Der Exodus Zehntausender protestantischer Niederländer in das Heilige Römische Reich und nach England im späten 16. Jahrhundert gehört zu den bekanntesten Episoden eines Phänomens, das Heinz Schilling als "frühneuzeitliche Konfessionsmigration" bezeichnet hat. In den letzten Jahren ist das Bild dieser Migration durch eine Reihe von Lokalstudien verfeinert worden. Der vorliegende Band, der sich ungeachtet seines allgemein gehaltenen Titels weitgehend auf die flämischen und wallonischen Exulanten konzentriert und andere Einwanderergruppen (Italiener, Deutsche, Franzosen, Spanier) eher beiläufig behandelt, bietet einen guten Überblick über Stand und aktuelle Diskussionen der englischen Forschung.
Der Mitherausgeber Nigel Goose skizziert einleitend die politischen, religiösen und sozio-ökonomischen Kontexte der Einwanderung nach England in der späten Tudor- und frühen Stuart-Periode und stellt die wichtigsten Siedlungszentren vor. Während die Metropole London die größten Fremdengemeinden beherbergte - in der elisabethanischen Ära wird die Zahl der dort lebenden Ausländer auf 8.000 bis 10.000 geschätzt - , stellten die Niederländer in Provinzstädten wie Norwich, Canterbury, Sandwich und Colchester einen wesentlich höheren Anteil der Gesamtbevölkerung. Allgemein akzentuiert Goose die hohe Fluktuation innerhalb der Fremdengemeinden und einen deutlichen Mitgliederschwund nach 1600 infolge von Rückwanderungen und Assimilation. Raymond Fagel gibt einen Überblick über die Herkunftsgebiete der Migranten. Neben den Kernprovinzen Flandern und Brabant war auch der niederländisch-nordwestdeutsche Grenzraum (Jülich, Kleve, Geldern, Lüttich) eine wichtige Herkunftsregion. Darüber hinaus weist Fagel auf die engen und dauerhaften Beziehungen zwischen bestimmten Gemeinden und Regionen hin - zwischen den Metropolen London und Antwerpen, aber beispielsweise auch zwischen Southampton und Valenciennes oder zwischen Sandwich und der Region um Ypern (51f.).
Lien Luu zeigt in ihrem Beitrag über den Rechtsstatus der Fremden im elisabethanischen London, dass nur wenige Einwanderer durch das Parlament naturalisiert wurden und auch die Zahl der Aufnahmen als Einwohner (denizens) wegen hoher Kosten und bürokratischer Hindernisse rückläufig war. Als aliens, aber auch als denizens hatten Einwanderer gegenüber Untertanen der Krone erhebliche besitz-, erb- und steuerrechtliche Nachteile; seit 1574 durften Kinder ausländischer Eltern überdies keine Lehre mehr bei einem englischen Meister antreten. In der Praxis wurden diese Beschränkungen allerdings häufig ignoriert, und der Erwerb von Grundstücken oder die Eröffnung von Läden durch Fremde führten immer wieder zu Konflikten. Auch die Handelsrechte ausländischer Kaufleute waren umstritten, und Handwerke wie die der Schneider und Schuhmacher versuchten Fremde aus ihren Gewerben zu drängen. Auch Joseph P. Ward, der den Londoner Arbeitsmarkt im frühen 17. Jahrhundert unter die Lupe nimmt, stellt fest, dass es in der rasch wachsenden Metropole immer wieder zu Klagen der Handwerkervereinigungen (Livery Companies), vor allem der Gesellen und Lehrlinge, über die Konkurrenz ausländischer Arbeitskräfte und deren Missachtung gewerblicher Normen kam. Wichtig ist indessen sein Hinweis, dass sich diese Beschwerden nicht nur gegen Ausländer, sondern auch gegen Zuwanderer aus anderen englischen Regionen richteten (85).
Andrew Spicer befasst sich mit den Kirchen der Fremdengemeinden, die nicht nur Kristallisationspunkte der Identität der Exulanten waren, sondern auch von der englischen Obrigkeit als Bollwerke der Ordnung und konfessionellen Orthodoxie angesehen wurden (95). Hinsichtlich der Ausstattung, des Unterhalts und der Nutzung der Fremdenkirchen wurden häufig improvisierte und temporäre Lösungen gefunden. Am Beispiel der Gemeinde von Sandtoft auf der Insel Axholme, wo Niederländer in Landgewinnungsprojekten arbeiteten, zeigt Spicer, dass Ressentiments der einheimischen Bevölkerung gegen die Fremden auch zu Übergriffen auf deren Kirchen führen konnten (103f.). Die in mehreren Beiträgen angesprochenen fremdenfeindlichen Verhaltensweisen der englischen Bevölkerung nimmt Nigel Goose zum Anlass, dem Thema Xenophobie einen eigenen Beitrag zu widmen. Während Berichte ausländischer Reisender aufgrund ihres topischen Charakters und ihrer bisweilen widersprüchlichen Aussagen problematische Quellen sind, lassen sich xenophobische Äußerungen oder gar Ausschreitungen allgemein nur sporadisch nachweisen. Konflikte zwischen Einheimischen und Fremden in der Tudor- und frühen Stuartzeit hatten zumeist konkrete wirtschaftliche und soziale Ursachen, und die Krone sowie die Magistrate der betroffenen Städte verteidigten zumeist die Privilegien der Fremdengemeinden.
In einem weiteren Aufsatz resümiert Goose den Beitrag der Fremden zur englischen Wirtschaftsentwicklung. Neben der Einführung von Innovationen in der Textilherstellung (new draperies) und Seidenweberei betont er ihre Präsenz in zahlreichen anderen Gewerben sowie in so unterschiedlichen Sektoren wie Außenhandel, Gartenbau und Neulandgewinnung. In Übereinstimmung mit einem Teil der neueren Forschung warnt er jedoch davor, das innovative Potential der Einwanderer zu überschätzen; in vielen Bereichen vollzogen sich Neuerungen ohne nachweisbaren ausländischen Einfluss. Raingard Esser versucht, trotz einer problematischen Quellenlage die Umrisse einer "Immigrantenkultur" im 16. und 17. Jahrhundert zu skizzieren. Im elisabethanischen London formierte sich ein Kreis niederländischer Künstler und Gelehrter um den Geschichtsschreiber Emanuel van Meteren und den Naturforscher Jacob Coels (James Cole). In Norwich etablierten sich niederländische Buchdrucker, und der Buchbesitz von Immigranten verweist sowohl auf ihre religiöse Orientierung als auch auf ihre Identifikation mit ihrer Herkunftsregion. Feierlichkeiten anlässlich von Krönungen und Herrschereinzügen gaben den Fremdengemeinden Gelegenheit, ihr Selbstbewusstsein und zugleich ihre Loyalität gegenüber den englischen Monarchen zu demonstrieren.
Drei weitere Beiträge sind internationalen Verbindungen gewidmet. Charles G.D. Littleton zeigt anschaulich auf, wie intensiv die Kommunikation zwischen den Fremdengemeinden und dem europäischen Kontinent war. Über ein elaboriertes Netzwerk von Boten und Kontaktpersonen wurden Briefe ausgetauscht, und zahlreiche Flamen, Wallonen und Hugenotten kehrten vorübergehend in ihre Heimatregionen zurück, um Angehörige zu besuchen, Geschäfte zu tätigen oder sich an militärischen Unternehmungen zu beteiligen. Zudem unterhielten die calvinistischen Gemeinden eine rege Korrespondenz mit Glaubensgenossen in Genf, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Lien Luu untersucht das Phänomen der Rückwanderung, für das sie sowohl wirtschaftliche Schwierigkeiten und Assimilationsprobleme in England als auch die anhaltende Attraktivität niederländischer Städte für Kaufleute und Gewerbetreibende verantwortlich macht. David Trim zeigt, wie eng Exulanten und englische Calvinisten bei der Unterstützung ihrer Glaubensgenossen im niederländischen Aufstand und den französischen Religionskriegen finanziell und militärisch kooperierten.
Das knappe abschließende Fazit der Mitherausgeberin Lien Luu ist für diesen Sammelband durchaus charakteristisch. Auf der einen Seite betont sie zu Recht die beträchtlichen Erkenntnisfortschritte, die durch die systematische Erschließung von Kirchen- und Gemeindearchiven erzielt worden sind. Auf der anderen Seite ist auch ihre skeptische Haltung gegenüber Labels wie "Konfessionsmigration" und verallgemeinernden Aussagen über Assimilation, Integration sowie wirtschaftliche und kulturelle Einflüsse. Die Beiträge sind durchweg informativ und quellengesättigt, allerdings auch nicht frei von Überschneidungen. Ausgesprochen nützlich ist die umfangreiche Gesamtbibliografie am Ende des Bandes.
Nigel Goose / Lien Luu (eds.): Immigrants in Tudor and Early Stuart England, Brighton: Sussex Academic Press 2005, X + 263 S., ISBN 978-1-903900-14-7, GBP 24,95
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