltar (17) nach Leonhard Christoph Sturm und den zentralisierenden Predigtkirchen des norddeutschen Barock weniger "interessant" als die Autorin vorgibt. Die Verallgemeinerungen führen zuweilen zu Ungenauigkeiten und falschen Formulierungen wie: "Die evangelische Kirche hatte seit der Reformation an der Bedeutungslosigkeit der Form für Liturgie und Kirchenbau festgehalten" (21). Die von Spitzbart-Maier übernommene Aussage " [...] die Kirchen des 18. Jahrhunderts [sind] vorwiegend als längs rechteckige, seltener als zentral angelegte Gebäude errichtet worden" (17) hätte gerade für Norddeutschland mit seinen Zentralbauten wie in Brande-Hörnerkirchen, Rellingen, Hamburg-Niendorf und Großenaspe, vor allem aber mit den zahlreichen zentralisierenden Neubauten, darunter die Trinitätskirche in Altona und der Hamburger Michel, eine differenziertere Betrachtung verlangt.
Im folgenden Kapitel werden die wichtigsten Kirchenbauprogramme des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Auch hier vermisst man die Verbindung zu Groothoffs Wirkungsgebiet, dem Kirchenbau in der Stadt Hamburg und der preußischen Provinz Schleswig-Holstein. So wird auch die These der Autorin, wonach sich Preußen "in der Gesamterscheinung der Baugestaltung weitgehend frei vom Eisenacher Regulativ hielt" (28), in ihrer Bedeutung für Groothoff nicht deutlich genug herausgestellt.
Leider geht der einleitende Teil kaum über die Abhandlung Spitzbart-Maiers hinaus und bleibt weit hinter der ausführlichen Darstellung von Eva-Maria Sengs 1995 erschienener Dissertation über den evangelischen Kirchenbau und Christian Friedrich von Leins zurück. [2]
Die Qualität der Arbeit liegt eindeutig in der Vorstellung von Leben und Werk Hugo Groothoffs und dessen kunsthistorischer Einordnung. Trotz der schwierigen Quellenlage konnte Behrens zahlreiche Informationen zur Biografie des Architekten zusammentragen. Anhand des Bautagebuchs der Pinneberger Christuskirche und anderer Quellen schildert sie anschaulich die Entstehung eines historistischen Kirchenbaus von der ersten Planung bis zur Schlüsselübergabe. In diesem Kontext wird auch die Struktur der Bauverwaltungen in Schleswig-Holstein und Hamburg einschließlich der kirchlichen Stellen erläutert. Als wichtiger Aspekt für Groothoffs Werk erweist sich dessen Ausbildung am Polytechnikum in Hannover, unter anderem bei dem Neugotiker Conrad Wilhelm Hase. 1884 ließ sich Groothoff als selbstständiger Architekt in seiner Heimatstadt nieder, wo er in zahlreichen Vereinigungen mitwirkte. Trotz der biografischen Informationen wird Groothoff als Künstlerpersönlichkeit nicht recht fassbar: Dass er ein Verehrer Goethes war, teilte er mit der Mehrheit seiner bürgerlichen Zeitgenossen und rechtfertigt noch nicht die Bewertung als "vielseitig gebildete und interessante Persönlichkeit" (65).
Überzeugend ist die typologische und stilistische Analyse der Bauten. Die bewusst unprätentiöse Gestaltung der Dorfkirchen und die sensible Einbindung in den ländlichen Raum wird zu Recht als eigene Qualität herausgestellt. Als Besonderheit benennt die Autorin die oft turmlosen Saalbauten mit Querhaus, mit denen Groothoff einen alternativen Kirchentypus für Schleswig-Holstein etabliert habe. Bereits 1880 schlug er den asymmetrischen zweischiffigen Kirchenbautypus vor (Wettbewerbsentwurf für die Petri-Kirche in Altona), den er jedoch erstmals 1898 mit der Lübecker Matthaei-Kirche realisieren konnte. Als charakteristisch für Groothoffs Sakralarchitektur beschreibt Behrens die generell schlichte Formensprache, die Vorliebe für das frühgotische Vokabular, den Verzicht auf glasierte Formsteine zu Gunsten weiß verputzter Blendfelder und die Holzdecken im Innenraum. Einzelne formale und typologische Merkmale werden sowohl auf mittelalterliche Sakralbauten als auch den Einfluss Hases und dessen Schüler zurückgeführt, wodurch sich Groothoff als Vertreter der Hannoverschen Schule zu erkennen gibt. Im Vergleich mit anderen zeitgleich entstandenen Sakralbauten zeigt die Autorin fundierte Kenntnisse der insgesamt noch wenig untersuchten späthistoristischen Kirchenarchitektur Norddeutschlands. Der Verweis auf den - zumindest in einem Fall nachweisbaren - Einfluss der Berliner Architektur (147) führt allerdings nicht zu einer weitreichenderen Frage nach einem bewussten "preußischen Kirchenbau" in der Provinz Schleswig-Holstein und einer möglichen Absetzung von Hamburg. [3]
Der chronologisch aufgebaute Katalog umfasst die Sakralbauten sowie Pastorate und ein Wohnstift. Hervorzuheben ist, dass die Autorin auch den aktuellen Bauzustand dokumentiert. Leider sind nicht alle der im Katalog vorgestellten Bauten mit einer Abbildung vertreten. Im Ganzen zeigt die schön aufgemachte Publikation des Kieler Verlags Ludwig knapp 200 Bilder, darunter eine Vielzahl bisher unpublizierter Bauten und Entwürfe. Die eine oder andere Abbildung hätte man sich - der besseren Erkennbarkeit halber - größer gewünscht, und auch eine Auswahl von Farbbildern wäre beispielsweise für die Glasfenster sinnvoll gewesen.
Abgesehen von dem wenig überzeugenden theoretischen Teil hat die Autorin eine informative Arbeit vorgelegt, die nicht allein die lange Zeit vergessenen Bauten von Groothoff vorstellt, sondern durch zahlreiche Vergleiche auch einen wichtigen Beitrag für die Erforschung der norddeutschen Sakralarchitektur des Historismus leistet.
Anmerkungen:
[1] Elisabeth Spitzbart-Maier: Die Kirchenbauten Martin Elsässers und ihre Voraussetzungen in der protestantischen Kirchenbautheorie und Liturgiediskussion, Diss. Stuttgart 1989.
[2] Eva-Maria Seng: Der evangelische Kirchenbau im 19. Jahrhundert. Die Eisenacher Bewegung und der Architekt Christian Friedrich von Leins, Tübingen 1995.
[3] Vgl. beispielsweise: Jana Olschewski: Der evangelische Kirchenbau im preußischen Regierungsbezirk Stralsund 1815 bis 1932, Schwerin 2006.
Sabine Behrens: Norddeutsche Kirchenbauten des Historismus. Die Sakralarchitektur Hugo Groothoffs 1851-1918 (= Kieler Kunsthistorische Studien. Neue Folge; Bd. 8), Kiel: Verlag Ludwig 2006, 389 S., ISBN 978-3-933598-97-4, EUR 34,90
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