Die Weltkulturerbestadt Wismar besitzt mehrere kirchliche und weltliche Gebäude von überregionaler, vielleicht gar nordeuropäischer Bedeutung. Der Fürstenhof gehört zweifellos zu ihnen. Seit der abgeschlossenen Restaurierung und Renovierung im Jahre 2002 zieht er täglich wieder zahlreiche Besucher an, die versuchen, das reichhaltige Bildprogramm der Wandfriese zu entschlüsseln, sich fragen, wie die unterschiedliche Farbgebung des Hauses zustande kommt und welche Funktionen der Bau einst hatte. Das vorliegende Buch kann viele dieser Fragen beantworten.
Der prächtig und abwechslungsreich bebilderte Band versammelt sieben Beiträge unterschiedlicher Handschrift und Qualität. Von der Historikerin über den (ehemaligen) Amtsgerichtsdirektor, den Restaurator und Denkmalpfleger bis hin zum Architekten nähern sich die Autoren dem Bau aus unterschiedlichen Gesichtspunkten an. Auf diese Art entsteht ein facettenreiches Bild von der sehr verschiedenartigen, immer prominenten Nutzung des Bauwerks.
Zunächst stellt Beatrice Busjan sehr kundig den Fürstenhof im Licht der schriftlichen Quellen vor. Gestützt auf eine breite Überlieferung in Quellen aus Mecklenburg, Schweden, Pommern und Niedersachsen verfolgt sie die Geschichte der fürstlichen Residenzen in und bei Wismar seit ihrer ersten urkundlichen Erwähnung um die Mitte des 13. Jahrhunderts über den Erstbezug des heutigen Grundstücks bei der Georgenkirche und den jahrhundertelangen Streit zwischen Herzog und Stadt, ob der Fürstenhof eher eine wehrhafte Burg oder ein unbefestigtes Schloss sein sollte. Trotz schwieriger Quellenlage kann sie Beispiele für Hoftage, Feste, Turniere, Leichenfeiern und Hochzeiten im Fürstenhof seit 1389 beibringen. Ein wichtiger Abschnitt ihres Beitrags beschäftigt sich mit dem Ausbau der herzoglichen Residenz im 16. Jahrhundert und stellt den Fürstenhof damit in den Kontext, in dem er auch heute bevorzugt gesehen wird. Busjan nennt Anlass, Auftraggeber und Baumeister für Bauten und Umbauten des Reformationszeitalters, sie geht auf die kunstvollen Terrakotten und die Motive der Wandfriese ein, benennt aber auch zahlreiche Forschungsdesiderate.
In einem weiteren Abschnitt widmet sie sich der Nutzung des Hauses während der Schwedenzeit als Wismarer Tribunal und den erforderlichen Umbauten, Renovierungen und Reparaturen. Zu diesen sind im Wismarer Stadtarchiv jüngst auch die von der Verfasserin vermissten Rechnungen aufgetaucht, die den Umfang der Arbeiten im Jahre 1653 konkretisieren. Die Reparatur und Renovierung nach dem Brand von 1781 werden ebenso dargestellt wie das Ende des Tribunals durch die Verpfändung der Herrschaft Wismar von der schwedischen Krone an das Herzogtum Mecklenburg auf 100 Jahre. Dass die Wismarer Stadtgeschichtsschreibung diesen Vertrag zwischen Schweden und Mecklenburg bevorzugt als "Kuriosum der Weltgeschichte" darstellt, ließe sich durch mehrere ähnliche Beispiele für Pfandverträge hinterfragen und verstellt den Blick für sinnvolle Vergleiche.
Und doch brach für Wismar und den Fürstenhof eine neue Zeit an, als die Stadt 1803 unter die mecklenburgische Herrschaft zurückkehrte. So unterschiedliche Nutzer wie Theater und Lazarett, Pferdestall, Deckstation und herzogliches Palais teilten sich das Haus in den kommenden Jahrzehnten. Seit dem Jahr 1876 wird der Fürstenhof schließlich als Amtsgericht genutzt. Zunächst nutzte das Gericht die Anlage gemeinsam mit der Deckstation des Landgestüts Redefin, seit 1934 mit einer Armenküche, seit 1948 mit dem Stadtarchiv, bis das Amtsgericht 2002 den Komplex nach der Restaurierung allein zugewiesen bekam und seither für eine angemessene Nutzung gesorgt ist.
Diese grundlegenden Ausführungen Busjans werden in den Beiträgen von Matthias Zahn zu baugeschichtlichen Untersuchungen am Fürstenhof in Wismar sowie Bettina Gnekow und Günther Faust zu denkmalpflegerischen Aspekten der Restaurierung des Fürstenhofes (1996-2002) in zahlreichen Fragen und Details untersetzt und mit neuen Erkenntnissen aus der Bauforschung und Denkmalpflege angereichert. Rudolf Wollenberg stellt das Umbau- und Sanierungskonzept des Fürstenhofes vor, Gottreich Albrecht das Ausbaukonzept zum modernen Amtsgerichtsgebäude. Hauke Jöns führt schließlich für die Zeit von der Mitte des 14. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts den Nachweis einer Bronzegießerei im Hof des Wismarer Fürstenhofes und bestätigt die Erkenntnisse Busjans im Wesentlichen aus archäologischer Sicht. Die genannten Beiträge aus den unterschiedlichen Fachgebieten sind auf der Höhe der Forschung, liefern zahlreiche neue Erkenntnisse und bereichern somit unser Wissen über das Gebäude und seine Nutzung wesentlich.
Erhebliche Qualitätsprobleme hat hingegen der Beitrag von Günter Reitz, "Der Fürstenhof und die Justiz in Wismar". Zahlreiche Detailfehler (Vorkarriere des Gründungsdirektors David Mevius, Abzug des Tribunals aus Wismar, Aufgaben des Präsidenten und Vizepräsidenten u.a.) sind ärgerlich, mehrere inhaltliche Falschaussagen (erstinstanzliche Verantwortung des Tribunals, Anzahl der am Tribunal verhandelten Fälle, Häufigkeit einzelner Delikte) führen den Leser des Bandes, der von den anderen Beiträgern ansonsten mit zuverlässigen Informationen versorgt wird, auf bedauerliche Irrwege. Bei Auswertung der im Jahre 2005 auch in Wismar reichlich zur Verfügung gestandenen Literatur hätte das vermieden werden können.
Doch diese Einschränkung kann dem insgesamt sehr positiven Erscheinungsbild des Bandes keinen Abbruch tun. Zu einem der bedeutendsten Gebäude Wismars und Mecklenburgs liegt nunmehr eine empfehlenswerte Publikation vor, die durch ihre reichhaltige, außergewöhnlich detaillierte Illustrierung besticht.
Achim Bötefür / Dirk Handorf (Hgg.): Der Fürstenhof in Wismar (= Baukunst und Denkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern; Bd. 1), Schwerin: Landesamt für Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern 2005, 155 S., ISBN 978-3-935770-12-5, EUR 14,50
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.